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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

welches die Herren sich gemacht und dessen Nummer „Extraausgaben“ für Ravenswann schon durch den Sekt ausgefüllt war.

Nach langer, fruchtloser Berathung beschlossen sie, ins Hotel zurückzukehren und bis zum Abendessen auszuruhen. Auf dem Wege zu ihrem Gasthof kamen sie an der Marxschen Hofbuchhandlung vorbei. In dem einen Ladenfenster des Geschäfts waren Kunstgegenstände ausgelegt. Ein sehr schöner Fächer erinnerte Frau Doktor Schneider daran, daß sie seit Wochen sich Geld erspart habe, um sich „unterwegs etwas zu kaufen“. Man ging also in den Laden. Kaum hatte man die Schwelle überschritten, so stieß Frau Mietze die Freundin an.

„Sie!“

„Sie,“ das war für diese beiden Frauen die Baronin Offingen, welche ihnen ebenso interessant wie verabscheuungswürdig war, – warum? das hätten sie bis jetzt kaum zu sagen gewußt, wenn man sie gefragt hätte. Gerda war ja anders als sie, das ist schon Grund genug für eine Frau, die andere zu hassen. –

Gerda sah die Eintretenden erst nicht, die sie wohl aus mannigfachen Begegnungen kannte, ohne indeß gesellschaftlich mit ihnen zu verkehren. Der langgestreckte, den großen Laden in zwei Hälften theilende Aufbau von Luxus- und Kunstartikeln auf von zierlichen Säulen getragenen Glasplatten bildete eine vielfach durchbrochene Scheidewand zwischen ihr und den beiden Damen.

„Wie bleich sie ist! Himmel, und wie elend sieht der Junge aus und wie matt er sich an seine Mama lehnt!“ wisperte Frau Schneider ihrer Freundin ins Ohr.

In diesem Augenblick sah Gerda durch eine Lücke zwischen den aufgebauten Waren die beiden Damen. Sie grüßte, ernst und höflich. Im Augenblick geschmeichelt und erfreut, dankten beide. Denn ohne daß sie es sich je gestanden hätten, erschien Gerda ihnen wegen ihres Adels, ihres mannigfachen Verkehrs mit berühmten Leuten und ihres Reichthums doch als ein Wesen aus höheren Gesellschaftskreisen. Sie ließen sich von dem Fräulein, welches nach ihren Wünschen fragte, alle möglichen Fächer vorlegen, sahen aber in der That nichts von diesen, sondern beobachteten fortwährend Gerda.

Diese schien sich von dem Verkäufer den Mechanismus eines Gegenstandes erklären zu lassen. Der Knabe hatte sein schönes Köpfchen müde an die Hüfte seiner Mutter gelegt. Nun zog Gerda den Handschuh aus, um selbst den Griff zu versuchen, den man ihr eben gezeigt hatte.

Da stieß Frau Schneider ihre Freundin heftig an. Sie sahen es beide: Gerda trug denselben Ring, den Frau Mietze vorhin erhalten, den Ring natürlich, welchen Haumond vor drei Wochen bei dem Juwelier gekauft, wie dieser letztere selbst gesagt hatte.

„Eine Frau, die sich Diamanten schenken läßt von einem Manne, der sie nicht heirathet! Was dergleichen bedeutet, weiß man ja!“ flüsterte Frau Doktor Schneider.

Sie hatte immer eine sonderbare Art zu flüstern. Ihre Stimme trug bei gedämpftem Schall weiter als bei vollem Ton. Es war, als würde sie penetranter durch die Dämpfung.

Hatte Gerda die Worte gehört? Ihr dunkles Auge ging groß über die beiden hin.

Frau Mietze antwortete nichts. Das Staunen über die Unwürde dieser Frau war zu groß. Aber sie nahm sich vor, wenn die Offingen früher den Laden verlassen sollte, sie nicht zu grüßen.

In der That ging Gerda jetzt. Frau Ravenswann und Frau Schneider thaten, als wenn sie es nicht bemerkten.

„Warum grüßtet Ihr die schöne Frau nicht?“ fragte Doktor Schneider, der nach Tisch zuweilen aufgelegt war, Schönheit zu bewundern.

„Aber ich bitte Sie,“ sagte Frau Mietze leise, mit den Bekannten zu einer enggeschlossenen Gruppe zusammentretend, wobei es doch unausbleiblich war, daß die Verkäufer hören mußten, was sie sprachen, „alles hat doch seine Grenzen! Eine Frau, die fortwährend so der Sitte ins Gesicht schlägt, mit der kann man nicht einmal durch einen Gruß verkehren. Ich s–preche gewiß nicht leicht etwas Böses von den Leuten, aber alle Welt sagt es, daß Haumond täglich und s–tundenlang bei ihr war. Dann reisen sie zusammen in die Nacht hinein, wohnen zusammen, und sie nimmt Diamanten von ihm an. Das ist doch s–tark!“

„Darf ich noch diesen Fächer zeigen?“ fragte die Verkäuferin.

Die Gruppe fuhr auseinander und die beiden Frauen fanden nun die genügende Gemüthsruhe zur Fächerauswahl.




7.

Daß schon drei Wochen vergangen sein sollten, seit sie die Mutter verloren hatte, erschien Germaine fast wie ein Traum. Das Gleichmaß der verflossenen Tage ließ diese dem rückblickenden Geiste alle wie einen erscheinen und nahm der Erinnerung die Fähigkeit, ihre Dauer so recht zu unterscheiden.

Jeder Tag hatte denselben Inhalt gehabt: am Morgen ein Spaziergang nach dem Kirchhof, am Nachmittag ein kurzer Besuch von Alfred. Dazwischen und nachher einsame Stunden, die mit Handarbeit und Lesen ausgefüllt wurden. Und außerdem die bescheidenen Mahlzeiten, welche die alte Dienerin bereitete und mit ihrer Herrin nahm.

Das Leben hatte Germaine Geduld gelehrt, aber die eintönige Nutzlosigkeit dieser Zeit begann ihr unerträglich zu werden. Wenn Alfred nicht gewesen wäre, hätte der Unmuth, der langsam in ihr keimte, sie schon übermannt. Für ihn und die Lichtblicke, welche seine Fürsorge ihr brachte, hatte sie heiße Dankbarkeit im Herzen. Man konnte nicht zartfühlender, unbefangener, brüderlicher sein als er mit ihr. Keinen Augenblick ließ er es sie empfinden, daß vielleicht unerwünschterweise ihm die Antheilnahme an dem fremden Mädchen aufgezwungen sei. Er kam und ging in immer gleicher Güte, er besprach mit ihr alle die kleinen Verhältnisse von Geld und Sachen, die ganze bescheidene Erbschaft der Armut und half ihr alles ordnen. Die vollkommene Freiheit, die er innerlich dem Gelde gegenüber besaß, war ihr eine doppelte Wohlthat nach den Demüthigungen, welche sie und die Mutter gerade um des Geldes willen erduldet hatten. Mit der größten Unbefangenheit sprach er davon, daß dies oder jenes sich ihm als zu theuer verböte, und ebenso unbefangen rechnete er für Germaine. Reichthum oder Armut war ihm etwas Nebensächliches, mit dem man sich auch nebenher abzufinden hatte.

Germaine bemerkte wohl, daß ein Hauch von Trauer durch sein Wesen ging; sie war klug genug, um zu beobachten, daß die Ruhe, die er zeigte, nicht eine Charaktereigenschaft, sondern nur Fassung des Augenblicks war. Auch fiel ihr auf, daß er sein Versprechen nicht gehalten hatte und sie nicht der Baronin Offingen zuführte, noch überhaupt dieser Frau je mehr erwähnte. Es war demnach unschwer für sie, einen Zusammenhang seiner Melancholie mit dieser Frau zu ahnen. Aber eben weil sie dies ahnte, fragte sie nie mehr nach der Dame, der sie doch einen Dank schuldig war für die letzte Ehre, welche jene ihrer Mutter erwiesen hatte.

Alfred aber dankte ihr das Taktgefühl, welches sie schweigen hieß. Frauen, die fragen und neugierig immer bis auf den Grund von Gemüthsstimmungen und Ereignissen gehen, konnte er nicht ertragen.

Heute saß Germaine im Garten, vor einem der von Clematis umrankten Bogen, las in einem Buch, das Alfred ihr gebracht hatte, und sah zuweilen hinüber nach der Allee, wo eben die nachmittägige Korsofahrt begann und wo auf dem Fußsteige eine fast ununterbrochene Reihe von Spaziergängern vor der Front der dunklen Ulmenstämme buntfarbig hinzog.

Alfred kam durch den Garten auf sie zugegangen. Vor seinem Auge stand noch die steife Ungrazie der Frau Ravenswann und die gezwungene Jugendlichkeit der Frau Schneider. Das Bild, das er jetzt sah, war so harmonisch schön, daß er sich daran erquickte.

Das blonde Haupt in dem Blüthenrahmen, die schöne, schwarzgekleidete Gestalt vor der grünen Blätterwand, das feine Profil vor dem weit zurücktretenden dunklen Hintergrund – wahrlich, Germaine war schön, und wenn ihre Mutter auch einst so gewesen, ließ sich seines Vaters Liebe wohl begreifen. Und dabei fiel ihm gerade jetzt wieder diese Aehnlichkeit auf, die Aehnlichkeit – ja, mit wem denn? Ihn gemahnte es – ja, an was denn?

„Guten Tag!“

Er nannte sie nie „Fräulein Thomas“, das wollte ihm merkwürdigerweise nicht über die Lippen; der Name und das Mädchen schienen ihm wie zwei verschiedene Dinge. „Germaine“ mochte er auch nicht sagen, weil dies eine Vertrautheit andeutete, die ihm ihr Alleinstehen verbot.

Mit freudigem Aufblick nahm sie seine Hand.

„Schon? Es ist noch nicht Ihre Stunde, aber desto besser! Ich hatte gerade viel und Ernstes gedacht, über das ich mit Ihnen sprechen muß. Und Schwierigkeiten scheinen nur zu wachsen, wenn man lange über sie nachsinnt.“

Alfred trug sich einen Gartenstuhl herbei und setzte sich. Der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_328.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)