Seite:Die Gartenlaube (1888) 620.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Zustand der Provinz ein vollkommen befriedigender geworden; da wurde seine Thätigkeit durch den Machdiaufstand unterbrochen.

Aber bevor noch die Truppen des falschen Propheten gegen Bahr-el-Ghasal und Hat-el-Estiva vorrückten, brachen in diesen Provinzen kriegerische Verwickelungen aus.

Abd-el-Kader Pascha, der Generalgouverneur vom Sudan, verlangte, da er vom Machdi bedrängt wurde, die Stellung von 7000 Negern, welche Lupton Bey, Gouverneur von Bahr-el-Ghasal, beschaffen sollte. Lupton Bey, der vor kurzem in der Gefangenschaft der Machdisten gestorben sein soll, mußte dem Befehl nachkommen. Aber welche Mittel mußten angewandt werden, um diese Zahl zu erlangen! Dr. W. Junker sah selbst in einer Station mehrere hundert dieser Unglücklichen, Knaben von 15 Jahren und ältere Männer, gekettet, in die Halsgabel eingezwängt! Eine solche „Rekrutirung“ überstieg doch wohl die gewöhnlichen Thaten der Sklavenräuber; kein Wunder, daß die Dinkaneger zu den Waffen griffen und, von den Machdisten unterstützt, die Macht Lupton Beys schwächten, bis er selbst, von seinen Soldaten verrathen, sich dem Machdistenführer Karamallah ergeben mußte. Der Aufstand der Dinka breitete sich auch auf die Aequatorprovinz aus und trug viel dazu bei, daß der Norden derselben unhaltbar wurde.

Da kam eine Hiobspost nach Ladó. Karamallah theilte Emin Bey die Gefangennahme Lupton Beys mit und forderte Emin Bey auf, seine Provinz zu übergeben und sich bei ihm in Person einzufinden. In einer Sitzung der höheren Beamten wurde die Unterwerfung beschlossen; Emin Bey wollte selbst zu Karamallah reisen und gab sogar den Befehl, sein in Makraka befindliches Maulthier direkt nach Amadi zu schicken, um es von dort reiten zu können.

Nach und nach trat jedoch eine kühlere Beurtheilung der Verhältnisse ein, und am 3. Juni 1884 verließ nur eine Kommission ohne Emin Bey Ladó, um die Unterwerfung anzuzeigen. Thatsächlich aber erfolgte diese nicht, und bald kam es im Norden der Provinz zu Kämpfen mit den Machdisten, die jedoch nach der Eroberung von Amadi wieder abzogen.

Die Geschichte dieser Kämpfe, in denen Verräther und Ueberläufer ihre Rolle spielen, in welchen Soldaten betrunkene Führer durch Tapferkeit beschämen, ist einzig in ihrer Art. Richard Buchta hat sie in dem jüngst erschienenen Werke „Der Sudan unter ägyptischer Herrschaft“ durch Mittheilung der Briefe Emin Paschas und Lupton Beys zu skizziren gesucht und auch die Berichte Emin Paschas an Schweinfurth geben ein getreues Bild derselben.[1] Nach dieser Schilderung der Verhältnisse können wir uns annähernd in die Lage Emin Paschas versetzen. Nach und nach konzentrirte er seine Macht in dem südlichen Theile der Provinz und hält augenblicklich den schmalen Streifen Landes von Redjaf bis Albert-Nyanza besetzt. Seine „Hauptstadt“ ist jetzt Wadelai, das näher der Kornkammer im Schulilande liegt als das unwirthliche Ladó, welches zuletzt ganz aufgegeben wurde.

Die schlimmste Zeit für Emin Pascha waren die drei Jahre, da er auf seinem verlorenen Posten von Europa gänzlich abgeschnitten war und nur durch Ueberläufer, Spione oder Briefe der Machdisten, die ihn wiederholt aufforderten, sich zu ergeben, Nachrichten über die Ereignisse im Sudan erhielt. Die Nachrichten waren manchmal recht eigenartig. So erzählte z. B. ein Mann, der von Kordofan gekommen war, daß vor seiner Abreise der Machdi seinen Leuten einige geschlossene Körbe gezeigt und gesagt habe, vor vier Tagen sei Gordon an der Spitze von 60 000 Mann, mit Geld und allem reich versehen, von Aegypten abgegangen und komme, um sich mit ihm zu messen. In den Körben seien die Seelen dieser 60 000 Mann – 20 000 werde die Erde verschlingen, andere 20 000 würden in die Lüfte verschwinden und der Rest sich zu ihm, dem Machdi, schlagen.

Diese Nachricht erhielt Emin im Juni 1884 und im April des nächsten Jahres empfing er Briefe vom Emir Karamallah, in welchen der Fall von Chartum und der Tod Gordons, des Feindes Gottes, gemeldet und Emin aufgefordert wurde, zu Karamallah zu kommen und ihn zu begrüßen.

Emin beeilte sich jedoch keineswegs, dieser Aufforderung Folge zu leisten, und Karamallah zog, nachdem er zum Fall Chartums 75 Kanonenschüsse abgefeuert hatte, mit vielen Tausenden von Sklaven von der Aequatorprovinz ab. Emin Bey organisirte indessen seine Provinz auf militärischer Grundlage. „Wir arbeiten,“ schrieb er, „Tag und Nacht, um das Wenige, was uns an Waffen geblieben, in Ordnung zu bringen, d. h. aus 10 alten Gewehren vielleicht 2–3 brauchbare herzustellen. Ich hoffe, in kürzester Zeit im ganzen über etwa 2500 brauchbare Gewehre verfügen zu können.“

Auch nach dem Rückzug der Machdisten gab es um Ladó Kämpfe mit den Dinka und Bari; nach und nach hatten sich jedoch die Verhältnisse geklärt, unfriedliche Elemente wurden abgestoßen oder sonderten sich selbst aus, und zwischen dem besseren Theile der Zurückgebliebenen entfaltete sich ein größeres Vertrauen.

Emin konnte im April 1887 schreiben: „Bei uns ist alles beim Alten. Wir säen, ernten, spinnen und leben in den Tag hinein, als ob das ewig so dauern könnte.… Ich verlasse keineswegs meine Leute. Wir haben trübe und schwere Tage mit einander durchgemacht, und ich hielte es für schamvoll, gerade jetzt von meinem Posten zu desertiren. Meine Leute sind trotz vieler Mängel brav und gut.“

Im März 1886 erhielt auch Emin Nachrichten von seiner ägyptischen Regierung über Sansibar. Es ist interessant, zu erfahren, wie er sich in einem Briefe an Schweinfurth darüber äußerte:

„Die ägyptische Depesche, französisch geschrieben, sagt mir, daß es dem Gouvernement unmöglich sei, uns beizustehen, da man den Sudan aufgebe, und giebt mir carte blanche bezüglich der zu ergreifenden Maßregeln, falls ich mich entschlösse, von hier fortzugehen; bewilligt mir auch Kredit beim englischen Generalkonsul in Sansibar. Eine kühle Geschäftsdepesche im vollen Sinne des Wortes – nicht ein Wort der Anerkennung für drei Jahre Sorgen und Kämpfe mit Danagla und Negern, Hunger und Nacktheit; nicht ein Wort der Aufmunterung zu der mir bevorstehenden übermenschlichen Arbeit, die Soldaten heimzuführen. Ich bin übrigens an dergleichen gewöhnt. Als ich in den Jahren 1878 bis 1880, während durch 22 Monate der Fluß verstopft war, Land und Leute zusammenhielt und zum ersten Male zeigte, daß es möglich sei, uns durch eigene Kräfte ohne jede Zufuhr von Chartum zu erhalten, als ich dem Gouvernement in jener Zeit nicht allein Ersparnisse machte, sondern auch praktisch bewies, daß die Provinz bei regelrechter Verwaltung ihre Ausgaben decken und noch Ueberschüsse liefern könne, als ich begann, Reis und Zucker zu pflanzen, die Verwaltung zu ordnen, die Provinz zu erweitern: wer hat da auch nur ein gutes Wort für mich gehabt? Passons là-dessus! Der verstorbene Serdar Ekram Omer Pascha sagte mir einst, daß man im Orient, um Anerkennung zu finden, entweder mächtige Protektionen, oder viel Geld, oder eine hübsche Frau haben müsse; sollte er recht gehabt haben?“

Auch nach der Abreise Dr. W. Junkers ist Emin nicht der einzige „Franke“ in der Aequatorprovinz unter Negern, Türken und Kopten geblieben. Der italienische Afrikareisende Casati hielt sich bei ihm auf; aber auch er verließ die Aequatorprovinz, allerdings mit der Absicht, seinem Freunde Emin zu dienen. Emin mußte alles dran setzen, um an der Südgrenze seines Reiches bessere nachbarliche Verhältnisse zu erhalten, und so ging Casati zu Kabrega, dem Herrscher von Unyoro, um an dessen Hofe sozusagen die Rolle eines Gesandten von Emin zu spielen und zugleich den Weg zur Ostküste offen zu halten.

So spielt sich, wie wir nur anzudeuten vermochten, im fernen Sudan ein Stück Weltgeschichte ab, reich an Schlachten, Siegen und Niederlagen und ebenso reich an diplomatischen Intriguen an den Höfen brauner Cäsaren. Bewundernd aber müssen wir zu dem Manne emporblicken, welcher sich selbst „Der Getreue“ (Emin) genannt hat und mit aufopferungsvoller Treue in allen diesen Wirrnissen Stand zu halten weiß.

Durch Englands kurzsichtige und engherzige Politik ist der Nordweg nach dem ägyptischen Sudan vielleicht für Jahrzehnte der Kultur verschlossen worden. Hoffen wir, daß es deutscher Thatkraft gelingen wird, von Süden her das Land von neuem zu erschließen. Hoffen wir, daß Emin ausharre, bis ihm deutsche Landsleute Hilfe bringen, und daß es uns vergönnt sein werde, einmal an dieser Stelle den frohen Augenblick zu schildern, wo unter Salven der schwarzen Karawanen die Fahnen Emins am fernen Nil die Standarten der deutschen Rettungsexpedition begrüßen!


  1. Vergl. „Emin Pascha“. Herausgegeben von Dr. Schweinfurth und Dr. Ratzel (Leipzig, F. A. Brockhaus, 1888).
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_620.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)