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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

farbenprächtiges Bild entrollte er das ganze Riesenwerk in lebendigster Darstellung vor seinen Zuhörerinnen, und es gelang ihm wirklich, sie zu fesseln. Frau von Lasberg wurde um einige Grade weniger kühl und vornehm; sie that sogar einige Fragen, welche ihr Interesse an der Sache verriethen, und Alice verharrte zwar in ihrem Schweigen, hörte aber offenbar zu, und bisweilen streiften ihre Augen mit einem halb verwunderten Ausdruck den Sprechenden.

Der Präsident schien gleichfalls überrascht von dieser Unterhaltungsgabe seines Schützlings, mit dem er bisher nur über amtliche und technische Dinge gesprochen hatte. Er wußte, daß der junge Mann aus sehr einfachen Verhältnissen hervorgegangen war und noch nie in der eigentlichen Gesellschaft verkehrt hatte, und jetzt bewegte sich dieser im Salon und den Damen gegenüber mit einer Ungezwungenheit und Sicherheit, als sei er von frühester Jugend an in solcher Umgebung gewesen. Dabei hatte sein Benehmen durchaus nichts Vordringliches; er wußte genau die Grenzen einzuhalten, die ihm bei diesem ersten Besuche gezogen waren.

Man war noch mitten im Gespräche, als ein Diener erschien und mit etwas verlegener Miene meldete:

„Ein Herr, der sich Baron Thurgau nennt, wünscht –“

„Ja wohl, er wünscht seinen allergnädigsten Herrn Schwager zu sprechen,“ unterbrach ihn eine laute, zornige Stimme, während er zugleich von einem kräftigen Arme bei Seite geschoben wurde. „Donnerwetter, was ist das hier für eine Wirtschaft bei Dir, Nordheim! Ich glaube, man gelangt leichter zum Kaiser von China, als zu Dir. Drei Instanzen haben wir durchmachen müssen, und schließlich wollten uns die betreßten Lümmel noch den Eingang verwehren. Du hast ja einen ganzen Troß davon mitgebracht!“

Alice war erschreckt zusammengefahren beim Klange der dröhnenden Stimme und Frau von Lasberg erhob sich langsam und feierlich, in stummer Entrüstung, während ihr Blick zu fragen schien, was dieser Eindringling denn eigentlich wolle. Auch dem Präsidenten schien diese Art der Anmeldung nicht gerade angenehm zu sein; indessen faßte er sich rasch und ging seinem Schwager entgegen, der in Begleitung seiner Tochter jetzt in den Salon trat.

„Du hast Dich wahrscheinlich erst nachträglich genannt,“ sagte er; „sonst hätte ein solcher Irrthum nicht vorfallen können. Die Dienerschaft kennt Dich ja noch gar nicht.“

„Nun, es wäre auch gerade kein Unglück gewesen, wenn sie einen einfachen ehrlichen Mann zu Dir gelassen hätte,“ grollte Thurgau, noch immer hochroth vor Aerger. „Aber das scheint hier nicht Sitte zu sein; erst als ich mit dem ‚Baron‘ herausrückte, ließ man sich zu der Anmeldung herab.“

Der Irrthum der Dienerschaft konnte allerdings verzeihlich erscheinen; denn der Freiherr war auch heute in der Gebirgstracht, an die er sich seit Jahren gewöhnt hatte, und Erna sah gleichfalls nicht aus wie eine junge Baroneß, obgleich sie sich diesmal nicht in Sturm- und Regentoilette zeigte. Sie trug einen sehr einfachen dunklen Anzug, der mehr auf Bergwanderungen als auf Besuche berechnet war, und ein ebenso einfaches Strohhütchen auf den Locken, die heute allerdings durch ein seidenes Netz gebändigt wurden, aber sich offenbar nur sehr ungern diesem Zwange fügten. Sie schien die anfängliche Abweisung noch tiefer zu empfinden als ihr Vater, denn sie stand finster, mit trotzig aufgeworfenen Lippen neben ihm und blickte fast feindselig auf die Anwesenden. Hinter den beiden aber wurde der unvermeidliche Greif sichtbar, der den Versuch des Dieners, ihn von dem Salon auszuschließen, mit einem grimmigen Zähnefletschen beantwortet hatte und nun seinen Platz behauptete in der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß er dahin gehöre, wo seine Herrschaft weilte.

Der Präsident suchte die Sache möglichst auszugleichen, aber Thurgau, dessen Zorn ebenso schnell verrauchte, als er aufgeflammt war, ließ ihn nicht zu Worte kommen.

„Da ist ja auch Alice!“ rief er. „Grüß Gott, Kind! Sieht man Dich auch einmal wieder? Aber wie siehst Du denn aus? Hast ja keinen Blutstropfen im Gesicht, Mädel! Du bist ja ein richtiges Jammerwesen!“

Mit diesen schmeichelhaften Worten schritt er auf die junge Dame zu, um sie seiner Meinung nach zärtlich in die Arme zu drücken; aber da trat Frau von Lasberg mit einem im schärfsten Tone ausgesprochenen. „Ich bitte!“ so entschieden zwischen ihn und Alice, als müsse sie diese vor einem Attentate schützen.

„Nun, nun, ich thue meiner Nichte kein Leid,“ sagte Thurgau ärgerlich. „Sie brauchen sie nicht so ängstlich vor mir zu hüten wie das Lamm vor dem Wolfe. Mit wem habe ich denn eigentlich die Ehre?“

„Ich bin die Baronin Lasberg!“ erklärte diese, den Titel mit vollem Nachdruck betonend; ihre ganze Haltung sprach eine eisige Abwehr aus, aber das verfing hier nicht. Der Freiherr faßte gemüthlich eine der abwehrend ausgestreckten Hände und schüttelte sie, daß der Dame Hören und Sehen verging.

„Freut mich, meine Gnädige, freut mich außerordentlich! Ich bin ja wohl bereits angemeldet, und das da ist meine Tochter. Nun, Erna, was stehst Du denn so fremd da, willst Du Alice nicht begrüßen?“

Erna kam langsam näher; der finstere Ausdruck lag noch auf ihrem Gesichte; aber er verschwand völlig, als sie auf ihre junge Verwandte blickte, die so matt und bleich in den Kissen ruhte; sie schlang plötzlich in ihrer gewohnten stürmischen Weise beide Arme um den Hals derselben und rief:

„Arme Alice, es thut mir so leid, daß Du krank bist!“

Alice nahm die Umarmung hin, ohne sie zu erwidern; als aber das blühende, rosige Antlitz sich an ihre farblose Wange schmiegte, als zwei frische Lippen sich auf die ihrigen drückten und der warme, innige Ton an ihr Ohr schlug, da flog etwas wie ein Lächeln über die apathischen Züge und sie erwiderte leise:

„Ich bin nicht krank, nur müde.“

„Bitte, Baroneß, nicht so stürmisch,“ sagte Frau von Lasberg kalt. „ Alice muß sehr geschont werden; sie hat äußerst empfindliche Nerven.“

„Was hat sie? Nerven?“ fragte Thurgau. „Das ist auch so eine Angewohnheit der Stadtleute! Bei uns auf dem Wolkensteiner Hofe kennt man solches Zeug gar nicht. Sie sollten einmal mit Alice zu uns heraufkommen, gnädige Frau; ich gebe Ihnen mein Wort darauf, in drei Wochen haben Sie beide keinen einzigen Nerven mehr.“

„Das glaube ich selbst,“ entgegnete die Dame mit einem empörten Blick.

„Komm, Thurgau, laß die jungen Mädchen Bekanntschaft machen, sie haben sich ja seit Jahren nicht gesehen,“ sagte Nordheim, der an die Derbheiten seines Schwagers zwar längst gewöhnt war, in dieser Umgebung aber doch peinlich dadurch berührt wurde. Er wies nach dem Nebenzimmer, aber jetzt trat Elmhorst hervor, der sich während der Familienscene rücksichtsvoll in eine der Fensternischen zurückgezogen hatte. Er griff nach seinem Hute, um sich zu verabschieden, bei welcher Gelegenheit der Präsident ihn natürlich seinen Verwandten vorstellte.

Thurgau erinnerte sich sofort des Namens, den die Kollegen des jungen Oberingenieurs ihm in einer allerdings nicht empfehlenden Weise genannt hatten. Er musterte den „Streber“ vom Kopf bis zu den Füßen, und die gewinnende Erscheinung desselben schien ihn nur in seinem Mißtrauen zu bestärken. Erna hatte sich gleichgültig umgewandt; auf einmal aber stutzte sie und trat einen Schritt zurück.

„Es ist nicht das erste Mal, daß ich die Ehre habe, Baroneß Thurgau zu sehen,“ sagte Elmhorst, sich ihr mit voller Artigkeit nähernd. „Das gnädige Fräulein hatte die Güte, meine Führerin zu sein, als ich mich an den Abhängen des Wolkenstein verirrte – ihren Namen freilich erfahre ich erst heute.“

„So, das war also der Fremde, mit dem Du zusammengetroffen bist?“ brummte Thurgau, der von dieser Begegnung nicht sehr erbaut zu sein schien.

„Die Baroneß war doch hoffentlich nicht allein?“ fragte Frau von Lasberg in einem Tone, der ihr ganzes Entsetzen über eine solche Möglichkeit verrieth.

„Natürlich war ich allein!“ rief Erna, welcher der scharfe Tadel in den Worten nicht entging, mit aufflammendem Trotze. „Ich gehe immer allein in die Berge, nur den Greif nehme ich mit mir. Ruhig, Greif! Leg’ Dich!“

Elmhorst hatte den Versuch gemacht, das schöne Thier zu streicheln, wurde jedoch von ihm mit einem zornigen Knurren abgewehrt. Auf den Ruf seiner jungen Herrin aber schwieg es sofort und legte sich gehorsam zu ihren Füßen nieder.

„Der Hund ist doch nicht böse?“ fragte Nordheim mit einem sehr deutlich kundgegebenen Mißvergnügen, „sonst müßte ich wirklich bitten –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_411.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)