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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


zu verdanken; sie fanden diese Bude idyllisch, gesund, allerliebst – ich weiß nicht, was noch! Und herein mußte ich!“

Lore antwortete nicht, sie putzte eben mit dem Staubtuche die Kommode, auf welcher der große Tabakskasten seinen Platz hatte. Rudolf war aufgestanden und ans Fenster getreten.

„Der Tausend,“ sagte er, „da kommt ja Herr Adalbert Becker zu Pferde. Gilt die Parade Dir, Lore?“ Er verbeugte sich dabei, einen Gruß erwidernd. „Donnerwetter, famoser Gaul!“

„Seine Mittel erlauben ihm das,“ brummte der Major, „und dabei hat er so viel Pferdeverstand, daß er kaum einen Percheron von einem Ziegenbock unterscheidet. Sieh ihn Dir an, der Kerl hängt wie eine Klammer auf der Waschleine.“

Das junge Mädchen war niedergekniet und befreite die geschweiften Füße des Sofatisches vom Staube.

„Ihr habt ja wohl Verkehr?“ fragte der Lieutenant.

„Wer unter Wölfen ist, muß mit ihnen heulen,“ erwiderte der alte Herr ungemüthlich, und als ob er möglichst von etwas anderem reden wollte, sprach er: „Gehst Du nicht einen Frühschoppen trinken? Du findest just die ganze Crême der Westenberger jeunesse dorée bei Kramer – am Markt, weißt Du?“

„Je nun, ja! Ich könnte es thun,“ war die Antwort.

Lore hatte eben, mit der Wasserflasche in der Hand, die Stube verlassen, als der Bruder ihr folgte. „Erlaube,“ sagte er galant, ihr die Karaffe abnehmend, „wolltest Du an die Pumpe?“

Sie nickte und ging neben ihm die Treppe hinunter.

„Papa scheint in etwas gereizter Stimmung,“ bemerkte er.

Sie blickte ihn ruhig an. „Nicht anders wie sonst. Er fühlt sich elend, die Gicht plagt ihn wieder; man muß Geduld haben, er meint es nicht so böse.“

Sie standen am Brunnen in der Nähe der alten Mauer. „Höre, Lore,“ sagte der Lieutenant, ihr die jetzt gefüllte Flasche reichend, „ich tränke ganz gern einen Schoppen bei Kramers – aber – Du weißt, in Berlin ist alles drauf gegangen, könntest Du mir, bis der Zahlmeister mein Gehalt schickt – Ich habe faktisch keinen Dreier mehr –“

„Aber natürlich, Rudolf!“ Unmerklich spielte ein Lächeln um den reizenden Mund. „Wie viel?“

„Wie viel kannst Du entbehren, Lore? Ich habe – ich muß nämlich auch eine kleine Rechnung abmachen. Würdest Du mir zehn Thaler geben?“

„Gewiß!“ Sie lief eilends die Treppe hinauf in ihr Stübchen und entleerte den Pappkasten seines Inhaltes. Ein paar Minuten später ging der Herr Lieutenant zu Kramer, und als er das Lokal wieder verließ, hatte er zwei Kaviarschnitten, ein Ragout fin und verschiedene Seidel Echtes genossen und für den andern Tag eine Reitpartie nach Demnitz verabredet mit Adalbert Becker und dem Bezirksadjutanten, um im dortigen Offizierskasino des Dragonerregimentes eine Pfirsichbowle mit auszutrinken, die Becker infolge einer Wette zu geben hatte. Er kam daher weniger gelangweilt nach Hause, als er fortgegangen war, neckte sich in liebenswürdigster Weise mit Käthe und erzählte Schnurren aus der Garnison, die den Major so heiter stimmten, daß er ein übriges that. Lore mußte in den Keller steigen und eine Flasche Rüdesheimer heraufholen.

„Ich trinke auf Se. Majestät unsern Kaiser!“ rief Käthe, mit dem Bruder anstoßend, und trank ihr Glas mit einer allerliebst burschikosen Manier auf einen Zug aus. Und dann flüsterte sie Lore mit leuchtenden Augen zu. „Du, Doktor Schönberg hat bei Beckers doch keinen Besuch gemacht, er hat gesagt, es passe ihm nun mal nicht.“

Lore antwortete nicht, sie bückte sich rasch nach ihrer Serviette.

„Du sollst heute zum Wachtelhündchen kommen, Lore,“ sprach Fräulein Käthe nun laut.

„Käthe!“ sagte vorwurfsvoll die Mutter, während der Lieutenant lachte. „Ich will es nie wieder hören, Käthe!“ fuhr die alte Dame fort, „Du hast ‚Tante Melitta‘ zu sagen und nicht anders – verstehst Du?“

„Wie? Sitzt Ihr noch immer so zu Füßen von Tante?“ fragte Rudolf.

„Sie hat ja sonst niemand,“ entschuldigte Lore. „Sagte sie, wann ich kommen soll, Käthe?“

„Nun, jedenfalls doch zum Kaffee,“ schmollte die Kleine; „sie rief es mir aus dem Fenster zu, sie müßte Dich nothwendig sprechen.“

„Verschrobenes Frauenzimmer!“ schalt leise der Major seine leibliche Schwester; „hätte heirathen sollen!“

„Sie hat ja eine unglückliche Liebe gehabt,“ erklärte Käthe.

„Nun ja, ja, das wissen wir,“ knurrte der alte Herr.

„Tante Melitta sagte neulich, sie bedauere es recht sehr, nicht doch noch geheirathet zu haben; es sei nun einmal das Richtige für die Frau, und –“

„Sei ruhig; Deine Weisheit kennen wir zur Genüge! Wenn drei Frauenzimmer zusammenkommen, sprechen sie vom Heirathen. Sie hätte ihn nehmen sollen, dann hätte sie wenigstens was Gescheiteres gethan, als –“

„Aber Papa!“ rief Käthe im Tone tiefster Entrüstung, „es ist doch nur Euer Hauslehrer gewesen und, erinnere Dich, er hieß August Kiebitz! Denke Dir: ‚Melitta Kiebitz, geborene von Tollen‘!“

„Nun und was weiter?“ sagte die Mutter, „wenn er sonst ein braver Mann war?“

Käthe schlug die Hände zusammen und lachte silberhell. „Mama, das ist klassisch von Dir!“

Die gute Mama, deren gebeugter Gestalt und vergrämten Zügen man es nicht mehr ansah, daß sie einstmals die reizendste Erscheinung auf den Hofbällen der kleinen mitteldeutschen Residenz gewesen, sah bekümmert zu Lore hinüber. „Bleib’ nicht gar zu lange aus, Kind; Du weißt, die Wäsche ist zu legen und – so mancherlei –“

„Wenn Ihr nur waschen könnt!“ rief der Major und trank den Rest seines Weins aus. „Gesegnete Mahlzeit!“ Und er hinkte auf seiner Krücke zur Thür hinaus, um oben in seinem verräucherten Zimmerchen der Ruhe zu pflegen.




Fräulein Melitta von Tollen, die vor kurzem ihren sechzigsten Geburtstag gefeiert hatte, bewohnte am entgegengesetzten Ende des Städtchens in dem ehemaligen Zollhause, dicht vor dem Eingang zum Thor, den ersten Stock. Es war das kein Luxus, denn derselbe umfaßte nur drei Stuben und eine winzige Küche. Aber die Miethe war billig und die Wohnung bot unschätzbare Vortheile; erstlich besaß sie einen Balkon, auf dem der Ständer des Papageis und der Armstuhl des Fräuleins gerade Platz fanden, und der überdies in den wundervollen, schattigen, parkartigen Garten der Frau Ellfriede Becker hinabsah, und zweitens konnte Tante Melitta jeden Wagen, jeden Spaziergänger und jede Landpartie kontrolliren, denn nach dieser Seite befanden sich die Anlagen des Städtchens mit dem üblichen Kriegerdenkmal, der Siegeseiche und dem Schützengarten.

Tante Melitta lebte hier seit zwanzig Jahren. Als sie ihrem Vater die Augen zugedrückt hatte und sich auf eine schmale kleine Revenue, eine Familienstiftung, angewiesen sah, forschte sie überall nach einem Ort, wo man mit zweihundertfünfzig Thalern anständig leben könne. Aus Westenberg, allwo eine alte Freundin ihrer Mutter noch vegetirte, liefen die günstigsten Nachrichten ein, und so zog sie hierher mit ihrem Papagei, den Rokokomöbeln und dem Schmerz um ihre verlorene Liebe und war mittlerweile eine Merkwürdigkeit der Stadt geworden, erstlich durch die innige Theilnahme an dem Schicksale der gesammten Mitbürgerschaft, besonders wenn Ehen zu stiften waren, alsdann durch eine wunderliche Spielerei, der sie oblag. Sie besaß eine förmliche Puppenkolonie. Da gab es völlig eingerichtete Puppenhäuser, vom Keller bis zum Boden, Gärten, in denen Puppen spazierten, Waschhäuser, Plättküchen, Bäckereien. Jedes Geräth, jedes Möbelchen war zierlich durch ihre Finger hergestellt, so daß selbst Erwachsenen das Spielen mit diesen Miniaturpuppen manchmal eine Lust dünkte. Sie hatte Namen für diese verschiedenen Puppenfamilien, und man konnte nichts Eleganteres sehen, als das rosaseidene Boudoir der Frau Gräfin Adlerhorst, nichts Herzigeres als die Kinderstube im Puppenhause des Herrn Amtsrathes, in welcher sieben Puppenkinder mit steifen Armen um den winzigen Tisch saßen, und die Frau Puppenamtsrath vor der Kaffeekanne präsidirte. Nichts erfreute die alte Dame mehr als die Bewunderung, die ihre Gäste diesem Kunstwerk zollten.

Als ihr Bruder, der Major, den Abschied nehmen mußte und sich ebenfalls nach einem billigen Ort umsah, lobte und pries sie Westenberg bis in den Himmel; und richtig, die Familie zog her.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_007.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)