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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Wenn Du eine Ahnung vom Leben hättest, würdest Du Dich nicht so fest aufs hohe Pferd setzen.“

Sie hatte den Mantel wieder um sich geschlagen und ging weiter durch die nächtlich einsame Straße.

„Was geht es uns denn an,“ fuhr der Lieutenant fort, neben ihr auf dem Fährdamm schreitend, „womit er drüben sein Geld verdient hat? Meinetwegen kann er Hundescherer gewesen sein, wenn er nur nicht gestohlen hat. Und was kümmert’s uns, was sich die Leute von Frau Elfriedens Herkunft erzählen? Uns kann’s gleich sein, ob sie aus New-York stammt oder aus Westenberg, wie die Leute sagen, und gleich ist’s auch, was ihre Eltern gewesen sind. Ueber alle unsere verschrobenen Standesvorurtheile kommt man hinweg, wenn man sieht, was man eigentlich für ein Lump ist – ohne den nöthigen Groschen. Ihr sitzt hier in dem kleinen Nest noch auf Eurem Wappenschild wie auf einem Thron, und Du ganz besonders; Du wirst lange auf einen Reichsbaron warten können, mein Schatz, und wärst Du noch hübscher, als Du bist. Hast Du etwa Lust, als alte Jungfer zu versauern? Und was wolltest Du denn eigentlich anfangen, wenn der Alte die Augen zuthut? Ich denke, es wäre doch wohl Deine Schuldigkeit, zuzufassen wenn Dir eine so vortheilhafte Partie sich bietet, schon um der Eltern willen, die sich täglich sorgen, was aus Euch Mädels wird. Käthe hätte dann auch einen Halt. – Der Teufel – es ist doch keine Kleinigkeit in Deiner Lage, hat man solchen Antrag! – He? Sagtest Du etwas, Lore?“

Sie bog eben um die Ecke der Straße, an deren Ende das väterliche Haus lag. „Nein!“ scholl es, halbverweht nom Winde, der sich ihnen hier mit voller Gewalt entgegenwarf. Das verächtliche Lächeln, das über ihr Gesicht zog, konnte er nicht sehen.

„Denn nicht!“ murmelte er.

Einige Minuten später stand das junge Mädchen athemlos vor der niedern Hausthür und drehte den Schlüssel leise im Schloß.

„Nu?“ sagte er, hinter ihr stehend.

„Was?“ scholl es zurück.

„Ich gehe wieder hin, Lore, und –“

„Viel Vergnügen!“ erwiderte sie gleichgültig.

„So höre doch!“ rief er leise und gereizt und hielt sie am Mantel. „Ich sage ihm, Du würdest es überlegen, Lore?“

„Und welches Interesse hast Du an dieser Freiwerberei?“ fragte sie, und ihre sonst so weiche Stimme klang schneidend. „Fürchtest Du vielleicht, daß Dir später ein paar arme Schwestern zur Last fallen könnten? Sei beruhigt darüber –.“

„Aber Lore – bei Gott nicht!“ betheuerte er verlegen, „ich meine es einfach gut mit Dir.“

„Aber ich will nicht!“ rief sie laut und außer sich vor Zorn, „hörst Du, ich will nicht! Und die Thür flog ihr aus der zitternden Hand und fiel krachend ins Schloß, zugleich sprang vom Zugwind das gegenüberliegende Fenster auf und die erbärmlich kleine Petroleumlampe, die man für sie auf die Treppenstufe gestellt, um sich in ihr Stübchen zu leuchten beim Nachhausekommen, verlosch jäh. Sie tastete im Dunkeln empor, mit leisen Schritten und angstklopfendem Herzen, hatte sie den Vater geweckt? Sie lauschte auch auf dem oberen Flur – es blieb still – aber jetzt erklang die Stimme der Mutter. „Lore! Lore!“

Sie kam an das Bett der Mutter und kniete nieder. „Hast Du Dich sehr erschreckt, Mama?“ erkundigte sie sich zärtlich.

„Nein, nein! Aber warum kommst Du jetzt schon, Lore? Ist es schon aus? Hast Du Dich amüsirt? Es war gewiß sehr schön!“

Bei dem trüben Scheine der Nachtlampe blickte ihr das Mutterauge mild und liebevoll entgegen.

„Ach! sich nur aussprechen können!“ dachte das junge Herz, und sie legte den Kopf an die Schulter der Mutter und begann stockend zu beichten von der zudringlichen Werbung Adalbert Beckers, durch ihren schlanken Körper ging es wie ein Schauer der Empörung, und endlich versagte ihr die Stimme in einer Thränenfluth.

Frau von Tollen lag ganz still, die Hand auf dem Scheitel ihres Kindes. „Aber warum weinst Du denn so schrecklich?“ fragte sie endlich; ist es eine Schande, wenn ein Mädchen einen Heirathsantrag bekommt?“

Lore fuhr empor, wie von einer Schlange gebissen, und sah entsetzt die Mutter an. Ja, und ob es eine Schande war! Sie sah die lüsternen Augen und hörte das halbtrunkene Flüstern: „Sie sind so ein wunderschönes Mädchen, Lore!“ – „Mama!“ stöhnte sie, „Du?“ –

„Geh’ schlafen,“ begütigte die alte Dame und strich zärtlich die heiße Wange. „Wir sprechen morgen darüber, schlafe nur erst. Gute Nacht!“

„Wir sprechen nicht darüber, Mama, morgen nicht, und –“

„Wie?“

„Und niemals, Mama.“ Und sie schritt ohne „Gute Nacht!“ der Thür zu.

„Lore!“ rief die Kranke, als ob sie sich erst jetzt auf etwas besinne, „bleibe noch, ich muß Dir noch erzählen, Klothilde hat heute geantwortet –. Ich habe schon so viel geweint, daß man sich so etwas sagen lassen muß –. Nicht einen Pfennig würde sie geben, schreibt sie, ich könne ihr das doch nicht verdenken, sie habe selbst Kinder, und ihr Vater halte sie auch sehr knapp –. Wenn Onkel nicht hilft, dann weiß ich nicht mehr –. Ach, diese Sorge, Lore, diese Sorge!“

„Gute Nacht, Mama!“ wiederholte Lore tonlos. Sie hatte kaum verstanden, was die Mutter wollte. Sie kam mit einem bleischweren, vom Weinen schmerzenden Kopf in ihr Stübchen und warf sich im Finstern auf ihr Bett.

Sie verstand zum ersten Male ihre Mutter nicht.




Der Bruder war erst mit grauendem Morgen zurückgekehrt. Er erschien nicht beim Frühstückstisch, und Lore, die, blässer als gewöhnlich, die Haushaltungsgeschäfte besorgte, entschloß sich gegen zehn Uhr, an seine Thür zu klopfen und ihm zu sagen, es sei ein Dienstbrief gekommen.

Er rief ihr zu, den Brief durch den Thürspalt zu werfen, und fragte, ob er denn solche Eile habe.

Frau von Tollen, die wieder aufgestanden war, schlich matt im Hause umher, es lag ein unheimlicher Druck auf allen Gemüthern. Lore wich ihrer Mutter heute förmlich aus; die alte Dame versuchte alles Mögliche, um das Gespräch auf das gestrige Fest zu lenken – vergebens. Endlich stieg die Majorin zu dem Logirstübchen empor und fragte, ob sie eintreten könne.

Der Sohn lag noch im Bette; er sprach von Kopfschmerzen und sah dabei sehr deprimirt aus. Die Mutter setzte sich zu ihm. „Es thut mir leid, Rudi, aber Klothilde giebt Dir nichts,“ begann sie mit einem Seufzer.

„Geldprotzen sind’s!“ murmelte er.

„Wenn nun Onkel nicht hilft – Rudolf, dann –“

„Bah, der! Dann ist’s eben nicht anders! Es kommt auch alles zusammen! Der gemeine Kerl da, der mir meine Civilanzüge macht, hat mich beim Regiment verklagt, da ist der Wisch, ich muß auch den bezahlen.“

Die alte Dame nahm den Brief, es waren dreihundert Thaler eingeklagt. Sie sagte kein Wort, sie senkte den Kopf nur etwas tiefer.

„Na, das macht den Kohl doch auch nicht fetter,“ erklärte der Sohn, „auf irgend eine Weise muß ich aus der Patsche kommen. Gestern dachte ich ja wahrhaftig, es wäre schon so weit, aber – hm! –“

„Weißt Du auch, daß der Arzt gestern sagte, Deinem Vater könnte eine solche Alteration das Leben kosten?“ fragte leise weinend die alte Dame.

„Nun, da sagen wir’s ihm eben nicht!“ erwiderte ungeduldig der Lieutenant.

„Und was soll werden?“

„Ich habe keinen Schimmer! Aber Zeit wird’s, daß Rath kommt. Kommt keiner, nun dann –“ er machte eine Handbewegung nach rückwärts. „Mich dauert nur der arme Kurt –.“

„Der Benberg, Rudi? Ach Gott, und die Mutter! Aber Rudolf, Rudolf, wie konntest Du auch –?“

Er antwortete nicht. „Dumme Trine!“ flüsterte er endlich.

„Was meinst Du?“

„Hat Dir Lore nichts erzählt?“

„Doch, Rudolf – aber –“

„Von dem hätte ich jede Summe bekommen.“

„Aber – Kind –“

„Na, was denn? Man hätte später zurückgezahlt. Wenn ich jetzt um die Ecke gehe, ist’s auch nichts mit Lieschen Maikat –“

„Wer ist das?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_054.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)