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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Alphütte zugleich das Haupt- und Familienzimmer bildet, und bald fand er sich mit dem Alpwirth, seiner Frau und einer Tochter derselben in bester Unterhaltung. Er hatte eine schlechtere Herberge in dieser Alpeneinsamkeit erwartet, wie er sagte; daß die Aufnahme eine gastliche sei, hatte er schon unterwegs auf seiner Herreise gehört. Gleich zwei Gebäude und beide für die Aufnahme von Touristen berechnet, das lasse er sich gefallen. Die beiden Gebäude waren zwar recht klein und dürftig, nur im Unterbau aus zusammengemörtelten Steinblöcken, im übrigen aus Holz roh zurecht gezimmert; aber der freundliche Herr, der sich seines nassen Lodenmantels entledigt hatte und sich nun behaglich am Feuer wärmte, über welchem der große Milchkessel am eisernen Haken hing, hatte ganz recht mit diesem Lob, war er doch auch ein vielerfahrener Alpengänger, dem gar wohl bekannt war, wie unbehaglich so manches Unterkunftshaus ähnlicher Art sich bietet. Im Hintergrunde des vom offenen Herdfeuer nur halb beleuchteten, an den Wänden mit blankem Milchgeschirr ausgestatteten Raumes saßen zwei Führer, jeder einen Napf Milch mit großem Appetit auslöffelnd.

„Wollen’s auch eine Milch?“ fragte die Sennin den Ankömmling.

„Danke, liebe Frau. Aber ich möcht’ schon lieber etwas Warmes. Das kalte Wetter draußen hat mich ganz ausgefroren.“ Er ließ sich von seinem Führer seinen Rucksack bringen und entnahm demselben eine Ledertasche, die mit allerhand Konserven und ähnlichen Nahrungsmitteln, wie sie dem Reisenden nützlich sind, gefüllt war. Er öffnete eins der Blechbüchschen und roch mit Wohlbehagen daran. „Kaffee können Sie doch kochen?“

Die Frau bejahte das, fast beleidigt über den Zweifel.

„Nun, nun,“ beruhigte der freundliche Herr, „hab’ mir schon in mancher Alphütte den Kaffee selbst kochen müssen.“

Er schüttelte mit prüfendem Blick aus seiner Büchse ein Häufchen des bereits gebrannten und gemahlenen Kaffees auf ein entfaltetes Blatt Papier und reichte diese Portion der wieder eintretenden Ammerei, wie die Alpleute ihre Tochter nannten. „Das reicht gerade für zwei Tassen. Und, nicht wahr, Du bringst mir ihn recht heiß, Ammerei? Ist das Dein Taufname?“

„Anna Maria steht’s im Kalender.“

„Und ohne Milch, Ammerei. Inzwischen giebt mir der Vater wohl Bescheid, wo ich heute mein müdes Haupt betten soll.“

„’s ist schon gut,“ sagte dieser. „Es ist noch eine Kammer mit zwei Betten frei, und wenn niemand mehr kommt, können’s allein drin schlafen. Der Seppli kann Ihre Tasch’n gleich naufi tragen.“

„Es sind also schon mehr Reisende da?“

„Ei freilich, drei Parteien mit Führern, fünf Herren und zwei Damen. Gehn’s nur gefälligst in das Gastzimmer gerad’ hier über uns. Da finden’s schon Gesellschaft. Den Kaffee bringt Ihnen die Ammerei hinauf, sobald er fertig ist.“

„Gut denn! Behüt’ Gott einstweilen! Hab’ mich hier unten bei Euch recht wohl befunden. Wegen meiner bedurft’s nicht des ‚Gastzimmers‘. Und vor dem Kaffee bringt’s mir auch was zu essen. Ein paar Spiegeleier und Brot kann ich doch haben?“

„Wohl, wohl!“

„Gut also, bringen’s mir drei und dem Führer geben’s auch ein paar. Fleisch habe ich bei mir.“

Er war in die Thür getreten, wo ihm der Regen ins Gesicht schlug. „Das scheint sich hier festregnen zu wollen,“ sagte er ärgerlich, indem er seine goldene Brille abnahm, um die angelaufenen Gläser zu putzen. „Was denkt Ihr, Alpmeister? Wird’s über Nacht klar werden?“

Der alte Senn kratzte sich hinterm Ohr.

„Jetzt läßt sich gar nichts sagen, Herr. Wir können vor ‚Duft‘ ja nicht einmal das Wetterloch sehen. Aber besser kann’s schon werden bis morgen.“

„Dazu gehört freilich nicht viel,“ sagte mit sauersüßem Lächeln der Gast, der nunmehr in den Regen hinaustrat und über die hölzerne Freitreppe zu dem ihm angekündigten oberen Gastzimmer emporstieg.

Das herzhafte „Guten Tag“, mit welchem er hier eintrat, wurde nicht gerade entgegenkommend erwidert. Langeweile und Mißmuth schienen hier oben das Regiment zu führen. Das Gefühl des Eingeregnetseins schien auf den Gemüthern aller zu lasten. Auch diejenigen Opfer des launischen Wettergottes, die zu einander gehörten, gaben sich, still für sich, irgend einer Beschäftigung oder müßiger Uebellaune hin. An einem der Fenster, durch die man bei gutem Wetter die herrlichste Aussicht auf die Häupter der Säntisgruppe gehabt haben würde, stand ein Herr in mittleren Jahren und trommelte an den Scheiben. Die Züge und der Bartschnitt desselben verriethen angelsächsischen Typus, doch erinnerte der einfach und praktisch gekleidete Tourist sonst in nichts an jenen „großkarrirten“, murraybehafteten Engländer, dessen überlebte Erscheinung in


Dampfhammer. Originalzeichnung von Fr. Kallmorgen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_525.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)