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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Mulde gedeckt und auch noch an ihrem oberen Rande einen Kranz von solcher Dicke herstellt, daß er, wenn die Ente das Nest verläßt, zu einer alle Kälte von den Eiern abhaltenden Decke verwendet werden kann. Noch ehe sie die innere Auskleidung gänzlich vollendet hat, beginnt sie, ihre verhältnißmäßig kleinen, glattschaligen, schmutzige oder graugrünen Eier zu legen, bis der aus sechs bis acht, seltener weniger oder mehr Eiern bestehende Satz vollzählig, geworden ist.

Auf diesen Zeitpunkt hat der Normann gewartet. Eigennutz war es, welcher ihn zum Gastfreunde des Seevogels werden ließ. Der Gastfreund wandelt sich jetzt zum Räuber. Rücksichtslos entnimmt er dem Neste die Eier, ohne Bedenken auch die innere, aus den kostbaren Dunen bestehende Ausfütterung. Vierundzwanzig bis dreißig Nester liefern ein Kilogramm an Dunen im Werthe von mindestens dreißig Mark an Ort und Stelle; diese Zahlen erklären die Handlungsweise des Normanns besser als jede andere Auseinandersetzung.

Traurigen Herzens sieht die Ente ihre diesjährige Hoffnung vernichtet; bestürzt und erschreckt fliegt sie aufs Meer hinaus zu dem ihrer harrenden Gatten, der sie bald zu trösten weiß. Noch regt sich Frühlingslust und Frühlingsmuth in beider Herzen; nur wenige Tage, und unsere Ente watschelt, als wäre ihr nie etwas geschehen, wiederum auf das Land hinaus, um ein zweites Nest zu errichten. Wahrscheinlich meidet sie diesmal die frühere Stelle und begnügt sich mit dem ersten besten noch nicht vollständig besetzten Tanghaufen. Wiederum schaufelt und rundet sie eine Mulde, und wiederum beginnt sie suchend im eigenen Gefieder zu nesteln, um die ihr unumgänglich nothwendig scheinende Dunenauskleidung zu beschaffen. Doch wie sehr sie sich auch müht, wie lang sie den Hals streckt, in wie verwickelte Schlangenwindungen sie ihn legt, ihr Vorrath ist erschöpft. Wann aber wäre eine Mutter, und liefe sie in Entengestalt über die Erde, rathlos gewesen, wenn es sich darum handelte, für ihre Kinder zu sorgen? Auch unsere Ente ist es nicht. Sie selbst hat keine Dunen mehr – ihr Gatte trägt solche noch unversehrt auf Brust und Rücken. Jetzt muß er zur Stelle. Und wie sehr er sich vielleicht auch sträubt, er ist der Gatte und sie die Gattin, das heißt, er gehorcht. Rücksichtslos nestelt die besorgte Mutter ihm im Gefieder, und binnen wenigen Stunden, mindestens binnen zwei Tagen, hat sie ihn ebenso kahl gerupft, als sie selbst ist. Daß nach solcher Behandlung der Enterich, sobald er kann, aufs hohe Meer hinausfliegt, fortan für einige Monate nur mit seinesgleichen verkehrt und sich um die brütende Gattin und werdende Brut nicht im geringsten mehr kümmert, ist sehr begreiflich. Und wenn man wirklich, wie es auf allen Brutinseln der Fall, noch einen Enterich neben der brütenden Ente stehen sehen sollte, so kann dies nur ein solcher sein, welcher noch nicht gerupft wurde.

Unsere Ente brütet nunmehr eifrig Und jetzt erweckt sich ihr Hauskleid als das einzige geeignete, ich möchte sagen, einzig mögliche Gewand, welches sie tragen kann. In dem das Nest umgebenden Tange verschwindet sie vollständig, selbst vor dem scharfen Falken- oder Seeadlerauge. Nicht bloß die allgemeine Färbung, auch jedes Pünktchen, jedes Strichelchen stimmt mit dem vertrockneten Tange derartig überein, daß der brütende Vogel, sobald er seinen Hals niedergedrückt und die Flügel ein wenig gebreitet hat, von der Umgebung geradezu aufgenommen wird. Viele, viele Male ist es mir begegnet, daß ich, mit dem geübten Jäger- und-Forscherauge suchend, über Eiderholme schritt und auf eines vor meinen Füßen brütende Eiderente erst dadurch aufmerksam gemacht wurde, daß sie abwehrend mir an den Stiefeln knabberte. Ohne aufzufliegen, gestattet die Eiderente handliche Untersuchung der Eier unter ihrer Brust; sie läßt sich im Brüten nicht einmal dann stören, wenn man sie vom Neste abhebt und wieder auf dasselbe oder in geringer Entfernung davon auf den Boden setzt, um sich das reizende Schauspiel zu verschaffen, sie der Brut wieder zuwatscheln zu sehen.

Die mütterliche Hingabe der Eiderente erweist sich jedoch noch anderweitig. Jede weibliche Eiderente und vielleicht jede Ente überhaupt will ihr Mutterauge über möglichst viele Küchlein gleiten lassen. Dies hat zur Folge, daß sie ohne Bedenken andere, neben ihm brütende benachtheiligt, sofern sie dies vermag. So hingebend sie brütet, einmal am Tage muß sie das Nest verlassen, um sich mit Nahrung zu versorgen und das unter der sich entwickelnden Bruthitze erheblich leidende Gefieder zu reinigen, einzufetten und neu zu ordnen. Einen mißtrauischen Blick auf die Nachbarinnen zur Rechten und zur Linken werfend, erhebt sie sich in den ersten Vormittagsstunden, vielleicht schon seit langem vom nagenden Hunger gequält, tritt neben das Nest und breitet mit dem Schnabel sorgsam den umliegenden Kranz zu einer die Eier verhüllenden und schützenden Decke aus; dann fliegt sie eilend auf das Meer hinaus, taucht wiederholt in die Tiefe hinab, füllt sich hastig Kropf und Speiseröhre bis zum Schlunde herauf mit Muscheln, badet, putzt und fettet sich, kehrt zum Lande zurück und läuft nun, unterwegs noch beständig die Federn trocknend und glättend, dem Neste wieder zu. Beide Nachbarinnen sitzen anscheinend ebenso harmlos wie früher auf ihren Nestern, und doch haben sie, wenigstens die eine, ein Diebesstück ausgeführt. Sobald jene abgeflogen war, hat sich die eine erhoben, die Decke über den fremden Eiern gelüftet und mit den breiten Ruderfüßen eins, zwei, drei, vier Eier rasch in ihr eigenes Nest gerollt, sodann den Rest sorglich wieder bedeckt und sich beglückt auf ihr unrechtmäßigerweise vermehrtes Gelege gesetzt. Wohl mag die heimkehrende Ente erkennen, welcher Streich ihr gespielt wurde; merken aber läßt sie sich von dem, was in ihr vorgeht, nicht das Geringste, setzt sich vielmehr ruhig zum Brüten nieder und thut als dächte sie: „Warte nur, Frau Nachbarin, auch Du wirst hinausfliegen auf das Meer, und dasselbe, was Du mir gethan, wird Dir geschehen.“ Thatsächlich wandern die Eier mehrerer nebeneinander stehender Eidervogelnester beständig aus dem einen nach dem andern. Ob dann die eigenen, ob fremde Kinder unter der glücklichen Mutterbrust zum Leben reifen, der Eiderente scheint das gleichgültig zu sein.

Sechsundzwanzig Tage etwa brütet die Ente, bevor die Eier gezeitigt sind. Der Normann, welcher verständig zu Werke geht, läßt sie diesmal gewähren und behelligt sie nicht nur nicht, sondern sucht sie nach Kräften zu unterstützen, indem er soviel als möglich alle Feinde und Störenfriede überhaupt von dem Eilande abhält. Er kennt seine Enten, wenn auch nicht persönlich, so doch soweit, daß er weiß, wann ungefähr diese oder jene ausgebrütet haben und mit ihrer Küchleinschar den Weg nach dem sicheren Meere antreten werde. Dieser Weg bringt vielen unbeaufsichtigten jungen Eiderenten jähes Verderben. Nicht allein die auf den Inseln brütenden oder sie besuchenden Falken, sondern auch, und mehr noch Kolkraben, Raub- und große Seemöven, belauern den ersten Ausgang der Küchlein, überfallen sie unterwegs und rauben das eine oder das andere. Dem sucht der Schutzherr der Insel in einer Weise vorzubeugen, welche ebenfalls für das Gebaren der sonst so wilden und scheuen, während der Brutzeit aber zu förmlichen Hausvögeln gewordenen Eiderente bezeichnend ist.

Gegen das Ende der Brutzeit hin begeht der Normann allmorgendlich die Brutinsel, um den Müttern behilflich zu sein und die zweite Dunenernte einzuheimsen. Auf seinem Rücken hängt ein Tragkorb, an dem einen Arm ein breiter Handkorb. So wandelt er von einem Neste zum andern, hebt jede Eiderente auf und sieht nach, ob die Küchlein ausgeschlüpft und schon hinlänglich trocken geworden sind. Ist letzteres der Fall, so packt er die ganze krabbelnde Gesellschaft in seinen Handkorb, entkleidet mit geschicktem Griffe, das Nest von seiner dunigen Ausfüllung, wirft dieses in den Tragkorb und schreitet weiter. Vertrauensvoll wackelt die Ente hinter ihm, oder vielmehr, hinter ihren piependen Jungen einher. Ein zweites, drittes, zehntes Nest wird in der selben Weise entleert, überhaupt damit fortgefahren, so lange der Handkorb die Küchlein noch bergen kann, und eine Mutter nach der andern schließt sich jetzt, mit ihren Leidensgefährtinnen unterwegs ihre Meinung austauschend, dem Gefolge an. Am Meere angekommen, kehrt der Mann den Korb um und schüttet damit die gesammte Küchleinschar einfach auf das Wasser Sofort stürzen alle Enten den piependen Jungen nach; lockend, rufend, alle Zärtlichkeit der Mutter entfaltend, schwimmen sie unter die Herde, und jede sucht so viele Küchlein als möglich hinter sich zu scharen. Mit ersichtlichem Stolze schwimmt die eine dahin, ein langes Gefolge hinter sich nachziehend; doch schon kreuzt eine zweite, minder beglückte den wie eine Schleppe hinter ihr einherziehenden Schwarm und sucht so viele Junge, als ihr möglich, an sich zu ketten und wiederum kommt eine dritte herbei, in der Absicht zu eigenen Gunsten einige abspenstig zu machen. So schwimmen, schnatternd und rufend, gakend und lockend, alle Mütter durcheinander, bis endlich jede einzelne ein Trüppchen Küchlein hinter sich hat, ob die eigenen, ob die fremden, die Ente weiß es selbst nicht.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_156.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)