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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

geleistet und wolle nun endlich bei seiner Frau bleiben. Er stand mit Gersdorf und Wally, die gleichfalls zurückgeblieben waren, noch im Salon, als an der Hand eines hübschen blonden Mädchens, der so serr geliebten Braut Saids, der junge Herr Gersdorf erschien, der während der Eisenbahnfahrt unter dem Schutze von Alice geblieben war. Ihnen folgte Greif, der offenbar übler Laune war, weil seine Herrin ihn nicht mitgenommen hatte, und der sich, ohne von den Anwesenden weiter Notiz zu nehmen, draußen auf der Galerie niederlegte.

Albert der Kleine glich durchaus nicht seinem ernsten, ruhigen Vater. Er hatte das rosige Gesicht und die dunklen Augen der Mutter und über seiner Stirn kräuselten sich ebenso eigenwillig die schwarzen Ringellöckchen.

Frau Wally nahm ihren Sohn auf den Arm, aber der junge Herr drängte sofort wieder nach dem Boden, um sich der zur Galerie führenden Thür zu nähern.

„Gott sei Dank, daß die Geschichte vorüber ist!“ sagte Benno jetzt vergnügt. „Es hätte beinahe noch zuletzt ein Unglück gegeben, als ich in der Rede stecken blieb, aber Wolf half mir aus der Noth und ließ Tusch blasen – jetzt haben wir endlich Ruhe!“

Frau von Lasberg, die gleichfalls anwesend war und heute einen Tag des Triumphes gefeiert hatte, schüttelte bei diesem Stoßseufzer mit feierlichem Unwillen das Haupt.

„Mir scheint, Herr Doktor, Sie tragen Ihrer Stellung doch zu wenig Rechnung,“ bemerkte sie zurechtweisend. „Sie legt Ihnen zweifellos Pflichten auf in Bezug auf die Repräsentation, und seinen Pflichten sollte sich niemand entziehen. Ich hoffe, Sie sehen das ein, Herr Doktor.“

Der Herr Doktor sah das nun zwar nicht ein, aber er machte der majestätisch zur Thür hinausrauschenden Dame eine tiefe Verbeugung, Wally lachte laut auf.

„Da sitzt nun der Herr des Hauses und läßt sich von der gestrengen Frau Oberhofmeisterin den Text lesen! Sie hat Euch beide vollständig unter ihrem Scepter, ich glaube, Benno, Sie fürchten sich noch immer vor ihr.“

„Im Gegentheil,“ protestirte Reinsfeld. „Die Baronin ist ein wahrer Schatz für uns. Sie hat eine förmliche Leidenschaft für das Repräsentiren, sie besorgt das immer ganz allein und da können Alice und ich um so ungestörter –“

„In der Kinderstube sitzen,“ ergänzte Wally. „Das ist allerdings Eure Hauptbeschäftigung.“

„Ja, ich muß wirklich nach Alice und der Kleinen sehen,“ erklärte Benno, der schon lebhafte Zeichen von Unruhe gab. „Entschuldigt mich nur einen Augenblick, ich komme gleich zurück.“

Damit verschwand er und Frau Doktor Gersdorf sah ihm mit einem mitleidigen Achselzucken nach.

„Vor einer halben Stunde kommt er nicht wieder! Ich habe nie einen Vater gesehen, der so vernarrt in sein Kind ist wie Benno. Ich weiß mich frei von dieser Schwäche, ich beurtheile die Vorzüge wie die Fehler meines Sohnes in rein objektiver Weise. Allerdings muß ich zugeben, daß Bertie ein ungewöhnlich begabtes Kind ist, daß er schon jetzt Charaktereigenschaften zeigt, die man nur bewundern kann. Ich zweifle auch durchaus nicht, daß etwas ganz Bedeutendes aus ihm werden wird, und daß seine Zukunft –“

Die rein objektive Beurtheilung wurde hier unterbrochen, und zwar durch den jungen Herrn Gersdorf selbst, der sich unbemerkt auf die Galerie geschlichen hatte und nun triumphirend auf Greif angeritten kam. Er saß fest auf seinem „Pferdchen“ und hielt sich mit den kleinen Händen an dem zottigen Fell des Hundes. Greif schien zwar einigermaßen entrüstet über die ihm angesonnene Rolle, fand sich aber darein und trug den Reiter. Wally wollte entsetzt dazwischen fahren. „Er wird sich wieder wie das letzte Mal eine Beule holen,“ jammerte sie, aber ihr Mann hielt sie zurück und sagte lachend:

„Laß den Jungen! Er ist konsequent und setzt seinen Willen durch, auch wenn es Beulen dabei giebt, und da hat er recht!“

Benno stand richtig in der Kinderstube vor der Wiege seines Töchterchens und schaute dies und die junge Mutter, die daneben saß, mit ganz verklärten Blicken an. Dann sah er sich schüchtern und vorsichtig um und brachte endlich ein Sträußchen von Alpenrosen zum Vorschein.

„Es ist Johannisabend, Alice,“ sagte er leise. „Da muß ich Dir doch das gewohnte Sträußchen bringen.“

„Hast Da das wirklich nicht vergessen in dem Strudel des heutigen Tages?“ fragte die junge Frau lächelnd.

„Eine Glücksprophezeiung vergißt man nicht, am wenigsten, wenn sie sich erfüllt hat!“ Er bot ihr das Sträußchen.

„Weis meine Blümel’n
Nimmer zurück.
Johannissegen
Bracht’ uns das Glück!“ –

Es war bereits Abend geworden, als der Zug mit den Festtheilnehmern wieder die Station Oberstein passirte, wo er diesmal nur einen kurzen Aufenthalt nahm, um dann nach dem Ausgangspunkte der Bahn zurückzukehren. Nur der Chefingenieur und seine Gattin, die Gäste in der Reinsfeldschen Villa waren, und Gronau, der mit Djelma einige Tage in Oberstein bleiben wollte, waren auf dem Bahnhofe ausgestiegen, wo sie sich trennten.

„Ich habe den Wagen abbestellt,“ sagte Wolfgang, indem er den Arm seiner Frau nahm. „Ich denke, wir gehen zu Fuß, der Abend ist herrlich, und es ist unser erstes Alleinsein an dem heutigen Tage. Wir waren ja vom Morgen bis zum Abend unaufhörlich in Anspruch genommen.“

„Und es war doch ein Tag stolzen, langersehnten Glückes!“ entgegnete Erna, sich fest an seinen Arm schmiegend. „Aber Du warst so ernst, Wolfgang, mitten in all den Triumphen und Huldigungen – und Du bist es noch!“

Er lächelte, aber der Ernst klang noch in seiner Stimme, als er erwiderte: „Ich dachte daran, wie schwer dieser Triumph erkauft werden mußte. Das wissen nur wir beide allein! Du warst ja meine einzige Vertraute, meine einzige Zuflucht, bei der ich mir Muth und Kraft holte, wenn man mich mit Intriguen und Kleinlichkeiten bis aufs äußerste trieb. Wärst Du nicht an meiner Seite gewesen – ich hätte vielleicht nicht Stand gehalten.“

„Ja, es war das Schwerste, was einer Natur wie der Deinigen auferlegt werden konnte, sich überall gehemmt und gehindert zu sehen, und Du hast dennoch den Kampf siegreich durchgeführt bis an das Ende.“

„Aber Benno hat mir redlich dabei geholfen! Sobald Alice erst seine Frau war, sobald er sie auch gesetzlich vertreten konnte, legte er mit unbedingtem Vertrauen alles in meine Hände – ich werde ihm das nie vergessen.“

„Er dankt Dir aber noch mehr als Du ihm!“ warf Erna ein. „Benno mit seiner Geschäftsunkenntniß hätte sicher nichts gerettet aus jener Katastrophe, die das Vermögen meines Onkels so schwer traf. Das erforderte eine starke Hand wie die Deinige. Es ist Dein Werk allein, wenn Alice und Benno sich noch zu den Reichen zählen können.“

„Sie machen sich aber sehr wenig daraus,“ sagte Wolfgang halb scherzend. „Sie würden auch in einer Hütte zufrieden und glücklich sein.“

In diesem Augenblicke verließ der Zug den Bahnhof, die erleuchtete Wagenreihe donnerte wieder über die Brücke und wand sich dann wie eine glühende Schlangenlinie dahin, bis sie in der Mündung des Tunnels verschwand. Durch die Abendstille klang deutlich der Pfiff der Lokomotive und das Echo der Felswände gab ihn leise verhallend zurück. Wolfgang war stehen geblieben, und während sein Auge dem verschwindenden Zuge folgte, hob ein stolzer, freudiger Athemzug seine Brust.

„Jetzt ist sie besiegt, die alte Unheilsmacht da oben! Sie hat mir den Sieg schwer genug gemacht; aber ich zwang sie doch! Sieh nur, Erna, da weichen die letzten Nebel von dem Wolkensitze Deiner Alpenfee, sie scheint sich immer nur in der Sonnwendnacht zu entschleiern.“

Ueber Ernas eben noch so strahlendes Antlitz legte sich ein Schatten, und in dem Blick, mit dem sie zu dem Wolkenstein aufsah, glänzte eine Thräne, während sie leise erwiderte:

„Es hat sie noch ein anderer bezwungen – aber er mußte mit seinem Leben dafür büßen!“

„Für ein tollkühnes, zweckloses Unternehmen, das keinem nützte!“ Elmhorsts Stimme hatte einen herben Klang. „Er hat den Tod so herausgefordert, er fand nur, was er suchte. Kannst Du denn diesen Ernst noch nicht vergessen? Noch immer nicht?“

Sie schüttelte verneinend das Haupt.

„Sei nicht ungerecht, Wolf, und nicht eifersüchtig auf den Todten. Da weißt es so doch am besten, bei wem meine Liebe von Anfang an gewesen ist. Aber Du mit Deinem energischen Thatendrange,

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