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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Sache; ich fange an zu fürchten, daß wir einen Fehler begangen haben, als wir sie in die Hände dieses Chefingenieurs legten.“

„Er gilt für eine Autorität ersten Ranges,“ warf Elmhorst ein.

„Gewiß, aber jetzt ist er alt geworden, körperlich und geistig, und ein solches Werk fordert das Einsetzen der vollsten Manneskraft; mit dem berühmten Namen ist es nicht allein gethan. Er wird sich sehr auf die Leiter der einzelnen Sektionen verlassen müssen, und die Ihrige ist eine der wichtigsten auf der ganzen Bahnstrecke.“

„Wohl die wichtigste überhaupt. Gerade hier haben wir mit allen möglichen elementaren Hindernissen zu kämpfen; ich fürchte, selbst die genauesten Berechnungen werden nicht immer Stand halten.“

„Das ist auch meine Ansicht; der Posten fordert einen Mann, der selbst mit dem Unvorhergesehenen zu rechnen weiß und nöthigenfalls auf eigene Hand eingreift. Allerdings muß er auch die volle Verantwortlichkeit tragen. Ich habe Sie dazu vorgeschlagen und Ihre Ernennung dem fast allgemeinen Widerspruch gegenüber durchgesetzt; rechtfertigen Sie jetzt mein Vertrauen!“

„Ich werde es rechtfertigen,“ war die fest und bestimmt gegebene Antwort. „Sie sollst sich nicht in mir getäuscht haben, Herr Präsident.“

„Ich täusche mich selten in den Menschen,“ sagte Nordheim mit einem prüfenden Blick in das Gesicht des jungen Mannes, „und den Beweis Ihrer technischen Fähigkeiten haben Sie so bereits geliefert. Ihr Plan, die große Brücke nach diesem System über die Wolkensteiner Schlucht zu führen, ist genial.“

„Herr Präsident –“

„Sie brauchen mein Lob nicht abzulehnen, ich bin sonst karg damit; aber als ehemaliger Ingenieur habe ich ein Urtheil darüber und ich sage Ihnen, der Entwurf ist genial.“

„Und doch fand er lange Zeit nirgend Aufnahme oder auch nur Beachtung,“ sagte Elmhorst mit einem Anfluge von Bitterkeit. „Hätte ich nicht den glücklichen Gedanken gehabt, bei Ihnen einen Vortrag zu erbitten, als ich überall abgewiesen wurde, und Ihnen persönlich meine Pläne vorzulegen, sie wären niemals beachtet worden.“

„Möglich, den armen und unbekannten Talenten wird das Emporkommen meist sehr schwer gemacht; das ist nun einmal nicht anders im Leben. Ich habe in früheren Zeiten auch darunter gelitten, aber schließlich überwindet man das und Sie haben es bereits überwunden mit Ihrer jetzigen Stellung. Ich werde Sie darin zu halten wissen, wenn Sie Ihre Pflicht thun; das Uebrige ist Ihre Sache.“

Er stand auf und gab damit das Zeichen zur Entlassung. Auch Elmhorst erhob sich, aber er zögerte noch einen Augenblick.

„Dürfte ich noch eine Bitte aussprechen?“

„Gewiß, reden Sie nur!“

„Ich hatte vor einigen Wochen in der Stadt die Ehre, Fräulein Alice Nordheim zu sehen und ihr flüchtig genannt zu werden, als sie mit Ihnen in den Wagen stieg. Das gnädige Fräulein ist in Heilborn, wie ich höre, – wäre es mir erlaubt, mich persönlich nach ihrem Befinden zu erkundigen?“

Nordheim stutzte und sah den kecken Bittsteller von oben bis unten an. Er pflegte mit den Beamten nur geschäftlich zu verkehren, galt überhaupt für sehr hochmüthig in der Wahl seines Umganges, und jetzt forderte dieser junge Mann, der bis vor kurzem noch einfacher Ingenieur war, eine Gunst, die nicht mehr und nicht weniger bedeutete, als den Zutritt im Hause des allmächtigen Präsidenten. Das schien diesem denn doch etwas stark zu sein; er runzelte die Stirne und sagte in sehr kaltem Tone:

„Die Bitte ist etwas kühn, Herr – Elmhorst.“

„Ich weiß es, aber mit dem Kühnen ist ja immer das Glück!“

Die Worte hätten einen andern Gönner vielleicht verletzt; hier trat das Gegentheil ein. Der einflußreiche Mann, der Millionär war nur zu sehr mit der Schmeichelei und Kriecherei vertraut und verachtete sie aus dem Grunde seiner Seele. Dies ruhige Selbstbewußtsein, das sich auch ihm gegenüber nicht verleugnete, imponirte ihm; er fühlte darin etwas seiner eigenen Natur Verwandtes. „Mit dem Kühnen ist das Glück!“ Das war sein Grundsatz gewesen, mit dem er sich im Leben emporgeschwungen hatte, und dieser Elmhorst sah auch nicht aus, als ob er auf den unteren Stufen stehen bleiben werde. Die Falte verschwand von Nordheims Stirn; aber seine Augen hefteten sich durchbohrend auf die Züge des jungen Oberingenieurs, als wollten sie darin die geheimsten Gedanken lesen. Endlich, nach einer sekundenlangen Pause, sagte er langsam:

„So werden wir wohl auch diesmal dem Sprichworte sein Recht geben müssen. – Kommen Sie!“

In Elmhorsts Augen blitzte es triumphirend auf; aber er verneigte sich nur dankend und folgte dem Voranschreitenden durch mehrere Zimmer nach der andern Seite des Hauses.

Nordheim bewohnte eine der schönsten und elegantesten Villen in dem vornehmen Badeorte. Sie lag halb versteckt in dem schattigen Grün der Anlagen, hatte aber die volle Aussicht auf das Gebirge und ließ auch in ihrer inneren Einrichtung keine von den Annehmlichkeiten vermissen, welche reiche und verwöhnte Gäste beanspruchen. Im Salon stand nur die Glasthür offen, die auf den Balkon führte; die Jalousien der Fenster waren geschlossen, um das grelle Sonnenlicht abzuhalten, und in dem kühlen, halbdunklen Gemach befanden sich nur zwei Damen.

Die ältere, die ein Buch in der Hand hielt und zu lesen schien, war längst über die Jugend hinaus. Ihr Anzug, von dem Spitzenhäubchen an, das den schon leicht ergrauten Scheitel bedeckte, bis zu dem Saum des dunkeln Seidenkleides, verrieth die peinlichste Sorgfalt, und sie saß so steif, so kühl und vornehm da wie die leibhaftige Etikette. Die jüngere, ein Mädchen von höchstens siebzehn Jahren, ein zartes, blasses. offenbar kränkliches Wesen, saß oder lag vielmehr in einem Armstuhl. Den Kopf stützte ein seidenes Kissen, und die Hände ruhten nachlässig verschlungen auf dem weißen, spitzenbesetzten Morgenkleide. Das Gesicht konnte, wenn nicht schön, doch anmuthig genannt werden; aber es hatte einen müden, apathischen Ausdruck, der es fast leblos erscheinen ließ, zumal jetzt, wo die junge Dame mit halbgeschlossenen Augen zu schlummern schien.

„Herr Wolfgang Elmhorst.“ sagte der Präsident, seinen Begleiter vorstellend. „Ich glaube, er ist Dir nicht mehr ganz fremd, Alice – Frau Baronin Lasberg.“

Alice schlug langsam die Augen auf, ein Paar große braune Augen, die aber genau denselben apathischen Ausdruck hatten wie das Antlitz. Es lag nicht das mindeste Interesse in diesem Blick, und sie schien sich weder des Namens noch der Persönlichkeit zu entsinnen. Frau von Lasberg dagegen sah etwas erstaunt auf bei der Vorstellung. Nur Wolfgang Elmhorst und nichts weiter? Rang- und titellose Herren pflegten sonst nicht im Nordheimschen Hause zu verkehren; aber mit diesem jungen Manne mußte doch wohl irgend etwas Besonderes sein, da der Präsident selbst ihn einführte! Trotzdem wurde seine tiefe Verbeugung mit kalter Gemessenheit erwidert.

„Ich kann unmöglich erwarten, daß Fräulein Nordheim sich noch meiner erinnert,“ sagte Wolfgang nähertretend. „Die Begegnung war eine nur sehr flüchtige; um so dankbarer bin ich dem Herrn Präsidenten für die heutige Vorstellung. Aber ich fürchte – das gnädige Fräulein ist doch nicht leidend?“

„Nur etwas ermüdet noch von der Reise,“ antwortete der Präsident an Stelle seiner Tochter. „Wie geht es Dir heute, Alice?“

„Ich fühle mich sehr angegriffen, Papa,“ erwiderte die junge Dame mit einer sanften, aber völlig ausdruckslosen Stimme.

„Die Sonnengluth in dem engen Thalkessel ist auch unerträglich,“ mischte sich Frau von Lasberg ein. „Diese schwüle Temperatur wirkt immer ungünstig auf Alices Nerven; ich fürchte, sie wird es hier nicht aushalten.“

„Die Aerzte haben sie aber eigens nach Heilborn gesandt; wir müssen wenigstens erst das Resultat abwarten“ sagte Nordheim in einem Tone, der mehr ungeduldig als zärtlich klang. Alice erwiderte keine Silbe und schien überhaupt mit jener kurzen Antwort ihre Sprechlust erschöpft zu haben; sie überließ es dem Vater und Frau von Lasberg, das Gespräch zu führen.

Elmhorst betheiligte sich anfangs nur bescheiden an demselben; aber ganz unmerklich übernahm er die Führung der Unterhaltung, und man mußte es ihm lassen, daß er zu unterhalten verstand. Es waren nicht die gewöhnlichen Redensarten über das Wetter und die nächste Umgebung; er sprach vielmehr von Dingen, die dem Interesse der Damen ziemlich fern zu liegen schienen: von der im Entstehen begriffenen Gebirgsbahn. Er schilderte den mächtig emporragenden Wolkenstein, der das ganze Berggebiet beherrschte, die aufgähnende Schlucht, über welche man die Brücke führen wollte, die stürzenden Bergwasser und dann den eisernen Weg, der durch Felsklüfte und Wälder, über Ströme und Abgründe hinweg geschaffen werden solle. Das waren keine trockenen Beschreibungen, keine technischen Einzelheiten – wie ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_410.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)