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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Nun, Gott sei Dank! Ich glaubte schon, es sei irgend etwas Schlimmes passirt, weil Du so ganz plötzlich erscheinst. Was führt Dich denn so unerwartet her?“

„Eine geschäftliche Angelegenheit, die ich brieflich unmöglich erledigen konnte,“ sagte Wolfgang, indem er seinen Hut ablegte. „Ich zog es daher vor, die Reise zu Dir zu machen, obgleich meine Anwesenheit auf der Bahnstrecke sehr nothwendig ist.“

„Nun gut, dann besprechen wir die Sache mündlich,“ versetzte der Präsident, der immer bereit war, von Geschäften zu reden „Wir sind heut Abend ganz ungestört; aber zunächst ruhe Dich aus. Ich werde sofort Befehl geben, Deine Zimmer –“

„Ich danke, Papa,“ unterbrach ihn Elmhorst. „Ich möchte die Angelegenheit sofort zur Sprache bringen, sie ist dringend, wenigstens für mich. Wir sind doch hier ganz allein?“

„Gewiß, ich pflege mein Arbeitszimmer vor Lauschern zu sichern, indessen kannst Du der Sicherheit wegen die Thür des Nebenzimmers abschließen.“

Wolfgang kam der Weisung nach und kehrte dann zurück, und erst jetzt, wo er in den Lichtkreis der Lampe trat, sah man es, wie bleich und erregt er war. Diese Blässe stammte aber schwerlich von der Ermüdung der weiten Fahrt, die er ohne Unterbrechung gemacht hatte; auf seiner Stirn lagerte eine Wolke und die dunklen Augen hatten einen finsteren, beinahe drohenden Ausdruck.

„Du scheinst etwas sehr Wichtiges zu bringen,“ bemerkte der Präsident, indem er sich niederließ, „sonst wärst Du auch schwerlich selbst gekommen. Nun also – aber willst Du Dich nicht setzen?“

Der junge Chefingenieur beachtete die Einladung nicht, sondern blieb stehen. Er stützte nur die Hand auf die Lehne des Stuhles und seine Stimme klang scheinbar ruhig, als er begann:

„Du hast mir die Abschätzungen und Berechnungen übersandt, die bei Uebernahme der Bahn seitens der Aktionäre als Grundlage dienen sollen.“

„Gewiß, ich sagte Dir ja bereits, daß ich Dich mit den Details dieser Berechnungen verschonen würde. Du bist schon allzu sehr in Anspruch genommen von der technischen Leitung. Ich habe Dir nur die Durchsicht und Bestätigung vorbehalten, denn Du hast als Chefingenieur das erste und letzte Wort in der Sache zu sprechen.“

„Das weiß ich! Ich bin mir der Verantwortlichkeit vollkommen bewußt und eben deshalb möchte ich eine Frage an Dich richten. Wer hat diese Berechnungen aufgestellt?“

Nordheim streifte seinen Schwiegersohn mit einem halb verwunderten Blick; die Frage schien ihn zu überraschen.

„Wer? Nun, meine Sekretäre und die Beamten, die wir als Sachverständige zuziehen mußten.“

„Das brauchst Du mir wirklich nicht erst zu sagen, Papa! Sie haben selbstverständlich nach den Notizen und Angaben gearbeitet, die man ihnen lieferte. Ich wünsche aber zu wissen, von wem diese Angaben stammen, wer überhaupt die Summen aufgestellt hat, die der Werthschätzung zu Grunde liegen. Du kannst es nicht gethan haben, das ist unmöglich.“

„So? Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“

„Weil die sämmtlichen Berechnungen gefälscht sind!“ sagte Wolfgang kalt, aber mit vollem Nachdruck.

„Gefälscht? Was soll das heißen?“ fuhr der Präsident auf.

„Sollte Dir das wirklich entgangen sein?“ fragte Elmhorst, den Blick fest und unverwandt auf seinen Schwiegervater gerichtet. „Ich entdeckte es schon bei der ersten Durchsicht. Die sämmtlichen Bauten sind mit Summen beziffert, die ihre Herstellungskosten fast um das Doppelte übersteigen; bei den Grunderwerbungen sind Posten in Anrechnung gebracht, die überhaupt nie gezahlt wurden. Die Schwierigkeiten und Katastrophen, mit denen wir zu kämpfen hatten, sind in einer geradezu unglaublichen Weise ausgebeutet worden, man hat Hunderttausende in Rechnung gestellt, wo kaum die Hälfte wirklich aufgewandt wurde – kurz, die ganze Berechnung ist um einige Millionen zu hoch gegriffen.“

Nordheim hörte schweigend, aber mit gerunzelter Stirn dieser erregten Auseinandersetzung zu, er schien mehr betroffen als beleidigt dadurch zu sein, und endlich sagte er kühl:

„Wolfgang – ich verstehe Dich wirklich nicht.“

„Nun, ich habe Deinen Brief auch nicht verstanden, in dem Du mich auffordertest, diese Berechnung zu bestätigen und mit meiner Unterschrift zu vertreten. Ich glaubte und glaube noch immer, daß es sich hier um einen Irrthum handelt, und wollte mir persönlich Gewißheit darüber holen. Ich hoffe, Du wirst sie mir rückhaltlos geben.“

Der Präsident zuckte die Achseln, aber er behielt den kühlen, gelassenen Ton bei, als er antwortete:

„Du magst ein ausgezeichneter Ingenieur sein, Wolfgang, zum Geschäftsmanne hast Du wenig Talent, das sieht man! Ich hoffte, wir würden uns in der Sache verstehen, ohne viel Worte darüber zu machen, das scheint aber nicht der Fall zu sein; wir werden uns also wohl darüber verständigen müssen. Glaubst Du etwa, daß ich mich mit Schaden von dem Unternehmen zurückziehen will?“

„Mit Schaden? Du erhältst in jedem Falle Deine aufgewendeten Kapitalien sammt den Zinsen zurück.“

„Ein Geschäft, das keinen Nutzen bringt, ist als Verlust zu betrachten,“ sagte Nordheim. „Ich glaubte nicht, daß Du ein solcher Neuling im Geschäftsleben seiest, daß ich Dir diesen Grundsatz erst klar machen muß, und hier ist die Möglichkeit eines Gewinnes, eines sehr bedeutenden Gewinnes gegeben. Die Bahn ist so gut wie mein! Ich habe sie ins Leben gerufen, habe das Hauptkapital hergegeben, das ganze Risiko getragen, da wirst Du mir doch wohl nicht das Recht bestreiten, mein Eigenthum zu dem Preise abzutreten, den ich festzusetzen für gut finde.“

„Wenn dieser Preis nur mit solchen Mitteln zu erreichen ist, bestreite ich es entschieden. Uebernimmt die Gesellschaft die Bahn unter diesen Bedingungen, so ist sie von vornherein vor den Bankerott gestellt. Selbst der ausgedehnteste Betrieb ist nicht im Stande, den Schaden, den sie erleidet, auch nur annähend zu ersetzen; das ganze Unternehmen geht entweder zu Grunde oder wird schließlich die Beute eines einzelnen, der besser zu rechnen versteht.“

„Und was geht das uns an?“ fragte Nordheim eisig.

„Was es uns angeht?“ fuhr Elmhorst empört auf. „Wenn das Werk, das Du geschaffen hast, dem ich meine ganze Kraft gewidmet habe, das unsere beiden Namen vereinigt an der Spitze trägt, elend zu Grunde geht oder eine Beute schwindelhafter Experimente wird? Nun, mich wenigstens geht es an, das denke ich Dir zu beweisen!“

Der Präsident erhob sich mit einer ungeduldigen Bewegung.

„Wolfgang, ich bitte Dich, verschone mich mit solchen Deklamationen! Sie sind hier wirklich nicht am Platze, wo wir von Geschäften reden.“

Der junge Chefingenieur trat zurück, die Erregung verschwand aus seinen Zügen und machte einem kalten, verächtlichen Ausdruck Platz; seine Stimme klang jetzt ebenso eisig wie die des Präsidenten, als er erwiderte:

„Ich gebe mich am wenigsten mit Deklamationen ab, das solltest Du wissen, Papa. Ich frage daher noch einmal, kurz und nüchtern: wer hat die Zahlen aufgestellt, die der Werthberechnung zu Grunde liegen?“

„Ich selbst!“ war die völlig unbewegte Antwort.

„Und Du erwartest, daß ich sie bestätige und mit meinem Namen decke?“

„Von meinem künftigen Schwiegersohne erwarte ich das allerdings,“ erklärte Nordheim mit vollster Schärfe.

„Dann bedaure ich, daß Du Dich in mir getäuscht hast – ich unterschreibe diese Berechnungen nicht!“

„Wolfgang!“ Es lag eine unverkennbare Drohung in dem Worte.

„Ich unterschreibe sie nicht, sage ich Dir! Zu einer Fälschung, zu einem Betruge gebe ich meinen Namen nicht her.“

„Was sind das für Ausdrücke!“ rief der Präsident zornig. „Und das wagst Du mir ins Gesicht zu sagen?“

„Nun, wie nennst Du es denn, wenn ich eine Aufstellung sanktionire, von der ich mit vollster Bestimmtheit weiß, daß sie gefälscht ist?“ fragte Wolfgang bitter. „Ich bin der Chefingenieur, mein Wort ist entscheidend für die Gesellschaft, für die Aktionäre, die von solchen Dingen nicht das Mindeste verstehen. Ich allein habe die Verantwortung zu tragen.“

„Die keiner jemals von Dir fordern wird,“ fiel Nordheim ein. „Ich glaubte wahrhaftig nicht, daß Du so pedantisch seist! Du verstehst eben nichts von Geschäften, sonst würdest Du Dir sagen, daß ich in meiner Stellung die Sache überhaupt nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_679.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)