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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

anmuthig an den Schäferstab und sagte mit holdseligem Lächeln: „Und wir sind der Dienste unserer getreuen Schäfer gewärtig.“

Sein Blick zuckte verächtlich auf den bebänderten Schäferstab herab. „Ich führe eine Stütze, die zuverlässiger ist als dieses Spielzeug,“ entgegnete er, auf das goldene Rappier an seiner Seite deutend.

Sie zwang sich zu einem scherzhaften Ton. „Eine Waffe wäre ein wunderliches Attribut für einen Celadon.“

„Für den Schwächling allerdings,“ entgegnete Herzog Albrecht wegwerfend.

Das Lächeln erstarrte auf ihren Lippen.

„Einen Schwächling,“ rief sie vorwurfsvoll, „nennen Sie den Schäfer, der lieber stirbt als verschmäht lebt?“

„Ein Mann, der sich wegen der Launen seiner Geliebten ertränkt, statt ihr dieselben abzugewöhnen, verdient keinen andern Namen,“ sprach er schroff. „Ein rechter Mann stirbt für seinen Glauben, sein Vaterland, seine Ehre, in der Erfüllung seiner Pflicht.“

„Pflicht,“ wiederholte sie und zog unmuthig die Brauen zusammen, „das ist ein hartes, ungalantes Wort.“

„Ja, hart ist die Pflicht, hart wie unsere Zeit,“ entgegnete er fest. „Aber wir haben uns dem Gesetz das sie vorschreibt, zu beugen.“ Und er setzte die Spitze seines Rappieres so fest auf, als drücke er sein fürstliches Siegel unter seinen Ausspruch.

„Eure Liebden geben dem Gespräch eine Wendung,“ sagte sie mit bebenden Lippen, „welche ihresgleichen nicht hat in den Diskursen alamoder Kavaliere.“

„Ich stehe nicht hier als alamoder Kavalier und französischer Schäfer, der süßliche Diskurse führt,“ entgegnete er rasch, und seine hohe Gestalt schien noch zu wachsen, „sondern als deutscher Fürst, als Herzog von Sachsen, der eine Fürstin gleichen Stammes um eine ernste Aussprache gebeten hat.“

„Und warum darf nicht auch das Ernste in schöne schmeichelnde Form sich kleiden?“ fragte sie, und ihre Augen begannen zu flammen.

„Weil ein sächsischer Herzog itzunder zu solchen Tändeleien keine Zeit hat,“ antwortete er mit unerschütterlicher Festigkeit. „Er muß auf der Wacht stehen, um die Unabhängigkeit deutscher Fürsten zu behaupten gegen den hispanisch gesinnten Kaiser, ererbte heilige Sitte, sinnvollen alten Brauch und die Muttersprache rein zu bewahren, auf daß diese werthvollsten Schätze einst ungeschädigt den Glücklicheren überliefert werden, die nach uns kommen. Und dasselbe Streben muß er fordern von der Gemahlin, die er seinen Erblanden als Fürstin giebt.“ Er hielt einen Augenblick inne. Dann fuhr er langsam, als wäge er jedes Wort, mit tiefem Ernste fort: „Das alles heischt die Pflicht von ihm, und er kann keinen Buchstaben davon ablassen, wenn er auch darob das Glück, das er heiß ersehnt, verloren geben müßte.“

Dorothea richtete sich hoch auf. Sie fühlte das Diadem auf ihrer Stirn.

„Auch Wir haben eine hohe Meinung von Unserem fürstlichen Beruf,“ entgegnete sie, den flammenden Blick zu seinen streng auf sie niederschauenden Augen erhebend, „wenn auch eine andere als Eure Liebden. Sie richten ein steiles Gerüst von Pflichten auf, an welchem alles verkümmert, was flüchtig ist wie der Duft, fein wie der Aether, zart wie der Schmelz. Wir aber gedenken, die Anmuth und die Schönheit zu pflegen. Wir haben Uns gerettet in das Land der Poesie und nicht danach gefragt, ob ein Deutscher oder ein Franzose den Weg dahin gewiesen hat.“

Der Herzog war unter ihren Worten erbleicht. Aber er schwieg.

Es war todtenstill.

Dorotheas Augen irrten unsicher umher. Die Schriftzeichen des Obelisken starrten sie an, als habe eine Hand hier Worte eingegraben, die unentzifferbar für sie waren. Auf der Spitze erlosch das letzte Roth. Mit fast erstickter Stimme sprach sie: „Es wird Zeit zur Heimkehr. Die Sonne neigt sich.“

„Sie ist untergegangen,“ erwiderte er leise. Und mit schwerer Betonung setzte er hinzu: „Aus diesen Irrgängen vermag ich Sie zurückzuführen.“ Mit dem abgezogenen Federhut deutete er ihr den Weg an, der aus dem Labyrinth führte.

Zwischen den schwarzen Wänden eilte das junge Paar in heiterer Festtracht mit todternsten Mienen dahin. Nur das Knirschen des Kieses unter den hastigen Schritten ließ sich vernehmen; aber jedes meinte, das andere müsse das Pochen seines Herzens hören.

Ueber den Buchen des Webichts stieg der Mond empor, und in langgezogenen Tönen hob die Nachtigall ihr Abendlied an. Luna lächelte, Philomele klagte – und am Ausgang des Irrgartens trennten sich mit tiefen höfischen Reverenzen Albrecht und Dorothea.

Auch über die übrige Gesellschaft war eine Verstörung gekommen. Die Schäferinnen standen auf der einen Seite, die Palmgenossen auf der andern. Statt feiner Diskurse über wohlmeinende Affektionen hatte es derben Zank gesetzt. Es gab bei den Damen rothgeweinte Augen und bei den Herren Zornesadern auf den Stirnen.

Selbst Herzog Wilhelm, der allezeit einen Ausgleich zu finden wußte, war verlegen. Er mochte seiner Gemahlin die Bitte nicht gänzlich abschlagen, als weiser Sylvander zärtliche Reden mit ihr zu führen, und die Damen nicht kränken, die seine Hofstatt mit ihrem Besuch erfreut hatten. Aber er wollte auch nicht die französischen Spiele an seinem deutschen Hof einführen.

Die Schäferinnen riefen nach ihrer Astrea, daß sie ihnen helfe, die widerspenstigen Schäfer zum Gehorsam zu bringen.

Statt ihrer trat die blasse Frau Witwe aus einem dunklen Cypressengang hervor und sprach mit müder Stimme: „Unsere Tochter hat sich eine starke Verkühlung im welschen Garten zugezogen und sich in die Rosenkammern zurückbegeben.“

Da verstummten die Schäferinnen erschrocken. Denn von der Herzogin von Koburg bis herab zum letzten Hofjungfräulein errieth im selben Augenblick jede, daß Herzog Albrecht ebenfalls es verweigert hatte, den Celadon zu spielen, und daß ein wohlgeschmiedeter Plan gescheitert sei.

Es wußte niemand mehr, wo ein und aus.

Da trat der Einschläfernde, ein alter Rath vom Schöppenstuhl in Jena, hervor und sprach: „Nach wohl erwogenen Dingen gebe ich anheim, zu entscheiden, ob die Zeit nicht zu kurz bemessen ist, um diese hochbedenkliche Sache mit allen Diffikultäten nach Nothdurft zu berathen, und schlage vor, selbige für jetzt ad acta zu legen und das Urtheil auf gelegenere Zeit zu vertagen.“

Alles athmete auf. Wenn man die gelahrte Rede auch nicht gänzlich verstanden hatte, so viel war aus selbiger hervorgegangen, daß die Sache auf die lange Bank geschoben werden sollte. Und da man in alten gemächlichen Zeiten beschwerliche Dinge gern auf solcher unterbrachte, so zeigten sich Schäferinnen und Palmgenossen zufriedengestellt und begaben sich, müde von Freud und Leid, in ihre Losamente.

In den Rosenkammem wurde eingepackt. Die Kammermägdlein der Frau Witwe wickelten bestürzt den Schäferstab in undurchsichtige Hüllen. Bärbchen, welche das Hirtentäschchen herbeitrug, schnickte mit den Fingern, als hätte sie sich an dem flammenden Herzen verbrannt; Aennchen, die den verwelkten Tulpenstrauß in den Silberflor hüllte, stieß einen tiefen Seufzer aus. Die Tautenburgischen falteten ihre Staatskleider zusammen.

„Du hast recht gehabt, Käthe,“ sprach der Schloßhauptmann, „es ist in Weimar kund geworden, wie ein adliger Junker einer edlen Jungfrau gegenüber sich benehmen muß. Nu, nu! hänge Dein Mäulchen nur nicht zu tief herab, Du könntest darauf treten.“

„Wer recht nach Gesundheit tracht’, kein Bitterniß der Arznei acht’,“ setzte die Frau Mutter hinzu. „Aber gieb Dich zufrieden. Bei dem Johannisbier, wenn Du Dich mit dem Junker Utz schwenkest, wirst Du mehr Spaß haben.“

„Ach der!“ erwiderte Käthchen trotzig, „der tanzt Kreiskessel, und was eine Galliarde ist, weiß er gar nicht.“

„Larifari!“ entgegnete die Mutter, „Im heiligen Ehestande helfen zierliche Tanzbeine nichts. Ich will niemand rathen, mit seinem Schühlein zu diesem Werk zu schreiten, sondern es wolle sich jeglicher wohlweislich mit einem Paar tüchtigen Nägelstiefeln versehen.“

Käthe biß die Zähne zusammen, damit sie nicht laut aufschrie.

Nägelstiefel! Und vor ihren Augen wirbelten schmale Rösleinschuhe in anmuthigen Pas in der Luft herum.

Was ein armes Mädchenherz tragen kann, ohne zu brechen! Wie einen Sargdeckel schlug sie die Truhe über dem Leberfarbenen zu.


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