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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Aber jetzt richteten sich seine Augen auf Dorothea, und ein Blick voll Schmerz und Anklage traf sie und hielt sie fest, bis die Engelskutsche vorübergerollt war.

Dann drückte er den Hut über die Stirn, warf sein Pferd herum und jagte nach der Stadt zurück.

Dorothea sah ihm nach.

Dort verschwand er hinter dem Feldrain, wo die Lerche jubelnd in die Luft stieg. Wie mochte sie nur so freudig singen?

Langsam rollte der Wagen den jenseitigen Abhang hinab. Weimar entschwand; noch lugte die Spitze des Schloßthurmes hervor. Dorotheas Augen klammerten sich daran. Nun war auch diese verschwunden. Rasselnd, knackend bewegte sich der Reisezug in das von kleinen Wäldern unterbrochene Hügelland hinein. Der Schloßhauptmann ritt an der Spitze und zeigte seiner gnädigen Herrschaft Tümpel, Löcher und Steinblöcke im Wege an, damit sie sich auf die Stöße vorbereiten konnte.

Dorothea seufzte nicht wie Anna Maria, und sie betete auch nicht, wie Frau von Tautenburg an besonders gefährlichen Stellen that. Sie saß in düstres Sinnen versunken.

Auch im zweiten Wagen ging es anders zu auf der Rückfahrt denn bei der Ankunft.

Die rundliche Hofmeisterin war es jetzt, die den Vetter Achatius als ihr Eigenthum in Anspruch nahm; sie sah so lange zum Fenster hinaus, als noch ein Nasenspitzchen von ihm zu erschauen war. Dann fiel sie in einen kleinen Dämmerschlummer.

Käthe, die damals das große Wort geführt hätte, saß kleinlaut in ihrem Eckchen. Die Hofjungfrauen zahlten ihr heim, was sie an Neid und Mißgunst auf dem Herwege gelitten hatten.

„Ei, Käthe, Dein Vetter hat Dich sehr kurz valediziret,“ meinte die Langnasige höhnisch. „Ich dachte, er wäre Dir gut.“

Dabei rutschten alle fürsorglich auf die rechte Seite; denn dieses Rad lief auf hohem Rain hin, das andere bewegte sich in einem Schlammbettlein.

„Der Hofmeister wird eine gute Partie thun,“ sagte das Strohblümchen schadenfroh. „Er heirathet die blonde Benigna der Herzogin Eleonore. Sie schrieb täglich Briefchen an ihn. Benigna hatte kein Geheimniß vor mir.“ Wie alle, die selbst keine Eroberungen zu Verzeichnen haben, brüstete sich das Strohblümchen mit den Erfolgen anderer.

Dabei hoben sie sich insgesammt in die andere Ecke des Wagens, da nun diese Seite auf ein Steinriff stieg, während die vorher hochgehenden Räder an einem Abhang hinliefen.

„Laßt Euer thörichtes Gerede,“ sagte die Hofmeisterin. „Achatius von Krombsdorff ist ein Mann von Erfahrung. Er erkiest sich kein grünes Früchtlein, sondern eine süße Pomesine.“ Sie lachte schelmisch in sich hinein.

Die Kutsche fiel mit den Vorderrädern in ein tiefes Loch, während die Hinterräder über einen Stein sprangen. Die Damen prallten gegen die Wagendecke und setzten sich dann in die Mitte des Gefährtes.

„Was wird der Junker Utz dazu sagen,“ höhnte die Langnasige, „wenn ihm zu Ohren kommt, wie ehrbare Mägdlein sich nicht geschämt haben, dem Hofmeister für und für mit goldenem Brustlatz in den Weg zu laufen und an offener Tafel ihm zu Leibe zu gehen? Ja, ja! Manchmal legen sich die klügsten Leute eigenhändig Schadorte.“

Sie waren selbst an einem Schadort angelangt. Die Pferde des zweiten Wagens, darin die Kammermägdlein saßen, bekamen eine muthwillige Neigung zum Durchgehen. Mit Macht rannten sie fürbaß und stracks auf die Kutsche der Hofjungfrauen zu. Ein Stoß erfolgte, und die Deichsel erschien zwischen den schreckensbleichen Gesichtern der Hofmeisterin und der ältesten Jungfrau. Ein zweiter Ruck und die Wagen neigten sich krachend auf die Seite und fielen um.

Ein grauenvoller Wirrwarr entstand. Die Vorspänner schrieen und schlugen auf die Pferde. Das verunglückte Frauenzimmer jammerte aus dem Wagenkasten. Die Engelskutsche hielt. Frau von Tautenburg bog sich heraus.

„Hilf, Himmel! Unsre Käthe!“

Der Schloßhauptmann trabte eiligst zurück, sprang vom Pferde und zog seine Tochter heraus.

Sie war ganz weich auf ihre Peinigerinnen gefallen. Er setzte sie auf den Wegrain.

Käthe hatte nun doch eine Ursache zu weinen. Sie machte tüchtig Gebrauch davon.

Ihr Vater wandte sich der Hofmeisterin zu.

„Ach, wenn Herr Achatius mich so liegen sähe!“ klagte diese.

„Seid froh, daß es nur die kleinen Frösche sehen,“ antwortete Herr von Tautenburg und rang ihre Reisemutze aus, die sich in einem Pfuhl voll Wasser gesogen hatte.

Benignas Freundin war auf den Mund gefallen und hielt ihn nunmehr fest zu; die andere Hofjungfrau kühlte sich die geschrammte Nase mit einem Wegebreitblatt.

Der Wagen war zertrümmert.

„Wie, kommen wir nun fürbaß?“ fragte der Schloßhauptmann rathlos. „Bis zum nächsten Ort nach Hilfe zu reiten, wird sehr lang dauern und höchstens ein Mistkarren zu beschaffen sein.“

Da zeigte sich auf dem Weg ein Reiter; eilig sprengte er näher, gefolgt von einem Knecht.

„Gott sei Dank, Junker Utz!“ rief der Schloßhauptmann.

Utz war im Nu an der Unglücksstätte und vom Pferd. Seine Augen suchten und fanden Käthchen. Die aber legte nun vollends die Arme über das Gesicht. Er sah den Schloßhauptmann angstvoll fragend an.

„Sie ist nur erschrocken,“ tröstete dieser. „Aber wo kommt Ihr her?“ -

„Es muß mir geahnt haben, daß Euch ein Unfall bevorstand,“ antwortete Utz. „Immer mußte ich an Euch denken und es zog mich ordentlich an den Haaren fort. Das halte der Teufel aus, sagte ich, ließ die Knechte das Erbsenfeld allein bestellen und ritt Euch entgegen. Na! und da finde ich richtig die Bescherung.“

Seine Augen musterten dabei das ganze Häuflein Reisende und er athmete sichtlich auf; es war nirgends ein alamoder Monsieur zu erschauen. „Gott sei Dank, daß sich nichts ereignet hat als ein Wagenbruch.“

Dann wandte er sich den in einander gefahrenen Fuhrwerken zu. „Die Pferde abgesträngt!“ befahl er den Kutschern. „Angefaßt!“ herrschte er den Trabanten zu.

Er selbst legte mit Hand an. Ein Ruck seines starken Armes, und die Deichsel war frei. Der Wagen der Kammerkätzchen stand bald wieder reisefertig auf seinen vier Rädern. Aber er faßte nicht viel mehr, als schon darin saßen.

Da erhob Frau von Tautenburg in der Engelskutsche ihre Stimme:

„Mit Eurer fürstlichen Gnaden Erlaubniß mache ich hier Platz und steige hinter meinem Eheherrn aufs Pferd. Sein starker Ramskopf trägt uns beide. Die Frau Hofmeisterin und eine Jungfrau können meine Stelle einnehmen. Nun sind noch zwei Frauenzimmer unterzubringen.“

Junker Utz sah Käthchen an, „Auch auf meinem Rothschimmel wäre noch ein Platz,“ sagte er treuherzig. „Er hat einen sanften Gang.“

Käthchen saß unbeweglich, die Hände vor den Augen; das blonde Haarbüschchen fiel darüber. Aber die Hofjungfrau mit dem Wegebreitblatt auf der Nase erhob sich und trat zu dem Junker.

„Ich nehme Euer Anerbieten an.“ Sie stieg auf einen Meilenstein und mit Hilfe der Knechte hinter dem enttäuschtes Utz auf das Pferd. Der Schloßhauptmann stopfte an ihrer Stelle nicht allzu sanft seine Käthe in den Wagen der Kammermägde, hob seine Ehegesponsin zu sich auf den Ramskopf, und nun ging es wieder fürbaß.

Nachdem Frau von Tautenburg sich zurecht gesetzt hatte, seufzte sie: „Ist das eine Fahrt! Alles geht in die Brüche: Heirathen, Wagen, Arme, Beine.“

Ihr Eheherr begütigte: „Nu! nu!“

Besorgt flüsterte sie ihm ins Ohr: „Ist der Utz freundlich mit seiner Partnerin?“

Der Schloßhauptmann lugte aus und drückte pfiffig ein Auge zu: „Er macht ein Gesicht so gleichmüthig, als habe er einen Hafersack aufgeladen.“

„Spricht sie auf ihn ein?“ forschte die Frau weiter.

„Bei diesem Trab wird es ihr schier vergehen,“ entgegnete er und setzte seinem Ramskopf ebenfalls die Sporen ein, auf daß auch er Ruhe bekam.

(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_778.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)