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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

das Dünenthal zu kommen, zur Abendstunde; er müsse Wichtiges und Geheimes mit ihr reden; und recht süß und vorsichtig hatte er seine Worte gestellt. Wie ich es las, trat erst Ekel in meine Seele, und dann fing sie an, aufzujauchzen: ‚Du bist frei, Du bist frei!‘ – Auf der Rückseite stand mit Bleistift Wiebkes Antwort: ‚Das Armband schicke ich zurück. Ich mag kein gestohlenes Geschmeide, es gehört wohl Ihrer Braut. Ich komme nicht nach den Dünen, und Sie nicht wieder zum Thurm; ich mag Sie nicht, so wenig wie Ihr Gold!‘ So ungefähr. Ich drückte die Hände auf mein pochendes Herz: ‚Erlöst! Er und ich!‘ Ich meinte Dich.“

Wiebke kam; ich zeigte ihr alles mit zitternder Hand und sagte ihr alles.

„Es wäre eine Versuchung gewesen von manchem andern; von ihm nicht!“ bekannte sie ehrlich und half mir mit freundlich geschäftiger Hand.

„Sie weiß, wo ich jetzt bin! Und ich bin bei Dir, bei Dir!“ jauchzte Hildegard. „Alle Noth ist vorbei; nur habe mich lieb!“

„Und das Band?“ fragte ich und hielt sie fest im Arm.

„Als ich an jenem Tage ins Boot stieg, an dem Du es im Zorn hinabwarfst, sah ich es auf dem stillen Wasser neben dem Kahn treiben, wie’s langsam gegen die Felsen getragen wurde von den spülenden kleinen Wellen. Da tauchte ich die Hand ein und nahm es mit – tiefes Leid um Dich im Herzen; zum Andenken an Dich – an meine Jugend – an mein Glück! Und hab’s alle Stunden bei mir getragen! … Und nun will ich gehen,“ sagte sie und stand auf und legte mir die Hände auf die Schultern. „Der Mond wird bald untergehen, und es schickt sich eigentlich nicht, daß ich Dich auf Deiner Kammer besuche zur Mitternachtszeit; aber Du bist mir nicht böse darum, nicht wahr? Und unser Herrgott wird’s auch nicht sein; heut’ war Deine Stube eine Kirche, denn seine lieben Engel waren mit dabei; nicht wahr, bei unserem Verlöbniß?“

Ja, der Mond ging unter; aber funkelnd ging unsere Sonne auf, Ströme goldigen Lichtes ausgießend über unseren Weg. Es giebt doch Glück, auch auf Erden schon!




Als ich erwachte am nächsten Morgen, da war mir’s wie ein Traum. Allmählich kam mir das ganze Gefühl der Erlösung aus jahrelangen Banden einsamen Leids, das Gefühl der seligen Gewißheit und ich hob die Hände in unendlicher Freude! So blühten uns zwei Tage eines Glückes, wie es wenigen beschieden ist. Wir saßen zusammen und horchten hinaus, wie da immer noch Odins wilde Jagd mit Pfeifen und Heulen über die brandende Nordsee fuhr, und bauten uns unsere eigene Welt. Sie lag vor mir auf den Knieen, die Arme aufgestützt und das Gesicht in die Hände gelegt – so sah sie zu mir auf mit den blauen Augen, umwallt von dem langen dunklen Haar, und welch ein Feuer strahlte aus den Augen, welche Welt lag für mich darin!

„Weißt Du, was ich wollte?“ fragte sie ernsthaft.

„Nun?“

„Daß wir so allein blieben! So ganz nur Du mir und nur ich Dir angehörig! O, wenn Du wüßtest, wie lieb ich Dich habe!“

Ich wußte es.

„Kennst Du das Lied von den zwei Königskindern?“ fragte sie weiter, „die nicht zu einander kommen konnten, denn das Wasser war viel zu tief?“

Ich dachte an den ersten Abend unten im Thurm und an Wiebkes Gesang.

„Für uns war’s nicht zu tief! Wir waren die Königskinder, aber uns hat’s zusammengebracht. Und wenn ich Dich jetzt wieder lassen sollte –“ wie glomm es auf in ihrem Blick! – „ja, dann hieß es auch zum Schluß: ‚Und länger konnt’ sie nicht leben!‘“ Sie sprang auf und legte die Hände um meinen Nacken zusammen, und ihr langes Haar wallte um mein Gesicht, wie sie sich über mich seligen Mann neigte: „Alles, alles, was ich seit jenen Tagen ins Herz zurückdrängen mußte, jetzt ist’s über seine Dämme getreten – ich bin wieder dieselbe, die im Schloßgarten Dein Arm umfing, wie die Nachtigall ihre letzten Weisen sang; aber ich bin älter, mein Herz ist stärker; ich will, ich muß jetzt Dein sein mit allem, was in mir lebt und lebendig geworden ist; es soll keine Falte meines Herzens sein, in die Du nicht hineinschaust, kein Gedanke, den Du nicht kennst – aber ich will auch Dich haben; ganz –!“ Starke Leidenschaft brach aus ihren Augen; holdselig stand sie vor mir.

Zwei Tage lebten wir so hoch über der Welt, während kein Verkehr mit dem Lande möglich war. Aber doch ging die Rede zwischen uns und dem Hause, zu dem sie bisher gehört, häufig genug hin und her. Der Leuchtthurm stand in telegraphischer Verbindung mit Stagersand, und von dort gingen die elektrischen Boten nach Fischbeck, uns von drüben, ihnen von hüben Kundschaft zu bringen. Brar Volkers war so verständig gewesen, gleich am ersten Abend beruhigende Nachricht hinüber zu senden, und von den prächtigen alten Leuten, wie von dem minder prächtigen Domänenpächter, ihrem Sohn, liefen Trost- und Mahntelegramme genug ein.

Hildegard behandelte alle, die von ihm kamen, mit einer grenzenlosen Verachtung, die an Haß grenzte. Eben war wieder eines angekommen; sie hielt es mir entgegen, lachend, daß die weißen Zähne unter der feinen Oberlippe hervorblitzten. Wenn sie mich anlachte, war’s anders!

„Hier, lies!“ sagte sie. Ich las: „Theure; sobald morgen ein Verkehr möglich ist, komme ich hinüber und hole Dich; wir sehnen uns unbeschreiblich nach Dir!“

Wiebke lachte auch.

„Na, ich gönne es ihm!“ sagte sie leichthin, „aber die Augen!“

Nur Brar Volkers saß ernst und bedächtig und rauchte stark aus seiner Kreidepfeife und sagte nichts.

Am nächsten Morgen war der Sturm abgeflaut und die See niedergegangen. Wir standen oben auf der Galerie des Thurms, Hildegard auf meinen Arm gelehnt und eng an mich geschmiegt, und beobachteten den Strand durch meinen Kieker.

Ich reichte ihn ihr: „Schau hin; da wird ein Boot klar gemacht!“ Helles Roth stieg in ihre Wangen; ich richtete ihr das Glas. „Ja,“ sagte sie, und ich fühlte, wie ein leichtes Zittern durch die schlanke Mädchengestalt ging – „nun sehe ich einen gelben Strohhut. Ich fürchte mich!“ sagte sie, das Glas sinken lassend und ihr Gesicht an meiner Schulter bergend; „laß uns hier oben bleiben!“

„Das geht nicht, Hildegard; Aug in Auge müssen wir Abrechnung mit ihm halten!“

Sie richtete sich auf: „Nun gut denn! Du hast recht; ich habe eine gute Sache! Laß uns gehen! Aber um eines bitt’ ich Dich: laß mich ihn allein empfangen, wenn das Boot landet; willst Du? Aber bleib’ in der Nähe, in der Wirthsstube, sonst fürchte ich mich doch!“

Langsam gingen wir die hohe Treppe hinunter. Vor Wiebkes Zimmer machte sie sich los: „Ich komme nach! Geh’ in die Wirthsstube und komm mir zu Hilfe, wenn’s sein muß!“ Die kleine Hand war doch kalt, die sie mir reichte.

Sie stand unten an der Landungsstelle; noch immer in Wiebkes Kleidern, jetzt sogar mit dem reichen Silberschmuck auf der Brust, das aufgenommene Haar unter das schwarzseidene Kopftuch mit den abstehenden Flügeln gezwängt. Das Boot kam näher. Der Mann mit dem gelben Strohhut winkte vergnügt mit der Hand. Hildegard stand ruhig, an den Bootsdavit gelehnt. Ich sah, wie sie mir verstohlen und verständnißinnig zunickte; der etwas kurzsichtige Herr hielt sie offenbar noch für Wiebke.

Nun kam das Boot näher. Hildegard beschattete die Augen, wie von den Sonnenstrahlen geblendet, mit der Hand. An Gestalt und Wuchs waren sich beide Mädchen ziemlich gleich, so daß ein Irrthum verzeihlich war. An dem so emporgehaltenen Handgelenk funkelte ein goldenes Armband – jenes mit den blauen kleinen Vergißmeinnicht. Er mußte es blitzen sehen. Er winkte mit seinem Tuch; er freute sich offenbar über den Anblick, den das schöne Friesenmädchen dort oben bot, das zu seinem Empfang da stand. Das Boot schoß herum und das niedergeholte Segel verbarg ihm auf kurze Zeit ihre Gestalt. Kaum war das Boot nahe genug, so sprang er gewandt heraus; Hildegard ließ die Hand von ihren Augen sinken und blickte ihn an – er taumelte einen Schritt zurück.

„Hildegard!“ stotterte er – „nein, diese Ueberraschung! Du siehst ja entzückend aus in dem Anzug –“

„Ja wohl, besonders mit dem schönen Armband, nicht wahr? Ist es nicht wundervoll?“ fragte sie und streckte ihm die Hand

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