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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

poetisch! Said, Mensch, Du stellst ja die silbernen Fruchtschalen neben einander wie ein paar Grenadiere! An die beiden Enden des Tisches gehören sie. Und was willst Du denn mit den Krystallgläsern, Djelma? Am Seitentische soll der Wein eingeschenkt werden, habt Ihr verstanden?“

„O yes, master,“ versicherte der Neger, aber der Andere fuhr ihn an.

„Deutsch sollst Du sprechen! Hast Du es noch nicht gelernt? Wir sind jetzt in Deutschland, auf diesem gottverlassenen Boden, wo man sich im März noch die Nase erfriert, wo die Sonne alle Monat nur einmal scheint und dann auch nur auf obrigkeitlichen Befehl. Ich kann es so wenig leiden wie Herr Waltenberg, aber wenn Ihr mir nicht Deutsch lernt, dann kommt ein Donnerwetter über Euch!“

„Ik schon sprecken deutsch, Master Hron’ – wundervoll!“ erklärte Said mit großem Selbstgefühl.

„Wundervoll, jawohl! Nicht einmal meinen Namen kannst Du aussprechen. Veit Gronau heiße ich, nicht ‚Master Hron’‘; hundertmal habe ich Dir das schon gesagt, aber solch ein Heide begreift das nicht.“

Said nahm eine äußerst gekränkte Miene an bei diesem Vorwurf.

„Bitte, Master Hron’ – au ik sein guter Christ.“

„Ja, getauft bist Du wenigstens,“ sagte Gronau trocken; „aber Du bist doch noch ein halber Heide und der Djelma ist ein ganzer. Bei dem hat man seine liebe Noth, ihm den Allah und Mohammed aus dem Kopfe zu bringen und den lieben Herrgott dafür hineinzusetzen. Djelma, Du Schaf, was siehst Du mich so an? Hast wohl wieder nicht verstanden, was ich sage?“

Der Malayenknabe, der mit dem Deutschen augenscheinlich noch auf sehr gespanntem Fuße stand, schüttelte verneinend den Kopf, so daß sich Said veranlaßt sah, ihm mit seiner „wundervollen“ Sprachkenntniß zu Hilfe zu kommen und den Dolmetscher zu machen.

„Das hat der Herr davon, daß er mit Euch fortwährend in Eurem Kauderwelsch redet,“ grollte Veit Gronau „Wenn ich Euch nicht das Deutsche beibrächte, Ihr verständet noch heute kein Wort davon. – So, nun ist der Tisch in Ordnung! Lauter Blumen und Früchte und nichts Ordentliches zu essen und zu trinken! Das ist wahrscheinlich auch poetisch; ich finde es verrückt, aber das kommt auf eins heraus.“

„Es kommen auch – ladies?“ fragte Said neugierig.

„Damen!“ verbesserte ihn sein Mentor. „Ja, die kommen leider auch mit. Ein Vergnügen ist das nicht, aber eine Ehre; denn sie werden hier zu Lande ungeheuer respektvoll behandelt, ganz anders wie Eure schwarzen und braunen Weiber, also nehmt Euch zusammen!“

Er hätte den beiden wahrscheinlich noch weitere Verhaltungsmaßregeln ertheilt, aber in diesem Augenblick öffnete sich die Thür und der Herr des Hauses trat ein. Er musterte flüchtig den mit Blumen und Früchten überladenen Tisch, gab Said einen Wink, sich in das Vorzimmer zu verfügen, und sprach einige indische Worte zu Djelma, der daraufhin ebenfalls verschwand, dann wandte er sich zu Veit Gronau und sagte:

„Präsident Nordheim hat sich entschuldigen lassen, aber die anderen Herrschaften werden erscheinen; auch Doktor Gersdorf hat zugesagt. Sie entgehen also für diesmal der gefürchteten Begegnung, Gronau.“

„Gefürchtet?“ wiederholte Veit. „Daß ich nicht wüßte! Ein großes Vergnügen wäre es mir allerdings nicht gewesen, von einem ehemaligen Spielkameraden, mit dem ich auf Du und Du gestanden habe, mit einem allergnädigsten Kopfnicken beehrt und ihm als eine Art von Bedienter vorgestellt zu werden.“

„Als mein Sekretär,“ betonte Waltenberg. „Ich dächte, eine solche Stellung hätte nichts Entwürdigendes.“

Gronau zuckte die Achseln.

„Sekretär, Haushofmeister, Reisebegleiter, alles in einer Person! Sie haben mich freilich immer als Landsmann behandelt, Herr Waltenberg, nicht als Untergebenen. Als Sie mich damals in Melbourne auffischten, war ich grade am Verhungern und wäre auch verhungert ohne Sie – vergelt’s Gott!“

„Thorheit,“ sagte Ernst, fast unwillig den Dank ablehnend. „Sie waren mir mit Ihren Sprachkenntnissen und all Ihren praktischen Erfahrungen ein ganz unschätzbarer Fund und ich glaube, wir sind in den sechs Jahren beide zufrieden mit einander gewesen. – Also der Präsident und Sie waren Jugendfreunde?“

„Ja, wir sind zusammen aufgewachsen als Nachbarskinder und haben auch später noch zusammengehalten, bis der eine hierhin und der andere dahin ging im Leben. Er hat es mir freilich vorausgesagt, daß ich ein armer Teufel bleiben würde, mir und dem Benno Reinsfeld, der auch dabei war.“

Waltenberg war an das Fenster getreten und sah etwas ungeduldig hinaus, aber er hörte aufmerksam zu. Die Jugendzeit des Mannes, den er nur in der Fülle des Reichthums und Glückes kannte, schien ihn zu interessiren.

„Wir hatten natürlich alle drei ungeheure Zukunftspläne,“ fuhr Veit mit gutmütiger Selbstverspottung fort. „Ich wollte in die weite Welt gehen und als goldbeladener Nabob zurückkommen, Reinsfeld wollte mit irgend einer Erfindung die ganze Menschheit in Erstaunen setzen, wir waren eben Buben, die da meinten, daß die Welt ihnen gehöre! Aber der kluge Nordheim saß dabei und goß uns einen kalten Wasserstrahl über die erhitzten Köpfe. ,Ihr werdet beide nichts zu Stande bringen,‘ sagte er, ‚denn Ihr versteht nicht zu rechnen!‘ Wir lachten ihn damals aus, den zwanzigjährigen Rechner, mit seiner nüchternen Weisheit, aber er hat doch recht behalten. Ich habe mich tüchtig in der Welt herumgetrieben und alles Mögliche versucht, aber bei mir hieß es immer: Wie gewonnen, so zerronnen! Ich blieb arm wie eine Kirchenmaus und Reinsfeld ist mit all seinem Talent auch irgendwo sitzen geblieben, als armseliger Ingenieur – unser Kamerad Nordheim aber wurde Millionär und Präsident und Eisenbahnprinz – weil er zu rechnen verstand!“

„Ja, das hat er von jeher verstanden,“ sagte Waltenberg kühl. „Jedenfalls nimmt er eine einflußreiche und in mancher Hinsicht allmächtige Stellung ein. – Doch da kommen unsere Gäste!“

Er trat rasch vom Fenster zurück und ging den Ankommenden entgegen. Draußen war in der That ein Wagen vorgefahren, der Frau von Lasberg und Alice in Begleitung Elmhorsts brachte. Wolfgang hatte sich doch nicht der Pflicht entziehen können, seine Braut zu begleiten, und es hatte sich auch kein Vorwand gefunden, die Einladung abzulehnen, deren Annahme sein Schwiegervater so dringend wünschte. Er fügte sich also der Nothwendigkeit; aber wer ihn genauer kannte, sah, daß er ein Opfer damit brachte, wenn er es auch nicht an Höflichkeit fehlen ließ, ebenso wenig wie der Herr des Hauses. Die beiden Männer, die vom ersten Augenblick der Bekanntschaft an eine instinktmäßige Abneigung gegen einander fühlten, stellten sich gegenseitig auf den Standpunkt kühler Artigkeit und das geschah auch bei dem heutigen Besuche.

„Fräulein von Thurgau verspätete sich; sie fuhr erst bei dem Oberregierungsrath vor, um Baroneß Ernsthausen abzuholen.“ Frau von Lasberg, die das mittheilte, war gleichwohl etwas befremdet darüber. Ihrer Meinung nach mußte Wally schon seit gestern auf dem Lande sein, in der sicheren Hut des Großonkels. Statt dessen war heut morgen ein Briefchen an Erna gekommen, mit der Bitte, sie zu dem Besuch im Waltenbergschen Hause abzuholen. Die Reise war also aufgeschoben worden, vermuthlich um einige Tage. Aber das Mißfallen der alten Dame darüber verwandelte sich in Empörung, als sie den Doktor Gersdorf eintreten sah. Also ein förmliches Rendezvous! Und man erkühnte sich sogar, die Damen des Nordheimschen Hauses zu Mitschuldigen zu machen, indem man sich gewissermaßen unter ihrem Schutze zusammenfand. Das konnte und durfte den Eltern nicht verborgen bleiben; noch heute sollten sie es erfahren und Frau von Lasberg, die nicht die geringste Anlage zu einem Schutzgeiste hatte, ließ vorläufig dem Doktor einen eisigen Empfang zu theil werden. Leider machte das nicht den mindesten Eindruck auf ihn; auf seinen ernsten Zügen lag heute ein eigenthümliches Leuchten und er betheiligte sich mit ungewohnter Heiterkeit an der Unterhaltung.

Erna war inzwischen, der Verabredung gemäß, an der Ernsthausenschen Wohnung vorgefahren und da es schon etwas zu spät war, so sandte sie nur den Diener hinauf. Nach fünf Minuten erschien auch die junge Baroneß, sprang in den Wagen und überfiel, kaum daß der Schlag geschlossen war, ihre Freundin mit einer so ungestümen Umarmung, daß diese fast erschrocken zurückwich.

„Was hast Du denn, Wally?“ fragte sie. „Du bist ja ganz außer Dir?“

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