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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Die Hasenhaide.

erschienene Fremde. Er hinterläßt einen tiefen und unverlöschlichen Eindruck, dieser Ball, denn es ist ein berauschend schönes Schauspiel, von einer der Logen auf dieses unter uns befindliche Meer von Jugend und Schönheit, Pracht und Reichthum herabzublicken; denn was Berlin davon aufzuweisen hat, es hat sich an diesem Abend hier zusammengefunden. Und dieses Chaos von strahlenden Uniformen und wehenden Helmbüschen, von flimmernden Ordenssternen und blitzenden Kreuzen, von funkelnden Diamantagraffen und kostbaren Perlenketten, von weißen Schultern und farbenprächtigen Toiletten, es ist in einen buntbewegten Rahmen eingefaßt, denn das ganze herrliche, gold in weiß gehaltene Haus ist bis auf den obersten Tribünenplatz mit einer festlich gekleideten Menge besetzt, welche, weil sie nicht unten an dem Trubel theilnehmen konnte oder wollte, ihn sich nun doch wenigstens aus der Vogelschau betrachtet.

Gegen neun Uhr tritt der Hof in seine Logen ein und unter dem Vorantritt des Herrscherpaares unternehmen Prinzen und Prinzessinnen alsbald den gemeinsamen Umzug durch den Saal, freundlich die ehrfurchtsvollen Grüße erwidernd; sind sie in ihre Logen zurückgekehrt, so beginnt, obwohl man es als ein Wunder in diesem fabelhaften Gedränge bezeichnen muß, der Tanz, und war es zuerst mit unglaublichen Schwierigkeiten verknüpft, das kleinste, freie Plätzchen dafür zu erringen, so wird doch allmählich der Kreis ein etwas größerer, denn während sich die junge Welt im Walzertakte dreht, erfrischt die ältere ihre bei der Hitze und der Fülle mattgewordenen Lebensgeister in den benachbarten Sälen an einigen Gläschen Sekt und einer leckeren Fasanenpastete. Ganz findige Geister entdecken sogar in schwer zu erklimmenden Räumlichkeiten, wo sich an profanen Abenden die Primadonnen oder Heldentenöre umzukleiden pflegen, einen kühlen Schoppen Bier und daneben, was mancher den Pasteten vorzieht, ein richtiges Butterbrot mit Schinken oder Wurst belegt!

Dem Subskriptionsballe schließen sich die übrigen größeren Festlichkeiten an, deren Zahl natürlich nur eine beschränkte ist, auf denen man aber dafür auch „ganz Berlin“ findet, mit anderen Worten alle jene Gesellschaftsklassen, die unter einander eine gewisse Fühlung haben. Die außerordentlich rasche Vermehrung der Einwohnerschaft hat mehr und mehr eine Absonderung der einzelnen Kreise und damit auch eine Specialisirung der Vergnügungen herbeigeführt, eine Einrichtung, die in dem früheren Berlin gänzlich unbekannt war.

Die Millioneneinwohnerschaft läßt nur noch selten allgemeine Festlichkeiten zu Stande kommen, und das ganze Wesen derselben nebst den nicht unbeträchtlichen Kosten ermöglicht auch nur ganz bestimmten, allerdings den verschiedensten Berufszweigen angehörenden Klassen die Theilnahme. Dieses Zusammenfinden und Zusammengehören vermitteln seit einer Reihe von Jahren speciell die vom „Verein Berliner Künstler“ und vom „Verein Berliner Presse“ veranstalteten Bälle, welche gewöhnlich im „Wintergarten“ stattfinden und eine besondere Anziehung ausüben. Einen zwar ähnlichen, aber doch wieder anderen Charakter tragen die an derselben Stelle veranstalteten Schauspielerbälle, die sich gleichfalls großer Beliebtheit erfreuen. Und diesen größeren Festlichkeiten schließen sich dann insbesondere diejenigen an, welche von den zahlreichen Vereinen veranstaltet werden, zu denen aber meist nur die Vereinsmitglieder und eine kleine Anzahl von geladenen Freunden Zutritt haben.

Neben dem „lustigen Berlin“ gelangt in den Wintermonaten auch das „leichtlebige Berlin“ mehr zum Durchbruch und findet einen weiten Anhängerkreis. Es ist ein bezeichnender Zug in der Kaiserstadt, daß sich diese beiden Arten von Festlichkeiten scharf abgrenzen und sich niemals zu einem übermüthigen Ganzen verschmelzen, wie dies an anderen Orten vorübergehend wohl zur Karnevalszeit der Fall ist. Aber mit der tollen Herrschaft des ausgelassenen Prinzen ist es eine eigene Sache in Berlin – er ist da und ist doch nicht da; man hört das Klappern seiner Schelle, aber bekommt ihn nie selbst zu Gesicht. Vor mehreren Jahren war der Versuch gemacht worden, seinen Thron officiell in Berlin zu errichten – man arrangirte einen großen öffentlichen Maskenzug, er wurde ausgelacht und verspottet; man versteht eben den harmlosen Humor an der Spree nicht zu würdigen, hier muß jeder Scherz, jede Satire eine scharfe Spitze haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_637.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2021)