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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„In so kurzer Zeit?“ entgegnete Albrecht verächtlich. „Glaubt nicht, uns zu erweichen, indem Ihr den reuigen Sünder spielt.“

Mit niedergeschlagenen Augen antwortete Achatius: „Es sind nicht alle Menschen mit festem Sinn begnadet; es giebt auch schwankende Herzen. Aber warum soll es nicht möglich sein, daß diese doch sich endlich auf den rechten Weg finden? Von meiner niedrigen Person sehe ich ganz ab. Doch ich vermag ein erhabenes Beispiel anzuführen. Fürstliche Gnaden, auch ich habe einen Brief erhalten.“

Er zog das Schreiben der Frau von Tautenburg aus seinem Wams und überreichte es dem Herzog.

Dieser nahm es erstaunt in Empfang. Als er Dornburg las, wandte er sich ab, dem Fenster zu, daß ihn der Sammetbehang halb verdeckte, und begann zu lesen.

Und er las und las. Als längst der Inhalt des ganzen Schreibens ihm bekannt sein mußte, war er noch nicht über die erste Seite hinaus. Es waltete so tiefe Stille im Zimmer, daß das leise Knistern eines umgewandten Blattes dem gespannt lauschenden Ohr des Hofmeisters nicht entgangen wäre. Aber er vernahm nichts.

Achatius wußte, an welchen Zeilen die Augen des Herzogs haften geblieben waren, an den Worten: die Herzogin Dorothea wünsche und erhoffe nichts mehr als das stille Plätzlein einer Abbatissa des Stiftes in Quedlinburg.

Und je länger es still blieb in der Fensternische, je leichter schlug das Herz des jungen Hofmannes.

Endlich wendete sich Albrecht ihm wieder zu. Doch blieb er im Schatten.

Aber – täuschte sich Achatius? Lag nicht eine leise Röthe auf dem sonst so ernsten Antlitz? Strahlten nicht die klaren braunen Augen in lichtem Glanz?

Mit einem tiefen Athemzug und seltsam veränderter milder Stimme sprach der Herzog:

„Vorerst müssen wir Eure Angelegenheit zu schlichten suchen. Ich glaube, es ist das Beste, Ihr trefft eine Wahl unter dem Frauenzimmer, das Anspruch auf Euch erhebt. Da macht Ihr doch wenigstens an Einer das begangene Unrecht wieder gut.“

Aber Achatius erwiderte mit finster gefalteter Stirn: „Fürstliche Gnaden wollen jede Strafe über mich verhängen. Ich will sie als eine verdiente tragen. Aber eine von diesen hingebenden Nymphen zu heirathen vermag ich nicht.“

„Ich will nicht verhoffen, daß Ihr einen Widerwillen gegen den heiligen Ehestand hegt,“ sagte der Herzog.

Stürmisch, erwiderte Achatius: „Bei meiner Seele Seligkeit: nein. Gott weiß es, daß ich kein Glück erstrebe, als das einer christlichen Ehe, nichts ersehne als die Liebe einer Frau, die ich liebe – ach, die ich liebe mehr als mein Leben.“

„Und wie heißt sie?“ fragte Albrecht theilnahmsvoll.

Ohne zu zögern, wenn auch tief erröthend, antwortete Achatius: „Gertrud von Hellingen.“

Albrecht glaubte nicht recht gehört zu haben. „Gertrud von Hellingen? Die Einzige, um die ich Euch nie herumflattern sah?“

Achatius neigte sich demüthig zustimmend. „Die es mir nie gestattet hat.“

„Nun, so wollen wir sie um ihre Meinung befragen,“ entschied der Herzog.

Achatius fuhr zusammen. „Sie hat mich mit grausamer Strenge behandelt,“ sagte er zaghaft.

Herzog Albrecht blickte nachdenklich. „Die Strenge ist in der Hand von uns fehlbaren Menschen wie ein zweischneidig Schwert. Sie verletzt den, der sie übt, oft so schwer wie den, welchen sie trifft.“

„Aber sie hatte ein Recht, mich zu verurtheilen, “ klagte Achatius.

Der Herzog lächelte mild, „Wozu hätten wir das schöne Wort ,Vergebung’, wenn es nie gesprochen werden sollte?“ Dann fuhr er ernst fort: „Was aber Eure Entfernung vom Höfe betrifft, so befehlen wir, daß Ihr Euch für etzliche Zeit nach Reinhardsbrunn begebt. Alldort zeigen sich Wölfe. Ihr habt sonst den Schäfer gespielt; nun möget Ihr der Hirt sein, der unsre geplagten Unterthanen von dem Raubzeug befreit. Die Antwort der Jungfrau von Hellingen werden wir Euch senden.“

Achatius war entlassen. Mit tiefer Verbeugung zog er sich zurück. Das Blut sauste ihm in den Schläfen, daß er nicht sah, noch hörte, während er nach seinem Haus hinüberstürmte.

Er, der so viel Herzklopfen kalten Blutes über Frauen verhängt hatte, meinte jetzt, unter den eigenen Herzstößen ersticken zu müssen. Nicht die Verbannung ängstigte ihn mehr; auch nicht – es war schrecklich! – die Gewissensbisse über all das Frauenzimmer, welches er dahin gebracht hatte, daß es sich anhing wie Kletten.

Aber Gertrud! Was würde sie sagen zu seiner Werbung? Er meinte, den Blick voll Stolz und Reinheit zu sehen, mit dem sie ihn zurückwies, und glaubte in die Erde sinken zu müssen vor Scham. Nie, nie konnte er sich wieder vor ihr sehen lassen. Nun, Gott sei Dank! Es gab wieder Kriegsaussichten. Herzog Ernst dachte daran, sich unter die Fahne Gustav Adolphs zu stellen, wenn dieser den Evangelischen zu Hilfe kommen würde. Dann folgte er demselben wie einst dem Herzog Wilhelm ins Feld und, ruhte nicht, bis er todt geschossen oder gestochen war.

Bei diesem Entschluß besänftigte er sich. Doch stand ihm der Athem still, als die Hausglocke ging und der kleine Conz mit der Bestürzung fürstlicher Dienerschaft bei hereinbrechender Ungnade ein Brieflein überbrachte und eilig wieder davon flog.

Bis in die Lippen erbleichte Achatius, während er das Siegel erbrach. Dann erstarrte sein Blick. Er las noch einmal laut sich selbst vor: „Die Jungfrau von Hellingen erwartet Euch um sieben Uhr bei ihrer Mutter, damit Ihr bei selbiger Eure Werbung anbringen könnt. Sie ist gesonnen, Euch zu ihrem ehelichen Gemahl zu nehmen.“

Noch stand Achatius regungslos. Dann wischte er eine Thräne aus den Wimpern. Es war doch zu arg, daß ein Mann, der mehr als einmal Pulver gerochen hatte, weinte wie ein Kind. Er faltete die Hände, jetzt nicht zum Staat, sondern zu feierlichem Gelöbniß. Er wollte es ihr vergelten, so lange ein Athemzug in seiner Brust war.

(Schluß folgt.)


Karoline von Linsingen.
Aus dem Leben einer schwergeprüften Frau. Nach ihren Briefen und Aufzeichnungen.
Von Schmidt-Weißenfels.
(Fortsetzung.)

Prinz William reiste nach England. Er wollte seinen Eltern beichten und ihre Einwilligung zu der Ehe mit Karoline von Linsingen erstreiten. Siegesgewiß nahm er Abschied von ihr, hundertmal betheuernd, daß er ihr seinen Schwur halten und sie bald als seine Gattin öffentlich begrüßen werde. Sie glaubte ihm und seiner Liebe; aber es war doch Trauer in ihrem Herzen. Die Trennung erfüllte sie mit düsteren Besorgnissen. Es war ein Wendepunkt ihres Lebens, sie sah jetzt plötzlich die Wirklichkeit, die sie bangen machte.

Der General hatte die Entscheidung dem Könige anheimgestellt. Er selbst wollte nicht mit rauher Hand in das Liebesglück der beiden eingreifen; aber er fürchtete im Stillen, daß seine Tochter schwer werde büßen müssen.

Um sie unter den obwaltenden Umständen allen peinlichen Begegnungen zu entheben, reiste er mit ihr von Pyrmont ab und brachte sie nach dem stillen Driburg. Sie kam als eine Kranke dort an, und wie der fieberhafte Zustand, in den sie nun verfiel, verlaufen würde, war unberechenbar. Ein Arzt und Georg, der Diener, hüteten und pflegten sie, außer ihrem Vater. Wildes Phantasiren brach häufig bei ihr aus; aber es war nicht nur das einer schwer Kranken, sondern traumhafte Gesichtserscheinungen in ihrem magnetischen Zustand waren dabei. Sie sah William, die königliche Familie im Schlosse zu Windsor, Scenen darin mit ihm über sie, seine Gemahlin; sie sprach gleichsam mit hinein, liebeglühend und doch bereit, ihm zu entsagen, weil es von ihm seitens des Königs gefordert wurde. Wenn sie dann aus diesem Zustand des Hellsehens erwachte, so griff eine Erschöpfung ihres Körpers und Geistes Platz, in welcher sie regungs- und wortlos mit wunderbar großen und glänzenden Augen tagelang im Bette lag, wie wartend, wie ersehnend, daß die Visionen von neuem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_814.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)