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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


schön, ja fast bezwingend ihre Züge und ihre Erscheinung waren. Mit ihren ernsten Augen sah sie ihn an.

„Sagen Sie mir, was Sie denken!“ befahl sie einfach.

„Ich denke,“ antwortete er, ihr fest in die Augen sehend, „ob es in der That nicht möglich war, Alfred heute abend diese Menschen zu ersparen.“

„Nein!“ sagte sie traurig. „Er weiß, daß ich für Dienstag abend stets einige Bekannte einzuladen pflege. Und vor anderthalb Stunden bekam ich jenen Rohrpostbrief, in welchem die Worte standen: ‚Ende diesen Zustand, ich ertrage ihn nicht mehr!‘ In solch kurzer Frist kann man nicht geschehene Einladungen rückgängig machen, ohne zu gewärtigen, daß den einen oder andern die Absage nicht mehr daheim trifft.“

Marbod erinnerte sich, daß Alfred auf dem Wege zum Zoologischen Garten plötzlich, aus brütendem Sinnen auffahrend, in ein Postbureau getreten war mit den Worten. „Ich habe eine Zeile zu schreiben.“

„Dann wäre es besser gewesen, ihm sein Glück erst zu verkünden, wenn die andern Gäste gegangen,“ sagte Marbod, „denn er leidet.“

„Wie – ich hätte, das erlösende Wort auf stummen Lippen zurückhaltend, viele Stunden seine Gegenwart ertragen sollen? Nein, ich muß alles, was meine Seele bewegt, gleich aussprechen, oder ich leide, wie bei Gewitterluft,“ sagte sie.

Sie hatte eine merkwürdige Art zu sprechen; ruhig und maßvoll im Zeitmaß, aber etwas gedrückt im Ton, so daß jede Rede bei ihr als Aeußerung gewaltsam beherrschter Leidenschaft erschien.

Marbod fühlte auch, daß von ihr ein Zauber ausging, den er hätte einen wehmuthsvollen nennen mögen, und doch konnte er sich nicht erklären, woher ihr dieser kam.

„Aber ich habe ihm das Kind gelassen,“ sprach sie weiter, da er schwieg; „er liebt es, und seine Gegenwart macht ihn zufrieden. Sonst ist dies eine Stunde, wo Sascha schon schlummert.“

„Ich wußte nicht, daß Alfred so kinderlieb ist.“

„Vielleicht ist er es mit Auswahl. Meinen Knaben betet er an, er liebt mich oft nur um seinetwillen – o ja, in Stunden! Ich fühle es. Ein geheimnißvolles Band schlingt sich um die beiden. Wenn Sascha fiebert, wird ihm wohl, sobald Alfreds Hand auf seinem Haupte liegt. Das beglückt und quält mich zugleich. Alfred wird eines Tages beklagen, daß der Knabe nicht sein Sohn ist,“ sagte sie.

„Auf einen Todten, den er nicht kannte, auf eine Vergangenheit, an die er kein Recht hatte, kann er nie eifersüchtig sein,“ sprach Marbod bestimmt.

„Das fürchte ich nicht. Ich liebte meinen ersten Gatten von Herzen und war zufrieden, glücklich mit ihm. Das weiß Alfred, und auch, daß es langer Zeit bedurfte, ehe diese Wunde, die der Tod geschlagen, heilte. Vielleicht verstehen Sie mit der Zeit, wie ich es meine,“ sagte sie langsam.

Marbod seufzte. Und seine Gedankenfolge mit einer lauten Bemerkung abschließend, sagte er vor sich hin:

„Es giebt in der Liebe keine äußeren, es giebt nur innere Hindernisse. Euer Leben scheint ein glatter Weg zu sein, auf dem Ihr ohne Schwierigkeiten zu einander gelangen könnt, und Ihr selbst thürmt Euch tausend Steine des Anstoßes in den Weg.“

Gerda sah ihn groß an.

„Aber wir lieben uns,“ sprach sie nach einer Pause, „wir werden uns besiegen.“

Ihm erzitterte das Herz. In den einfachen Worten lag eine Gewalt des Ausdrucks, vor der er erschrak.

Sie schwiegen beide lange. Aus den andern Räumen klang Lachen, und jetzt fing die Mara wieder an zu singen. „So laßt uns das Leben genießen.“

Doktor Bendel erschien im Zimmer.

„Pardon, wenn ich eine konfidentielle Unterhaltung störe. Aber Donizetti singen hören ist schon so schlimm, daß ich ihn nicht noch singen sehen will – die Mara glaubt sich dabei zu bacchantisch sein sollenden Gesten verpflichtet,“ sagte er heiter. „Ueberdies singt sie das Trinklied in jeder Gesellschaft. Das werden Sie bald bemerken, lieber Doktor.“

„Ich werde dazu kaum Gelegenheit haben.“

„Wie, so fremd, oder so einsiedlerisch?“

„So fremd. Außer Alfred kenne ich nur den Assessor Ravenswann,“ sagte Marbod.

„Den im Finanzministerium?“ fragte Doktor Bendel; „er soll ein Mensch ohne eigene Gedanken, mit eiserner Arbeitskraft, hochmüthig gegen die Untergebenen, devot gegen die Vorgesetzten sein. Er kann es noch zu hohen Amtswürden bringen, bei den Fähigkeiten.“

„Er und seine Frau sind Leute, die, wenn man von der großen Zeitordnung im Planetensystem spricht, gleich auf den richtigen Gang ihrer Taschenuhren zu sprechen kommen,“ sagte Gerda mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit.

„Also alles in allem Menschen,“ schloß Marbod, „die nicht selbst erleben, sondern bloß, was andere erleben, glossieren. Da freilich werde ich mich nach mehr und vielseitigeren Beziehungen umschauen.“

Jetzt erschien Alfred im Zimmer, auf seinem Arm den schlaftrunkenen Knaben.

„Es ist bald zehn Uhr,“ sagte er; seine Stimme klang fast tonlos wie die jemandes, der sich bei zu vielem Sprechen ermüdet hat. „Es hieße die Unvernunft auf die Spitze treiben, das arme Kind noch länger hier zu halten. Sie gestatten, daß ich es in sein Stübchen bringe.“

„Aber beeilen Sie sich! Wir werden gleich zu Tisch gehen,“ rief Gerda ihm nach.

An der Thür zögerte Alfred. Er sah die Geliebte an, durchdringend und ernst. Sie ging auf ihn zu, wie es Marbod schien mit unsicherem Schritt. Dann knieete sie vor ihrem Knaben nieder. Sie umarmte das schon halb schlafende Kind und gab ihm einen langen Kuß auf die Stirn. Dabei suchte ihr Auge das des Mannes.

Und dann ging er mit dem Kinde.

Man wartete noch einige Minuten auf ihn, nachdem der Diener schon gemeldet hatte, daß man zu Tisch gehen könne. Gerda war so unruhig, daß sie sich kaum beherrschen konnte, fürchtete aber auffällig zu werden, wenn sie selbst ging, nach Alfred zu sehen.

Sie bat Marbod, ihn zu rufen.

Dieser ließ sich vom Diener das Zimmer des Knaben zeigen und trat dann in ein Kabinett, in welchem ein mattes, grüngedämpftes Licht schwamm. Eine Thür gähnte auf in einen dunklen Raum, der vermuthlich Gerdas Zimmer war. In dem Kabinett befand sich außer dem Kindertischchen und einem Spielzeugschrank nur ein von Spitzen und grüner Seide umhangenes Bett. Und dort schlummerte im wohligen Schatten der schöne Knabe.

Marbod beugte sich lauschend über ihn, um zu hören, ob er wirklich schlafe, oder Auskunft geben könne, wo Alfred geblieben sei. Da bemerkte er auf der seidenen Decke einen Zettel, nahm ihn und las, an das Nachtschränkchen, auf dem die Lampe brannte, herantretend.

„Ich bin fortgegangen. Ich ertrug es nicht.“

Er kehrte in die Wohnräume zurück. Gerda erwartete ihn schon an der Thür und nahm mit bebenden Fingern den Zettel.

Und dann beobachtete er, wie mit Sekundenschnelle die tiefe Erregung in ihrem Gesicht einer stolzen Fassung Platz machte. Ihr Auge blitzte und ihr Mund konnte den Gästen freundliche Worte sagen. –

Als Marbod in dieser Nacht in sein Hotel zurückkehrte, beherrschte in seiner Erinnerung alle wechselnden, einstürmenden Eindrücke des Tages die Gestalt dieser Frau. Und er dachte, seine tiefen Sorgen, die ihm um ihret- und Alfreds willen erwachten, niederkämpfend:

„Frauen, wie sie eine ist, fällt das Glück nicht fertig vom Himmel: sie bauen es sich aus den Lavasteinen der Selbstüberwindung auf.“




2.

Seit Stunden wachte Alfred. Eine immer wachsende Ungeduld bemächtigte sich seiner, aber er war wie jeder Mensch der Sklave seiner Hausordnung. Seinem Wunsch, aufzustehen und den Tag zu beginnen, konnte er nicht Folge geben. Alles im Hause schlief noch, die Wirthin, sein Diener, das Feuer auf dem Herde. Er hatte das Bedürfniß, etwas zu lesen und zu schreiben, irgend eine Arbeit zu versuchen, aber seine Zunge und seine Lippen brannten ihm trocken, er fühlte eine körperliche Schwäche und hatte, fast wie ein eigensinniger Kranker, das gierige Bedürfniß nach einem erquickenden Getränk. Das Wasser auf seinem Nachttischchen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_243.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)