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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Letztere bleibt für den Vermiether, dem der Miether den Eintritt in die Wohnung verwehrt, selbst dann etwas Gewagtes, wenn er sich im Miethvertrage das Recht vorbehalten hat, die Miethsräume zu bestimmten Zwecken zu betreten.

Als ein interessanter Fall sei hier noch der erwähnt, wo das Eindringen in eine Wohnung zum Zwecke der Löschung eines Brandes geschieht. Dasselbe wird als nicht widerrechtlich angesehen, auch wenn der Inhaber, der etwa selbst den Brand angelegt haben mag, den Hilfsbereiten zum Weggehen auffordert; denn bei solchen gemeingefährlichen Unglücksfällen wie Brand und Wassersnoth ist ein jeder Staatsbürger zur Hilfeleistung verpflichtet und daher auch berechtigt. Ein jeder ist bei Brandunglück Feuerwehrmann, und solange ein solcher wirklich sich in seinem Berufe befindet, muß ihm gegenüber, wenn die Gefahr nicht anders bekämpft werden kann, die Rücksicht auf Privatrechte weichen.

Im allgemeinen aber halte man fest: widerrechtlich kann ein Eindringen auch dann sein, wenn das Verbot des Inhabers der Räumlichkeit, diese zu betreten, gänzlich unberechtigt ist. Es ist eben die unerlaubte Selbsthilfe, welche das Eindringen zu einem widerrechtlichen macht.

Was heißen ferner die Worte: „Wer, wenn er ohne Befugniß darin verweilt, sich auf die Aufforderung des Berechtigten nicht entfernt“?

Man kann eine Wohnung rechtmäßigerweise betreten haben, das Verweilen in derselben kann aber in der Folge zu einem unberechtigten werden.

Der Gerichtsvollzieher oder ein anderer Beamter, der in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes ein Haus betritt, hat, wenn seine amtliche Thätigkeit beendet ist, auf ferneres Verweilen keinen Anspruch. Der Privatmann, der mit der Erlaubniß des Inhabers eine Wohnung betreten hat, muß sich gleichfalls auf dessen Geheiß entfernen. Das fernere Verweilen ist also in diesen Fällen „unbefugt“.

Daher ist auch die weit verbreitete Ansicht falsch, als sei eine dreimalige Aufforderung an den Verweilenden, sich zu entfernen, erforderlich, es genügt vielmehr eine einmalige Aufforderung. Freilich ist schon so entschieden worden: „Wer mit der Erlaubniß des Inhabers verweilt, verweilt ‚befugt‘, und es muß daher die erste Aufforderung an ihn ergehen, um sein Verweilen zu einem unbefugten zu machen, und die zweite Aufforderung ist dann erst die, von welcher der Paragraph spricht.“

Andere aber urtheilen strenger und richtiger: „Ein jeder, der in einem Lokale nur geduldet wird, verweilt ‚unbefugt‘ in demselben, denn unbefugt heißt so viel als ‚nur geduldet‘, ohne einen auch gegen den Inhaber wirksamen Anspruch.“

Falsch ist auch die volksthümliche Auffassung, als müsse die Aufforderung ausdrücklich, oder gar mit bestimmten Worten geschehen. Sie kann vielmehr in jeder erkennbaren Weise, sei es durch beliebige Worte, sei es auch durch Handlungen, gültig ergehen. Das aber ist nothwendig, daß sie ernsthaft gemeint und als ernsthaft erkennbar sei. Wenn der Aufgeforderte sie nicht für ernst hält, so zeigt er durch sein Verweilen auch nicht die Absicht, das Hausrecht zu verletzen; aber er wird oft Mühe haben, das Gericht zu überzeugen, daß er die Aufforderung wirklich für Scherz gehalten hat, wenn nicht besondere Umstände für ihn sprechen. –

Wir sagten eben, unbefugt ist jedes nur geduldete Verweilen; daher ist das Verweilen des Dienstboten noch kein unbefugtes, wenn er plötzlich, ohne daß er durch grobe Vergehen u. dgl. Anlaß dazu gegeben hat, ohne Kündigung aus dem Hause gewiesen wird; denn er wird nicht bloß im Hause geduldet, sondern hat einen Anspruch darauf, während der gesetzlichen Kündigungsfrist, wie sie die Gesindeordnung vorschreibt, im Hause zu bleiben, falls eben nicht Thatsachen vorliegen, bei welchen nach der Gesindeordnung eine sofortige Entlassung ohne Kündigungsfrist erlaubt ist, oder falls er nicht auf die Einhaltung dieser Frist selbst verzichtet hat.

Wer ist nun berechtigt, eine solche Aufforderung zu erlassen?

Berechtigt ist vor allem nur der wirkliche und gesetzlich als solcher betrachtete Inhaber der Wohnung etc., und er ist es nur demjenigen gegenüber, der dieselbe rechtlich nicht innehat.

Wenn also der Miether nach Ablauf des Miethvertrages die Wohnung trotz der Aufforderung des Vermiethers nicht verläßt, so macht er sich noch keines Hausfriedensbruches schuldig, denn der Vermiether ist ja noch nicht wieder im Besitze der Wohnung, sondern will sich noch erst in den Besitz derselben setzen, der Miether aber kann, wenn er nicht freiwillig geht, erst durch den Gerichtsvollzieher aus dem Besitze gesetzt werden. –

Die Frage, wer unbefugt verweilt und wer zur Aufforderung berechtigt ist, kommt auch in dem Falle in Betracht, wenn ein Wirth einem Verein, einer geschlossenen Gesellschaft, einer Religionsgesellschaft, einer Theatertruppe, einer Hochzeitsgesellschaft, einem Gemeinderath etc. sein Lokal für eine gewisse Zeit allein und ausschließlich überläßt. Dritten gegenüber ist der Vorstand dieses Vereins etc. natürlich berechtigt, die Aufforderung, sich zu entfernen, zu erlassen. Ob er aber auch den Wirth oder die von demselben zum Verweilen in dem überlassenen Raum Ermächtigten hinaus weisen kann, hängt von dem Vertrage ab. Meistens liefert der Wirth Heizung, Beleuchtung, Speisen und Getränke, meist behält er ja auch eine Verantwortlichkeit für das, was in dem Lokale vorgeht, selten wird er sich des Aufsichtsrechts in demselben vollständig begeben, und so kann er es auch betreten, jedenfalls zu den angegebenen Zwecken. Möglich aber ist es auch, wie z. B. bei der Ueberlassung an eine Religionsgesellschaft zum Zwecke religiöser Uebung oder an einen Gemeinderath, daß er sich des Lokals für eine bestimmte Zeit ganz begiebt, und dann steht er allerdings zu dem Inhaber desselben in demselben Verhältniß wie der Vermiether zum Miether. Solche Verhältnisse lassen sich, wenn auch nach allgemeinen Grundsätzen, so doch nur nach den Umständen des Falles entscheiden, die zu mannigfaltig sind, als daß sie im voraus erschöpft werden könnten.

Nicht aber der Inhaber allein für seine Person, sondern auch in seiner Abwesenheit ein jeder, der von ihm beauftragt ist oder im Interesse der öffentlichen Ordnung als beauftragt gelten muß, wie die Ehefrau, die erwachsenen oder handlungsfähigen Kinder, das Gesinde und sonstiges Personal, ist berechtigt, dritte, die unbefugt verweilen, zur Entfernung aufzufordern. Auch der Beamte übt und wahrt in seiner Amtsstube das Hausrecht desjenigen, der ihn angestellt hat.

Nun bleibt noch zu erklären, was es heißt, „sich entfernen“.

Es ist klar, ein verzögertes Entfernen ist noch kein Nichtentfernen. Es mag vorkommen, daß ein zum Gehen Aufgeforderter nachträglich sich entschuldigen, um Verzeihung bitten oder daß er ein Mißverständniß aufklären will, welches die Aufforderung veranlaßt hat. Wenn das wirklich der Fall ist, so mag es sein, daß er durch sein Verweilen nicht das Hausrecht verletzen, daß er vielmehr der Aufforderung Folge leisten will, wenn er sich auch langsam oder erst nach einiger Zeit entfernt. Aber vorsichtiger ist es jedenfalls, sofort zu gehen, denn der Richter mißt nicht allen Entschuldigungen des Angeklagten Glauben bei.

Unrichtig ist auch die Meinung, ein zum Verlassen des Lokals vom Wirthe aufgeforderter Gast dürfe das Bestellte und Erhaltene erst verzehren, bis er sich zu entfernen braucht. Er könnte das Verzehren so langsam betreiben, daß das Hausrecht eines Wirths dadurch vereitelt würde. Der Gast muß sofort gehen und kann höchstens vom Wirthe die Nachlieferung und Aushändigung des Bezahlten verlangen. Endlich sei noch bemerkt, daß der Gast durchaus keinen Anlaß zu der Aufforderung gegeben zu haben braucht. Das Hausrecht des Wirths oder sonstigen Inhabers eines öffentlichen Lokales geht so weit, daß er jeden aus der Gaststube weisen kann. Doch glaube man nur nicht, daß der Wirth das Recht habe, den Gast ungestraft zu beleidigen. Er darf alles, was zur Wahrung seines Hausrechts nöthig ist, aber auch nur dieses thun. Eine Aufforderung also, die in beleidigender Weise oder ohne triftigen Grund an einen anständigen Gast erginge, könnte den Wirth wegen Beleidigung strafbarer machen als den Gast, der dieser Aufforderung nicht Folge leistet.

Wir haben nun den Paragraphen Wort für Wort erklärt. Man muß aber bei der Erklärung eines Gesetzes auch den Sinn und den Zweck desselben im ganzen ins Auge fassen.

Der Zweck des § 123 ist nun der, das Hausrecht zu schützen. Erst wenn man sich diesen Zweck klar macht und sich nicht blind an den Wortlaut hält, kann man ihn auf alle Fälle richtig anwenden.

Wenn z. B. ein Wirth seine Gäste bei Eintritt der Polizeistunde auffordert, das Lokal zu verlassen, so machen sich diese durch Nichtbeachtung dieser Aufforderung noch nicht eines Hausfriedensbruches schuldig; denn der Wirth macht ja noch nicht von seinem Hausrechte Gebrauch, sondern erfüllt nur, vielleicht sogar

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_250.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)