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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Dich mit mir! Er ist wieder hier, da! da!“ und sie wies nach dem Licht drüben. „Jetzt wollen wir ihn hier festhalten, Mutter!“

„Und Günther?“ sagte Frau Laurin vorwurfsvoll.

Ada hielt ihr den Mund zu: „Nicht doch, nicht doch! Wie kannst Du Günther mit Paul vergleichen! Günther ist ein guter Junge, und Paul ist ein Held. Gute Nacht, liebe süße Mutter! Morgen wird er kommen, nicht wahr?“

Aber Paul kam nicht. Zwei, drei Tage vergingen, und Paul ließ sich nicht sehen. Adas Ungeduld erreichte den Höhepunkt. Ganz Waldeck sprach nur von Paul Jung. Die zahlreichen jungen Mädchen besonders, welche sich zur Zeit in Waldeck aufhielten, hatten plötzlich alle möglichen zwingenden Gründe, um an dem kleinen Haus am See vorbeigehen zu müssen. Aber es half ihnen nicht viel. Zwar konnten sie öfter den Helden vor dem Hause an einem großen, mit Karten und Büchern bedeckten Tisch sitzen sehen, aber er war so vertieft in seine Arbeit, daß er fast niemals aufsah. Seine Eltern saßen gewöhnlich dabei, und der Vater grüßte mit verbindlichem Lächeln, während Frau Jungs Züge oft einen ironischen Ausdruck zeigten, bei welchem den harmlosen Spaziergängerinnen nicht ganz wohl zu Muthe war. So ruhig bei einander sitzend, arbeitend und plaudernd verbrachten die Eltern und der Sohn jeden Tag. Abends konnte man sie dann alle drei auf einem von Waldecks reizenden Spaziergängen am See oder im Wald treffen. Dies war denn auch die Zeit, welche alle möglichen Bekannten und Nichtbekannten benutzten, um ihnen zufällig zu begegnen und ein Gespräch anzuknüpfen, aber – man wußte nicht recht, wie es kam – diese Bestrebungen waren nicht von Erfolg gekrönt. Nicht besser erging es selbst alten Freunden. In den ersten Tagen nach Pauls Ankunft schon häuften sich die Einladungen auf einer Ecke des Arbeitstisches zu einem kleinen Berge, aber es erfolgte auf alle dieselbe verneinende Antwort: er sei leider nicht imstande, seine Gesundheit sei noch etwas angegriffen, und alle freie Zeit müsse er seiner Arbeit widmen – im übrigen – u. s. w. Die Freunde waren wohl etwas gekränkt, aber schließlich fanden es die meisten doch begreiflich, daß Paul sich nach so langer Abwesenheit ausschließlich seinen Eltern widmen wollte. Nur Ada konnte und wollte das nicht begreiflich oder verzeihlich finden und war geneigt, nur eine gegen sie persönlich gerichtete Rancune von Frau Jung darin zu sehen.

„Sie hat etwas gegen mich, Mama!“ rief das verzogene Kind mit strömenden Thränen. „Sie ist eifersüchtig, sie gönnt ihn uns nicht! Wie eng haben wir früher mit Jungs verkehrt, und jetzt weichen sie uns förmlich aus. Paul sagte damals, er würde bald kommen, aber sie erlaubt es ihm nicht!“

Die zärtliche Mutter, welche erst so sehr gefürchtet hatte, Ada könnte ein tieferes Interesse für Paul fassen, war jetzt schon so weit gebracht, daß sie ebenfalls im Innersten gekränkt und empört über „Frau Jungs Manöver“ war. „Was will sie denn für ihren Paul,“ meinte Adas beleidigte Mutter, „wenn ihr mein Kind nicht gut genug ist? Sie könnte Gott danken, wenn er das liebe Mädchen heirathet und seine verrückten Expeditionen aufgiebt!“

Aber der Zorn von Mutter und Tochter erreichte den Höhepunkt, als sie eines Abends, von ihrem gewohnten Spaziergang zurückkommend, die Karten von Paul und dem Jungschen Ehepaar vorfanden. Ada wurde glühendroth und stampfte mit dem kleinen Fuß. „Siehst Du jetzt, daß es Absicht ist, Mama? Sie weiß ja, wann wir ausgehen; das hat sie benutzt, Pauls Schuld ist es sicher nicht – diese häßliche Frau! Du darfst es nicht dulden, Mama!“ Und dann folgte ein so heftiger Thränenstrom, daß Frau Laurin sich schwor, sie würde es allerdings nicht dulden, sondern morgen schon ein ernstes Wort mit dieser verblendeten Mutter sprechen.

(Schluß folgt.)




In Rotten Row.

Ein Bild aus dem Londoner Leben. Von Wilh. F. Brand.

Die faule Gasse“ ist eine paradoxe Bezeichnung für den allgemein anerkannten Sammelplatz der vornehmen Welt Englands. Und doch heißt „Rotten Row“ nichts anderes, wie viel man auch versucht hat, daran zu drehen und zu deuten. Es als eine verderbte Form von „Route du roi“ hinzustellen – genannt, weil der König von St. James’ Palast kommend auf dieser Route nach seinen Jagdgefilden gezogen sei – ist zwar genial genug, „die Königs-Route“ klingt auch so viel hübscher; das ist aber leider eine von jenen Erklärungen, bei denen mehr untergelegt als ausgelegt wird, um so mehr, als Rotten Row in früheren Zeiten thatsächlich eine recht „faule“ Gegend gewesen sein muß. Allein was liegt an einem Namen? Gäbe es überhaupt eine „Route du roi“ in England, so müßte jedenfalls diese Strecke gemeint sein: die langen Alleen an der südlichen Seite des Hyde Park, vorn Hyde Park Corner bis Queen’s Gate. Denn etwas Großartigeres, als Rotten Row in seiner Art während der Saison bietet, ist in und außerhalb Englands kaum denkbar.

Genau genommen gilt der Name „Rotten Row“ nur von der breiten Reitallee, auf der zu gewissen Stunden des Tages viele Hunderte von Reitern und Reiterinnen sich einfinden. Für gewöhnlich aber schließt man in die Bezeichnung auch die parallel mit derselben laufende „Ladies’ Mile“ ein, die etwa einen Kilometer lang ist und in ihrer ganzen Ausdehnung oft vier dichtgedrängte Reihen von Equipagen neben einander aufzuweisen hat. Zu Rotten Row im weiteren Sinne gehören auch die breiten Fußwege, in denen Spaziergänger für einen Penny auf einem der die Allee entlang aufgestellten Brettstühle die müden Gliedmaßen ausruhen können.

Wohl mögen die Champs Elysées noch mehr Abwechselung bieten und insofern interessanter sein; der Prater in Wien, der Thiergarten in Berlin, sie haben alle ihre besonderen Reize, allein in Bezug auf Glanz und Reichthum, auf solide Pracht steht Rotten Row unerreicht da. Schon der Umstand, daß gar keine Droschken zugelassen werden, sondern nur Privatwagen, giebt dem Treiben dort etwas Gewählteres, Feineres. Droschken sind zwar im Korso des Berliner Thiergartens auch ausgeschlossen, gleichwohl aber herrscht dort lange nicht eine auch nur annähernde Pracht wie in Rotten Row. Welch edle Rosse traben hier vor den eleganten Equipagen! Viele Familien halten für die Parkfahrt und dergleichen besondere Gelegenheiten auch ihre besonderen Pferde. Das mag für ausnehmend hochgestellte Persönlichkeiten natürlich und einfach sein; allein ich kenne zahlreiche Familien, die sich nicht gut ein Doppelgespann von Pferden leisten können oder wollen. Um das eine Gespann daher in parkfähigem Zustande zu erhalten, brauchen sie dasselbe nur für den Park und besondere Gelegenheiten und nehmen sich sonst einen Miethswagen.

Und nun die englischen Damen! Schon 1698 heißt es in Poor Robin’s Almanack:

„Now in Hyde Park, if fair it be,
A show of ladies you may see.“

Das heißt in ein gleich prosaisches Deutsch übersetzt:

„Hyde Park bei guter Witterung
Ist eine Damenausstellung!“

Die Zahl der Damen ist heute noch viel größer, und was ihre Schönheit betrifft, so können sie sich den Schönen aller anderen Nationen getrost zur Seite stellen. Wie frisch und zart ist schon der Teint!

„Wenn sie eben frisch aufgelegt haben,“ könnte wohl ein sarkastischer Beobachter einwerfen.

Es ist wahr, englische Damen „legen sich nur zu häufig was auf“, aber die Hautfarbe der meisten ist so ausgezeichnet, daß sie dazu gar nicht in Versuchung kommen sollten. Immerhin lassen sie noch Stoff genug für die Diener übrig, die in den ganz vornehmen Häusern sich das Haar damit pudern. Auf solch einen gepuderten Dienerkopf war vordem weislich eine jährliche Steuer von 5 Pfd. Sterl. gesetzt. Aber das that der Sitte oder Unsitte wenig Abbruch; im Gegentheil, manche Herrschaften wurden sich dadurch erst bewußt, daß dieses Dienerpudern thatsächlich einen Werth ausdrückte, und hielten nur um so fester an der althergebrachten Gewohnheit. Auffallenderweise ist aber diese so wohlangebrachte Steuer vor etlichen Jahren wieder abgeschafft worden. Die Kutscher tragen, wenn die Diener gepudert sind, weiße Perücken und sitzen dann häufig allein auf dem Bock, während jene einzeln oder auch zu zweien hintenauf stehen, in buntfarbenen sammetnen Kniehosen, hellseidenen Strümpfen und Schnallenschuhen. Unbeweglich stehen sie da, als wären sie zu nichts anderem gut, als durch die strotzende Fülle unter den schwellenden Strümpfen sich hervorzuthun.

Bei Anblick dieser prunkhaften Schau fährt mir allemal ein seltsamer Kitzel in das Spazierstöckchen, als wollte es sagen: „Laß mich doch einmal draufklopfen, zu sehen, ob das wohl alles echt ist!“

Wie Diener, Pferde und Wagen, so sind auch die eigentlichen Besucher von Rotten Row in vollem Putz. Die Toilette der Damen deutet schon zur Genüge an, daß wir uns in einem reichen Lande befinden, aber auch in einem Lande, wo der Geschmack in Bezug auf Kleidung in steter Besserung begriffen ist. Unter englischen Herren stellt man sich auf dem Festlande kaum etwas anderes vor als in karriertes Grau gehüllte Individuen, deren Tracht aber manchen jungen Herrchen dort verlockend genug erscheint, um sie, mit möglichster Vergrößerung der Karrees, sich zum Vorbild zu nehmen. Diese Nachahmer scheinen aber ganz und gar der Thatsache unkundig zu sein, daß der Engländer jene Stoffe, die für die Reise auch recht geeignet sind, eigentlich nur als Tourist trägt. Es würde aber keinem Gentleman einfallen, darin einen Besuch zu machen oder sich im Park darin zu zeigen. Hier erscheint er nicht ohne langen dunklen Gehrock und den unvermeidlichen Cylinder.

Im Parke bekommt man auch ein paar richtige englische Krieger in voller Uniform zu sehen, ein seltener Anblick in dem unkriegerischen England. Unmittelbar an Rotten Row steht, als wäre sie ein Schaustück für die Besucher des Parkes, die Kaserne der Life Guards, und vor derselben sind, wie sich’s gebührt, zwei Kürassiere in voller Waffenrüstung aufgepflanzt, große stramme Kerle, das läßt sich nicht leugnen, auf denen die Blicke des vorübergehenden Briten mit Wohlgefallen ruhen. Diese zwei grimmen Krieger müssen es sein, die ihn von der Unüberwindlichkeit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_338.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)