Seite:Die Gartenlaube (1888) 812.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

sie ihn mit fliegenden Fingern auf. „Hingebende Liebe! Wie oft ist es hingeworfene Liebe!“

Er wurde todtenbleich. „So verächtlich erscheine ich Euch?“ fragte er mit tonloser Stimme. Und leidenschaftlich fuhr er fort: „Spricht nichts, nichts in Eurem Herzen für mich? Ist nicht ein Plätzlein in Eurer Seele, dahin sich ein milderes Gefühl für mich versteckt hat? Und wenn es auch nur ein schwacher Funke Mitleid ist, laßt ihn mir zu gute kommen; ich flehe Euch an.“

Er stand vor ihr, die schlanke biegsame Gestalt demüthig gebeugt, mit den Augen in ihrem Blick sich festsaugend.

Und mit einem weichen zitternden Ton, wie er ihn noch nie von ihr gehört hatte, sprach sie: „Laßt es genug sein der Qual! Auch ich flehe Euch an.“

Da schwieg er. Der sanfte Ton hatte eine Gewalt über ihn, der er nicht zu widerstehen vermochte.

Die Wärterinnen kamen zurück. Und jetzt geruhte das Prinzlein, seine Suppe zu verzehren, indem es über den vorgehaltenen Löffel hinweg nach dem schnurrenden Trommelmann schaute. Es sah auch mit gnädigen Augen das wohl geglättete neue Wämschen an.

Der Hofmeister hatte nichts mehr in der fürstlichen Kinderstube zu schaffen. Er ging davon. Und nun rief ihm der alte Papagei aus dem Vorzimmer in gütevollem Tone nach: „Armes Papchen! ganz allein!“ Achatius drückte die Hände zu Fäusten zusammen.

Als er aus dem Schloß trat, fand er den Hof belebt von fremden Trompetern. Sie hatten Briefschaften aus Koburg und Eisenach an die Herzöge von Weimar gebracht. Der Page Conz verschwand eben mit denselben im Portal. Einen Augenblick tauchte bei der Nennung der Namen in der Erinnerung des Hofmeisters eine Reihe niedlicher Schäferinnen auf, die mit ihren Stäben ihn einhegten. Und er mußte denken, wie tief unter ihm die Irrthümer jener Zeit lagen. Aber er dachte nicht, daß, wer Irrthümer säet, Erfahrungen erntet.

Auch ihm Überreichte ein Lakai ein großes Schreiben. Die Botenfrau von der Dornburg, welche es gebracht hatte, sitze noch in der Schloßküche und thue sich gütlich an Kalbskopf mit aufgestreutem Ingwer. Ob der Herr Hofmeister nicht diesmal etwas mitzugeben habe?

Achatius winkte hastig abwehrend. Mißtrauisch schaute er die Aufschrift an. Nein, es waren nicht die flüchtigen Buchstaben der rundlichen Hofmeisterin. So grimmige Zeichen malte gewißlich nur Frau von Tautenburg.

Er erbrach und las die Epistel. Ein wehmüthiges Lächeln kam auf seine Lippen. Gottlob, die kleine Käthe und der Junker Utz hatten sich wieder zusammen gefunden. Dieser Schuld war er wenigstens ledig.

Und er hatte eine Leidensgefährtin auf der Dornburg: die schöne Dorothea. Wie er sich einst rühmte, den galanten Schäfer spielen und jegliches Frauenzimmer ködern zu können, so vermaß sie sich in ihrem Uebermuth, den Herzog Albrecht in einen Celadon umzuwandeln. Ein Schäferspiel wollten sie beide tragiren; das tragische Ende war gekommen.

„Herr Hofmeister!“ schallte es aus dem Korridor. Conz kam gelaufen. „Ihr sollt Euch sogleich zu meinem Herrn verfügen.“

Achatius folgte ihm auf dem Fuße. Geschmeidig glitt et in das Zimmer des Herzogs Albrecht.

Der fürstliche Herr stand neben seinem Schreibtisch, auf welchem verschiedene erbrochene Briefe lagen. Mit einem unwilligen Blick maß er den tief sich verbeugenden Hofmeister.

„Wir hören üble Dinge von Euch,“ sprach er streng. „Zum ersten haben wir hier einen Brief von unsrem Vetter in Eisenach bekommen. In der Nachschrift schreibt uns Seine Liebden: ‚Da Unsre liebe Gemahlin gern ihre Wissenschaft denen zu gute kommen läßt, welche ihrem Schutze anvertraut sind, so bitten Wir, Uns kund zu thun, wann Euer Hofmeister von Krombsdorff geboren ist. Unsre Gemahlin wünscht, ihm das Horoskop zu stellen, um zu erfahren, welche Unsrer Hofjungfrauen er zu freien gedenkt. Denn leider scheinen sie beide auf ihn zu lauern wie zwei Füchslein auf einen wohlschmeckenden Trappen. Die eine rühmt sich eines Kniefalls, die andre behauptet, er werde nächstens ein Mittel gegen Herzensgebreste bei ihr holen.‘“

Albrecht ließ den Brief sinken und schaute den Hofmeister an.

Stumm, betroffen stand Achatius vor dem jungen Fürsten.

Dieser griff nach einem zweiten Schreiben. „Auch unser Vetter in Koburg beklagt sich über Euch,“ sprach er und las: „‚Und müssen Wir Euer Liebden kund thun, daß durch Euren Hofmeister von Krombsdorff eine arge Unruhe in Unsrem Frauenzimmer angerichtet worden ist. Beide Hofjungfrauen behaupten, jeden Augenblick die Werbung des Hofmeisters erwarten zu dürfen. Die eine pocht darauf, daß er sie seinen Cherub genannt, die andere, daß er sie zu seiner Eva erkoren habe. Und sind sie also verzankt, daß Wir sie vernünftigerweise in die Custodi bringen wollten, welche gerechte Strafe Unsre Gemahlin abgewendet hat.‘“

Abermals sah Herzog Albrecht den Hofmeister fragend an.

„Der heidnische Gott Cupido hat sein arges Spiel getrieben,“ murmelte Achatius verwirrt.

„Ihr werdet selbigem Gott fleißig nachgeholfen haben,“ zürnte Albrecht. „Was hat es damit auf sich, daß die Hofmeisterin von der Dornburg bei der Hofmeisterin unsrer Schwäherin anfragt, wo ihr herzallerliebster Bräutigam, der Herr Achatius von Krombsdorff, weile? Er antworte nicht auf ihre Brieflein, und sie habe doch den Verlobungskuß von ihm empfangen.“

Achatius wich voll Schrecken zurück. „Gott soll mich bewahren!“ rief er, die höfische Haltung vergessend. „Vielleicht ist die ehrwürdige Frau mit einer Schwachheit des Hauptes behaftet. Ein Schmätzlein ist kein Eheversprechen.“

„Und,“ fiel Albrecht mit hartem Tone ihm in die Rede, „wie könnte es geschehen, daß der Hofmarschall von Teutleben in Euren Rechnungsbüchern ein Brieflein der Jungfrau Benigna fand, darin sie Euch Vorwürfe macht, daß Ihr nicht zur Buchsbaumgans gekommen seid? Verantwortet Euch ernstlich wegen der Leichtfertigkeiten, deren man Euch beschuldigt, bei unsrer Ungnade.“

Bei jedem Punkt war Achatius mehr zusammengeknickt. Da hatte er nun hingebende Liebe in Fülle. Er wünschte sie in das Pfefferland. Mühsam sammelte er sich. Dann sprach er gefaßt und ruhig: „Fürstliche Gnaden wissen, daß die alamoden Bräuche an vielen Höfen zur Herrschaft gekommen sind. Ich bin mit ihnen vertraut worden, seit ich unter Christian von Braunschweig die Welt kennen lernte. Ich habe gemeint, daß es keine Gefahr mit sich bringe, wenn dieselben bei uns eingeführt würden. Wie in dem Schäferroman habe ich mancherlei Diskussionen über die Liebe gepflogen, geseufzt und geschmachtet, wie es einem Celadon zukommt. Es mag dabei mancher Exceß in der angenehmen Redensart mit untergelaufen sein. Aber hat das Frauenzimmer nicht seinen gläsernen Rath, von dem es erfahren kann, daß zuweilen seine Augen mehr trübe blinzelnden Lichtlein denn Sternen und Vergißmeinnicht gleichen? Ich gebe zu, daß auch die Seufzer erheuchelt waren. Aber das Frauenzimmer weiß, daß der Schäfer vor den Augen der Welt einer Schäferin huldigt, die seinem Herzen gleichgültig ist, um seine wahre Liebe zu verhehlen. Also habe auch ich gethan. Hat das Frauenzimmer meine Reden falsch verstanden, so wollen fürstliche Gnaden einen Milderungsgrund darin sehen, daß ich zum Schäfer zu ungeschickt bin, und daß deutsche Frauen auch zu den Schäferinnen verdorben sind, indem sie jede Diskussion über die Liebe nur als eine Vorbereitung für die Ehe betrachten. Derohalb bitte ich unterthänig um gnädige Strafe.“

Herzog Albrecht hatte unbewegt zugehört. Nur bei Erwähnung der Schäfer war es, als zögen sich seine Brauen noch strenger empor.

Dann erwiderte er kalt: „Strafe habt Ihr allerdings zu gewärtigen. Es ist kein leichtes Vergehen, die Schwachheit vertrauender Frauen, die auf die ritterliche Gesinnung der Männer angewiesen sind, auszunutzen, sie auf Irrwege zu führen und dann im Stich zu lassen. Französische Leichtfertigkeit darf nicht an unserem Hofe eingeführt werden. Auch sind wir unseren fürstlichen Verwandten Genugthuung schuldig für die Unbill, welche ihrem Frauenzimmer von Euch zugefügt worden ist. Ihr werdet den Hof zu meiden haben.“

Achatius war zu Tode erschrocken. Aber nicht die Kränkung seines Stolzes und Ehrgeizes schlug ihn danieder. Er hatte nur den einen Gedanken, daß er Gertrud fürder nicht mehr sehen sollte.

War denn zu den vielen Teufeln, welche die Welt erfüllten, auch noch ein Briefteufel gekommen? Und hätte der Fürst der Hölle denselben gegen ihn losgelassen? Mit dem Schreiben der Frau von Tautenburg hatte er angehoben.

Da zuckte plötzlich durch den findigen Höflingskopf eine Erleuchtung. Er richtete sich auf und sprach: „Ja, ich gestehe es offen ein, ich bin ein leichtsinniger Schelm gewesen, und ich bereue es tief; denn es ist eine große Verwandlung mit mir vorgegangen.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 812. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_812.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)