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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


bezeichnete, verrieth eine abgöttische Liebe, wie sie eben nur begeisterungsfähige Kinder für schöne, liebenswürdige Männer haben, die ihnen viel Zeit und Neigung schenken.

Kennst Du ihn schon lange?“ fragte Marbod weiter.

„Seit wir hier wohnen, schon ein Jahr. Er besucht mich und Mama jeden Tag. Er hat mich lesen gelehrt und ‚Heil Dir im Siegerkranz‘ auf dem Klavier. Ich habe immer zu Mama gesagt, ich möchte wohl, daß er mein Papa wäre. Und nun wird er es. O, dann ist er den ganzen Tag bei uns,“ sagte Sascha mit leuchtendem Gesicht.

„Du liebst ihn wohl sehr?“ fragte Marbod, ergriffen seine Hand auf die dunklen Locken legend.

„Ja!“ sagte der Knabe.

Es war ein seltsames „Ja“. Kurz, ernst, von eiserner Bestimmtheit. Ein „Ja“ wie aus dem Munde eines Mannes, der ein Gelöbniß für das Leben macht. Marbod hatte dabei das Gefühl, daß dieses Kind beängstigend eindringlich denke und empfinde. Und ihm schien, als stände in dem blassen, durchsichtigen Antlitz eine fremde, unirdische Schrift wie auf den Stirnen von Todgeweihten.

Sein Gespräch mit Sascha, bei dem er seine wohllautende Stimme keineswegs gedämpft hatte, mochte die beiden da drinnen gemahnt haben, sich ihrem Glücksrausch zu entreißen. Sie erschienen auf der Schwelle, und das Kind lief ihnen entgegen, beider Kniee zugleich umfassend.

(Fortsetzung folgt.)




Theater-Rothwelsch.

Von Max Grube.

Unser Geschlecht gleicht ein wenig dem neugierigen Kinde, das nicht eher ruht, bis es sein Spielzeug recht innerlich untersucht und sich hierdurch die Freude daran recht gründlich verdorben hat. Wir zerstören uns gar zu gern unsere Illusionen, wir sehen gar zu gern hinter den Vorhang, wir „interviewen“ große Männer, aber noch lieber ihre Kammerdiener, wir bringen uns große Geister durch die Nachlese ihrer Waschzettel und Schneiderrechnungen „menschlich näher“, wir wollen schließlich von allem, was wir selbst nicht machen können, doch wenigstens wissen, wie es gemacht wird. „Wie wird man Schriftsteller?“ „Wie wird man Schauspieler?“ – es sind nicht unklug geleitete Blätter, welche ihren Lesern die mehr oder minder interessanten oder gar „sensationellen“ Enthüllungen und Bekenntnisse berühmter Künstler auftischen können. Sie haben ein „groß Publikum“.

Zum Glück ist eine lebendige Kunst kein todtes Spielzeug. So modern es auch ist, hinter die Coulissen zu schauen, noch übt das Theater auf Tausende denselben Einfluß, denselben geheimnißvollen Zauber wie zu jenen kindlicheren Zeiten, wo man sich willig und ohne nach dem Ursprung zu forschen, der Täuschung hingab. Wie vertraut man heutzutage mit den Geheimnissen der Bühne ist, erhellt wohl am besten daraus, wenn man beobachtet, wie sehr unsere Sprache mit Ausdrücken, die der Theatersprache entlehnt sind, durchsetzt ist, wie leicht wir in solchen Redewendungen und Bildern sprechen, fast ohne uns mehr ihrer Herkunft bewußt zu sein.

Das ist Ihnen wohl noch gar nie aufgefallen, liebenswürdige Leserin? Wenn Sie aber z. B. folgenden Satz aus dem Zusammenhange herausgerissen in einem Zeitungsblatte fänden: „Der Rede folgte nur der ‚Applaus‘ der ‚gut inscenirten‘ ‚Claque‘. Der ‚tragische Held‘ ist gründlich ‚abgefallen‘, hat ‚seine Rolle ausgespielt‘, nie wird ihn ein ‚Stichwort‘ wieder ‚auf die Scene rufen‘, er kann nur noch ‚komische Partien‘ ‚kreieren‘, wenn er nicht ganz zum ‚Komparsen‘ herabgesunken ist, dem von anderer Seite ‚soufflirt‘ wird. Nach diesem verunglückten ‚Debut‘ wird kein ‚Gastspiel‘ mehr erfolgen können, sondern bald wird der ‚Vorhang‘ über dieser traurigen ‚Komödie‘ sich senken.“

Wenn Sie das lesen, so wissen Sie gewiß nicht, ob hier von einem Handlanger der Kunst oder vielleicht vom General Boulanger die Rede ist.

Aber doch giebt es noch eine ziemliche Anzahl von terminis technicis, von Ausdrücken der Kunstsprache, wenn man es vornehm – des Theater-Rothwelsch, wenn man es einfacher ausdrücken will, welche noch nicht so allgemein und oft über die Rampen ins Publikum gekollert sind, und das sind vielleicht die merkwürdigsten, denn wie bei großen und mächtigen Völkerschaften, so kann man auch bei dem kleinen und heiteren Bühnenvölkchen vom sprachlichen Gebiete aus historische Rückblicke thun.

Macht es Ihnen Vergnügen, mit mir einen kleinen sprachforschenden Ausflug ins Theaterland zu unternehmen? Er ist weder mühsam, noch wird er gar zu lange dauern, denn unser Sondersprachschatz ist nicht gerade reich. Man könnte auch nicht gerade behaupten, daß er sich durch eigenthümliche Schönheiten des Ausdrucks auszeichnete – uns ist er doch geläufig und nicht unlieb, wir kramen immer wieder darin herum, sei es auch nur im Scherze, und wenn wir unter uns in der „Bude“ sind.

Wenn wir unser stolzes und säulengeschmücktes Schauspielhaus eine „Bude“ nennen, wenn wir vor dem Betreten unserer mit aller ausgesuchten Pracht ausgestatteten Bühne sagen, wir steigen aufs „Brettel“, so wollen wir keineswegs damit beide herabsetzen. Wir sind in diesem Falle nur keine stolzen oder eingebildeten Emporkömmlinge, sondern wir gleichen dann dem tüchtigen self-made man, dem Manne, der, wenn er auch aus niederen Verhältnissen aufstieg, sich seiner Herkunft doch nicht schämt, vielmehr gern bei der Erinnerung an die schweren und harten Jahre des Anfangs verweilt.

So mahnt uns die „Bude“ an jene weit entlegenen und darum poetisch verklärten Zeiten, wo die meisten „deutschen Komödianten“ ruhelos von Ort zu Ort zogen. Der italienischen Oper, dem französischen Ballet waren in den Residenzen prunkende Paläste errichtet, dem deutschen Komödiantenmeister oder Schauspielprinzipal – wie man damals den späteren „Directeur“ nannte – wurde auf sein submissestes Gesuch höchstens gnädigste Permission gegeben, vor dem Thore auf eigene Kosten und Gefahr eine „Bude“ aufzubauen.

Da kommt „einer vom Bau“, heißt es dann auch wohl in der Theatersprache von einem Kollegen, und diese Benennung ist gewiß älter und ehrwürdiger als die bekanntere: „Fettschminke“, denn Fettschminke ist erst eine Erfindung der neuesten Zeit. Die alten „Seelenmaler“ trugen entweder trocken gepulverte oder in Wasser geschlemmte Farben auf das Antlitz auf, und in welchen Massen dies geschehen mußte, läßt sich leicht ermessen, wenn man an die spärliche Leuchtkraft der Talgkerze oder der Oellampe denkt.

Heute lächeln wir, wenn wir in des Dichters Klingemann Reisewerk „Kunst und Natur“ blättern und an die Stellen gelangen, in welchen er über die Beleuchtungsanstalten der besuchten Theater spricht, denen er als bühnenerfahrener Mann große Aufmerksamkeit zollt. Als auffallend prächtig erhellt rühmt er das Leipziger Theater. Wir aber vermögen uns kaum vorzustellen, wie selbst der verhältnißmäßig kleine Raum des jetzigen sogenannten alten Theaters in der Pleißenstadt durch den Kronleuchter von Oellampen genügendes Licht erhalten haben soll.

Aber in Leipzig, das auch in seiner Neigung und seinem Verständniß für die dramatische Kunst seinen ihm vom Altmeister Goethe verliehenen Beinamen „Klein Paris“ bis auf diesen Tag mit hohen Ehren zu behaupten weiß, in Leipzig ging das Gestirn der Fettschminke auf, welche von dem Schauspieler Baudius erfunden oder doch vervollkommnet wurde. Baudius wurde durch seine Art, sich zu schminken, oder wie es in der Kunstsprache heißt: „Maske zu machen“, berühmt. Selbst sein von der Natur stiefmütterlich behandeltes Riechorgan wußte er durch kühnes Auftragen einer geeigneten Masse passend zu verändern und führte daher in der Kunstwelt den stolzen Namen: Nasenbaudius. Hierüber lache keiner, der nicht zu ermessen vermag, welches Hinderniß ein ungenügender „Gesichtserker“ einem Bühnenkünstler sein kann.

Lange Zeit bereiteten sich die alten Komödianten, wie die alten Maler, ihre Farben selbst. Mischungen und Rezepte wurden hoch und geheim gehalten, jeder hatte sein eigenes System, sich „das Lederzeug anzustreichen“. Das ist der wenig zartfühlende Ausdruck unseres Wörterbuchs für „schminken“, und, ich bekenne es schaudernd, er findet sogar auf die rosigzarten Teintauflagen unserer Damen Anwendung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_227.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)