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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

In der verbindlich gewinnenden Weise der Polen erzählte mir der Vater, er habe es vorgezogen, den Sohn sofort als Freiwilligen anzumelden, obgleich er fest überzeugt sei, daß derselbe bei einer Musterung frei kommen würde. Es sei dies der letzte von drei Söhnen, die beiden ältesten wären an der Schwindsucht gestorben, eine Tochter trage den Keim derselben Krankheit in sich, und bei diesem Jüngsten würde es wohl ebenso sein, denn er sei den verstorbenen Brüdern ganz ähnlich. Dabei schimmerten, trotz aller weltmännischen Fassung, die dunklen Augen des Vaters von Thränen, und als ich den jungen Mann sich entkleiden hieß, nahm ich mir fest vor, Milde walten zu lassen, so weit es sich mit meinem Gewissen vertrüge.

Während ich den feingebauten Körper des jungen Polen sorgsam auskultirte, fiel mir ein, wie am Tage vorher ein junger Graf Malten mich angefleht hatte, nicht zu sehr aus seine schmale Brust zu achten, er könne wirklich viel ertragen, er sei nicht schwächlich, als Kavallerist brauche man ja keine Bärenkräfte.

Dies hier war ein ganz ähnlicher Körperbau – zart, angegriffen, aber noch vermochte ich kein eigentliches Symptom von Lungenleiden aufzufinden. Den jungen Grafen hatte ich angenommen, indeß hier – die Krankheit war nun einmal in der Familie, – erblich sogar, wie der Vater versicherte, es war sein letzter Sohn, wenn er nun doch den Strapazen nicht gewachsen wäre – ja, dachte ich bei mir, ich darf es diesmal thun, ich notire ihn als zu schwächlich.

Wie ich aufblicke, das Stethoskop noch in der Hand, um dem Vater die gute Botschaft zu verkünden, sehe ich, wie der Pole mit verbindlichem Lächeln drei Hundertmarkscheine auf meinen Schreibtisch legt.

Ich sehe noch heute die feingliedrige, weiße Hand vor mir, wie sie die Bestechungssumme auf meinen ehrlichen, alten Tisch legt. Es durchfährt mich wie ein elektrischer Schlag. Denkt dieser polnische Aristokrat, daß ein bürgerlicher Doktor überall zu erkaufen ist, hier sowohl wie in Rußland, wo er vielleicht seine Erfahrungen gemacht hat? Das Blut steigt mir in den Kopf, es saust mir in den Ohren und ohne den Polen anzusehen, sage ich mit heiserer Stimme, indem ich zugleich die Notiz in das Attest eintrage: Tauglich für leichten Kavalleriedienst.

Ein Seufzer wie ein Stöhnen aus wunder Brust dringt an mein Ohr. Der Pole ist todtenblaß in einen Stuhl gesunken, aber wie ich auf ihn zueile, rafft er sich auf, tritt einen Schritt zurück und verbeugt sich Abschied nehmend mit kalter Würde.

Ich raffe die Scheine zusammen und reiche sie ihm.

‚Sie vergessen Ihr Eigenthum,‘ sage ich ruhig. Er nimmt sie und schreitet der Thür zu. Ich nähere mich dem jungen Polen und ermahne ihn, vorsichtig zu sein, er sei nicht krank, aber er sei sehr zart gebaut, ein wildes Leben könne ihn schnell an den Rand des Grabes bringen.

Ich spreche warm und dringend, er hört mich mit einem gleichgültigen Lächeln an, verbeugt sich verbindlich und folgt leichten Schrittes seinem Vater.

Ich starrte den beiden nach. Werden Sie es glauben, daß durch alle meine anstrengenden Berufsgeschäfte das schöne, ernste Gesicht des alten Polen mich verfolgte, daß ich immer wieder den tiefen, schmerzlichen Seufzer zu hören glaubte, mit dem er meinen Bescheid aufgenommen hatte?

Ich suchte mir einzureden, daß diese Polen überhaupt ungern gegen Frankreich kämpfen, daß man auf solche Gefühle keine Rücksicht nehmen dürfe – vergebens, ich konnte den Gedanken nicht los werden, daß ich den alten Mann vielleicht um den letzten Sohn gebracht haben könnte.

Der junge Pole, ein Herr v. Malaszow, war beim hiesigen Husarenregiment eingetreten. Er sah bildhübsch aus in der Uniform und schien sich auch ganz wohl zu fühlen.

Trotzdem die Geschäfte in jenen heißen Tagen schwer auf mir lasteten, fand ich immer noch Zeit, mich nach dem ‚schönen Polen‘, wie er im Regimente hieß, zu erkundigen. Bald hörte ich denn auch so mancherlei.

Er spielte die Nächte hindurch mit leichtsinnigen jungen Kaufleuten, Herren vom Lande und einigen Kameraden, trieb allerhand Tollheiten in verwegenen Ritten und hatte sich in leichtsinnige Liebeleien eingelassen.

Ich gerieth in Aufregung; mir war, als sei ich dem alten Herrn v. Malaszow verantwortlich für Leben und Gesundheit des Sohnes.

Ich suchte den jungen Leichtsinn aus, gab ihm ganz unbegehrte ärztliche Rathschläge, bemühte mich, halb im Scherz, halb im Ernst, Einfluß auf ihn zu gewinnen, ja trotzdem ich abends müde und matt war und mich nach Ruhe sehnte, besuchte ich jetzt die tollen, lustigen Kreise, nur um mein Angstkind nicht aus den Augen zu verlieren.

Aber alle meine Sorgen und Ermahnungen waren vergeblich. Es wurde weiter geliebt, getrunken, gespielt – und während ich meine Hoffnungen darauf setzte, daß der Leichtfuß nun bald nach Frankreich müßte, kam das Verhängniß über ihn!

An einem sonnigen Morgen holte man mich um vier Uhr aus dem Bette; der junge Herr v. Malaszow hatte einen Blutsturz.

An den Vater war telegraphirt, seine Antwort lautete, er säße am Bette der todtkranken Tochter, er könne nicht kommen.

Wie habe ich den jungen Menschen gepflegt! Nicht aus den Kleidern bin ich in der ganzen Zeit gekommen, und wie ich ihn so weit hatte, schickte ich ihn mit meinem besten Krankenpfleger nach dem Süden.

Ich selbst mußte auf den Kriegsschauplatz nach Frankreich. Die aufregende Zeit, der stete Wechsel der Umgebung, die gehobene Stimmung, in der man sich befand, verwischten die Erinnerung an die traurige Episode.

Da, es war in den ersten Tagen des Oktober, bald nach der Kapitulation von Straßburg, saß ich in der verwüsteten Stadt an einer Wirthstafel. Ich führte einen Zug Verwundeter nach Berlin und schimpfte über das ungesunde, naßkalte Wetter.

Weiter unten an der Tafel sitzt ein Herr, der mir bekannt vorkommt, doch weiß ich nicht ihn unterzubringen. Schöne, tiefleidende Züge, das volle Haar schneeweiß, sitzt er mit gesenkten Augen theilnahmlos da, kaum daß er auf die Fragen seines Begleiters antwortet.

Als fühle er meinen forschenden Blick, hebt er die Lider, unsere Augen begegnen sich. Leichenblässe überzieht sein Gesicht, er sinkt wie ohnmächtig zurück. Ich ergreife ein Glas Wasser, in welches ich rasch ein paar belebende Tropfen schütte, und eile, es an die Lippen des halb Bewußtlosen zu halten. Schon will er trinken, da trifft mich wieder sein Auge. Nie im Leben werde ich dessen Ausdruck vergessen! –

Hoch auf spritzt das Wasser aus dem Glase, welches er von sich stößt; im nächsten Augenblick ist der Fremde, auf seinen Begleiter gestützt, aus dem Saal verschwunden.

‚Der arme Herr, er ist nicht ganz bei Verstande, er hat eben seinen einzigen Sohn in Mentone begraben,‘ sagt der Oberkellner, indem er dienstbeflissen mir das verschüttete Wasser abwischt.

Es war Herr v. Malaszow und er sah in mir den Mörder seines Sohnes. –

Was war ein Menschenleben in jenen Tagen!

Zu Tausenden sanken sie hin, edle, verdienstvolle Männer, hoffnungsvollste, blühende Jugend; alles raffte die wilde Kriegsfurie dahin, tiefe Lücken wurden in den Staat, die Familien gerissen. Hier hatte ein leichtsinniges, inhaltsloses Dasein seinen Abschluß gefunden, aber die Lücke wird nie ausgefüllt werden, öde und todt liegt die Welt für den Vater, dem der Herzschlag des einzigen Sohnes verstummt ist.

Unzählige hatte ich in diesen Tagen sterben sehen, warum ließ mir dieser eine Todte keine Ruhe?

War es denn wahr? Hatte ich schuld an seinem frühen Scheiden?

Ja, mein junger Freund, furchtbar habe ich in jenen Tagen gelitten. Ich fühlte etwas von dem Fluche Kains auf mir lasten. Mein Beruf wurde mir verhaßt, denn er weckte mir immer wieder die Erinnerung, daß damals das Wort, welches der Vater ersehnte, auf meinen Lippen schwebte, als er, in unseliger Verblendung, mich beleidigte und zum Widerspruch reizte.

Endlich überwand ich es. Ich sagte mir, daß bei einem vernünftigen Leben der junge Malaszow noch ebenso frisch einherschreiten könnte wie der Graf Malten, den das Leben im Kriege wunderbar gekräftigt hatte. Selbst an der Riviera war der leichtsinnige Pole ja mehr in Monte-Carlo an der Spielbank als bei den heilkräftigen Bädern in Mentone gewesen.

Aber etwas blieb mir aus jener schweren Zeit zueigen. Nie durfte ich zu Gunsten irgend eines Gefühls oder besonderer, Rücksicht heischender Umstände jemand freisprechen, der nicht wirklich gänzlich untauglich war. Bei jeder solchen Ausnahme hätte ich

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