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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Sie war so verstrickt in ihre schöne Jugendzeit, daß sie heute sogar den Ring hervorgesucht hatte, den sie bei ihrem Verlöbniß empfing.

Handtreue nannte man solche Ringe. Und während die blasse Fürstin an dem Funkeln der Diamanten und Rubinen sich erfreute, die in der Sprache der Edelsteine feurige Liebe und Beständigkeit in Glück und Leid bedeuteten, sprach sie: „Es ist das Beste bei Verlöbnissen, wenn alles in hergebrachter Weise verläuft. Kluge Menschen haben nicht umsonst die Formeln gefunden, in denen die ernstesten Ereignisse des Lebens sich vollziehen.“

Wie hatte die Mutter es nur übers Herz bringen können, so zu ihr zu reden? Ob wohl alle Menschen so empfanden, wenn sie alt wurden? Ob sie wohl auch einmal die Tulipanen hervorsuchte und darüber lächeln konnte?

Sie schüttelte den Kopf. Aber die Erinnerung an die Blumen wollte nicht mehr weichen. Sie erhob sich und entnahm dem Geheimfach einer mit Perlmutter ausgelegten Spinde ein Päckchen Silberflor. Als sie es mit bebenden Fingern öffnete, lag ein vertrocknetes Häuflein von Blumenleichen in ihrer Hand.

Wie hatten sie in Farbenpracht geprangt, die Herzblätter dem Licht geöffnet, da Er sie in ihre Hand legte! Nun waren die Häupter geneigt, die Kelche für immer geschlossen. Sie wandten sich nie wieder der Sonne zu. Sie waren verblüht, verwelkt, vergangen wie seine Liebe. Es stieg heiß in ihre Augen. Durch den Thränenflor vermochte sie nichts mehr zu erschauen.

Da tönte plötzlich weither der Ruf: „Kiekebusch, wo kommst Du her?“ Und ein anderer antwortete näher: „Wahrhaftig, da ist Kiekebusch.“ Und nun scholl es unter ihren Fenstern: „Hei Kiekebusch!“ Die Kammermägde im Nebenzimmer riefen hinab: „Je Kiekebusch!“ Und das Rufen ging weiter: „Das Hündlein Kiekebusch ist wieder da.“

Dorothea fuhr auf und blickte hinab. Das Ingesinde der Burg lief zusammen- und der kleine Kiekebusch sprang im Kreis umher, am dicken Koch empor, leckte den letzten Knecht in das herabgebeugte Gesicht und war vor Freude schier außer sich.

Draußen vor dem Thore aber tönte das Pflanzen der Hellebarden und eine Stimme, welche sprach:

„Bei Ihrer fürstlichen Gnaden, der Frau Herzogin Anna Maria fragt Seine fürstliche Gnade, der Herzog Albrecht von Sachsen-Weimar an, ob Hochdieselbe ihn empfangen will.“

Zitternd sank Dorothea auf den Fenstersitz nieder. Wie durch einen Schleier sah sie Lakaien, Pagen, den Schloßhauptmann laufen.

Dann schmetterten Trompeten, klirrte Hufschlag. Ein glänzender Zug ritt ein. Voraus blasende Trompeter, Pagen in Gala, der Hofmarschall von Teutleben im Staatskleid und – war es möglich? – Herzog Albrecht im goldgestickten Wams. Hinter ihm ein glänzendes Gefolge; allen voran im schwarzen silberverbrämten Amtskleid ein gelahrter Rath vom Schöppenstuhl in Jena, dem ein Diener mit einem Felleisen voll dicker Folianten nachritt.

Was konnte das bedeuten? So kamen nach deutschem Fürstenbrauch die Freier, um zu werben.

Sie gedachte nicht daran, wie sie dereinst diese Sitte mißachtet hatte; sie drückte die Hände auf das hochaufschlagende Herz. Jetzt nannte sie auch den gelahrten Rath nicht mehr einen Aktenwurm; er war ihr ein glückverheißendes Zeichen mehr. Es ging ihr plötzlich ein Verständniß auf für alle Vorgänge der letzten Zeit, und sie sah dieselben im wohlgefügten Zusammenhang, einem festen Ziele zustrebend. Aber auszudenken vermochte sie nichts.

Der Page der Frau Witwe erschien mit der Botschaft, das fürstliche Fräulein werde in den Prunkgemächern erwartet.

Athemlos flogen ihre Kammermägde herbei mit Perlen und Demantsternen. Sie hielt geduldig still und vergaß, in das Spieglein zu schauen. Dann ging sie in dem dunklen Sammetkleid, auf dem das edle Gestein glitzerte wie Thautropfen auf einem Viol, gemessenen Schrittes hinüber.

Die Vorzimmer waren erfüllt mit dem Gefolge der fürstlichen Herrschaften. Der Page öffnete die Thür zum Staatsgemach und schloß sie wieder hinter ihr.

Die Frau Witwe saß auf dem Thronstuhl mit gerötheten Wangen, sanft leuchtenden Augen. Und Herzog Albrecht stand vor ihr und neigte sich lebhaft sprechend voll Ritterlichkeit ihr zu.

Jetzt erhob er das Haupt und wendete sich. Sie standen einander gegenüber und blickten sich an. Und die Augen hafteten in einander, und die Seelen fragten durch sie: Bist Du es wirklich?

War die ernste Fürstin, die in so stiller beherrschter Haltung vor ihm stand, die freudige Dorothea?

War der junge Fürst mit dem sanften Zug über den Brauen, dem weichen Lächeln der unbeugsame strenge Albrecht?

Und doch! Du bist’s antworteten sich selig die Augen.

In feierlicher Haltung trat der Herzog hierauf vor und sprach zu Dorothea gewandt:

„Aus eigenem tiefinnersten Wunsch und mit Zustimmung der beiden Häuser von Weimar und Altenburg stehe ich hier und werbe um Eurer Gnaden Hand. Ich gelobe vor Ihnen und Ihrer gnädigen Mutter, Sie hoch und theuer zu halten als meinen höchsten Schatz, Sie zu schützen und zu stützen, in treuer Liebe Ihnen zu eigen zu sein, bis der Tod uns scheidet. Und bitte ich Eure Gnaden, mich mit huldvoller Antwort zu versehen.“

Dorothea verbeugte sich tief vor der Frau Witwe. Diese gab durch ein Neigen des Hauptes die Erlaubniß zur Antwort. Und mit zitternder Stimme erwiderte Dorothea:

„Mit Einwilligung meiner gnädigen Mutter gebe ich Eurer fürstlichen Gnaden mein Jawort.“

Es dämmerte ein Leuchten in den topasfarbigen Augen auf; Albrecht wußte nicht, war es eine Thräne, die mühselig zurückgehalten wurde, oder das alte schelmische Lächeln, das ihm erschien wie Duft und Schmelz, unnütz und doch unentbehrlich. Einen Augenblick hielt sie inne. Dann fuhr sie in innigem Tone fort: „Und gelobe ich, Sie als meinen Herrn allezeit hoch zu halten und Ihnen eine gehorsame Gemahlin zu sein.“

Ein gerührtes Lächeln spielte um seine Lippen.

Da erhob sich die Frau Witwe, nahm aus dem kleinen Kästchen, das neben ihr auf einem Kredenztisch stand, den Ring mit den Rubinen und Diamanten und sprach: „Nachdem Sie beiderseits in das Verlöbniß gewilligt haben, mögen Sie zur Bekräftigung dessen die Ringe gegen einander wechseln.“

Sie tauschten die Handtreue aus. Mit einem warmen Druck umfaßte seine Hand ihre Finger.

Und nun schwiegen beide. Keines fand ein Wort mehr, nicht die junge Fürstin bei all ihrer höfischen Kunst, nicht der Herzog trotz seines stolzen, unerschütterlichen Herrenbewußtseins.

Auf ein Zeichen der Herzogin Anna Maria wurden die Thüren geöffnet und das Verlöbniß dem Hofstaat kundgethan.

Da war nun die Werbung vor sich gegangen, ganz wie Dorothea damals unter dem Dächlein ein solches Ereigniß voll Spott geschildert hatte.

Ach, sie dachte nicht an jene Zeit. Selig stand sie neben ihrem Bräutigam und nahm die Bücklinge des Hofstaates in Empfang.

Die Liebe hatte die starre Form belebt.

„Juchhe, Hochzeit!“ tönte es vom Hof herauf. Dazwischen lustiges Gekrach. Alle alten Scherben polterten zusammen. Dazu hoben die Stadtpfeifer von Dornburg im Hochzeitshause an zu blasen und zu fiedeln.

Es war nicht der französische Tanz Mimi, sondern ein echter deutscher Walzer, der mit dem ersten Takt in die tiefste Tiefe zu tauchen scheint, um in den zwei folgenden leichtfüßig empor zu wirbeln. Da entließ die Frau Witwe lächelnd das Gefolge, auf daß es den deutschen Polterabend mitzufeiern vermochte und das junge Paar Zeit zu einer vertraulichen Aussprache fand.

Sie standen unter dem Dächlein Hand in Hand. Die Gelöbnisse, die sie austauschten, waren ernst wie die Zeit, in der ihnen beschieden war, über die Erde zu wallen.

Und in die leisen Reden Dorotheas mischte sich kein französisches Wörtlein mehr. So wenig im Gebet der Mensch von einem andern Volk die Worte borgt, so wenig redet wahre Liebe in fremder Zunge.


Der Sonnenblick, der eine kurze Frist dem geplagten deutschen Volk geleuchtet hatte, erlosch. Die finstern Wolken zogen sich wieder zusammen. Aber in den Wettern, die herniederbrachen, blieb die Liebe der lichte Strahl, der den jungen Paaren leuchtete, bis an ihnen das Wort sich erfüllte des einzigen Dichters ihrer Zeit, der in die Unsterblichkeit, das heißt, in die Litteraturgeschichte sich hineindichtete, das Wort des Martin Opitz: „Ein jedes Ding verstäubt.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_830.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)