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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Dieser Schmerz wird noch lange nachzittern im Herzen des deutschen Volkes.

Aber auch der Segen, welchen Kaiser Wilhelm seinem Volke hinterlassen, wird auf ihm ruhen bleiben, und im Geiste des Hingeschiedenen wird es unverzagt und in ruhiger Pflichterfüllung weiter arbeiten an seiner Entwicklung. Ein würdiger Nachfolger, Kaiser Friedrich, zu welchem das deutsche Volk mit Liebe aufblickt, hat den deutschen Kaiserthron bestiegen und wird das Werk seines großen Vaters mit dem Aufgebot aller seiner Kräfte fortsetzen.

Vertrauensvoll darf das deutsche Volk der Zukunft entgegensehen: der Friede mit seinen unschätzbaren Gütern erscheint auf lange Zeit hinaus gesichert durch den in Europa maßgebenden Einfluß der weisen auswärtigen deutschen Staatskunst und eine Entwickelung der deutschen Wehrkraft, die ohnegleichen dasteht, so daß die Machtstellung unserer Nation zur Zeit des Hinscheidens Kaiser Wilhelms nicht besser gekennzeichnet werden kann als durch das markige Wort des Reichskanzlers in seiner gewaltigen Rede vom 6. Februar 1888: „Wir Deutsche fürchten Gott, sonst niemand auf dieser Welt!“




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Der Kampf um die Kunst.
Von Karl Erdm. Edler.

Es war im Konservatorium zu Wien. In dem sogenannten „kleinen“ Saale fand eben die Prüfung statt, welche über die Ausnahme der Zöglinge in die Schauspielschule entscheidet. Die Richter waren theils Künstler und Professoren, Praxis und Theorie vertretend, geniale und gelehrte Männer, theils Gönner der Kunst mit warmen Herzen und offenen Händen. Und in schöner Mischung saß da die Strenge neben der Milde, rasches Zugreifen mit bedächtiger Erwägung sich heilsam ausgleichend, daß sie so recht eine ideale Vereinigung bildeten, um über das Geschick der jugendlichen Menschenkinder abzuurtheilen. Da sich alle der Schwere ihrer Verantwortlichkeit wohl bewußt waren, so trugen sie dieselbe mit ernster Gewissenhaftigkeit; Erfahrung sowie die weise Einsicht in Kunst und Leben gab ihrem Urtheile die würdige Sicherheit. Im ganzen überwog dabei die Milde, wie immer unmittelbar nach den Ferien. Es ist in der Seele noch ein gewisser großer Zug haften geblieben von den hoch und kühn schweifenden Berglinien dort draußen, so daß man sich nicht an Kleinigkeiten klammert, um sie zu beanstanden; weitsichtig ist noch der Blick, der kaum erst abgelassen hat, an den Riesengipfeln des Gebirges in die Wolken emporzufliegen. Sie hatten es gut, alle die künftigen Bühnengrößen – man nahm sie auf.

Da war es plötzlich aus mit der harmonischen Stimmung, die bis jetzt den Richterkreis beherrschte, gerade so als habe ein plötzlicher Mißton aller Ohren erreicht. Da jedoch dieser Kreis aus einer Mischung verschiedenartiger Temperamente zusammengesetzt war, so entspannen sich aus der plötzlichen Verdüsterung vielgestaltige Folgen. Der Heftige schleuderte mit der Bewegung eines antiken Diskuswerfers den Zwicker von der Nase, der Gutmüthige nahm langsam sein Augenglas herab und wischte es mit einem erstaunlichen Kraftaufwand von den Stäubchen rein, die nicht da waren, der Melancholische ließ die Augenlider wie Vorhänge über die schwermuthvollen Blicke niedersinken, der Bedächtige rieb sich gelassen die Augen und die Anderen sahen einander verwundert an. Ein Lächeln aber stieg in aller Antlitz empor, halb mitleidig über die menschliche Beschränktheit, welche da noch zweifeln konnte, halb entrüstet ob der lächerlichen Lage, über Selbstverständliches noch einen Richterspruch abgeben zu sollen.

Sie stand da und sah einen nach dem Anderen an. Sie verstand das Lächeln und wußte, was nun kommen würde. Sie faltete die Hände; der Kopf neigte sich leise zur Erde, um den Todesstreich geduldig zu empfangen.

„Eine unerhörte Zumuthung!“ rief der Heftige.

Der Bedächtige sagte ruhig und in gemessenem Tone. „Wir wollen Ihnen die Mühe eines Vortrags ersparen. Sie haben doch wohl Einsicht genommen in die Vollzugsvorschrift zum Statute der Grundverfassung des Konservatoriums? Unter den unerläßlichen Vorbedingungen zum Eintritt in die Schule für darstellende Kunst ist daselbst ausdrücklich angeführt: eine entsprechende Bühnengestalt. Diese fehlt Ihnen – Sie sind zu klein.“

Der Gutmüthige erhob sich, strich ihr über das glatte Haar und sagte lächelnd: „Das ist ein Fehler, der sich selbst verbessert, nicht wahr, liebes Kind? Wachsen Sie noch ein paar Jährchen und kommen Sie uns dann als ein stattliches großes Fräulein zurück! Sie haben noch rechtschaffen viel Zeit – Sie sind ja blutjung, viel zu jung!“

Sie hob sanft den Kopf und blickte ihn mit thränenden Augen an. „Achtzehn Jahre,“ sagte sie ganz leise mit zitternder Stimme.

Er zog hastig die Hand von ihrem Haare. Dann schüttelte er den Kopf, wandte sich zu den Uebrigen und flüsterte: „Achtzehn Jahre schon! Unglaublich! Ich hätte sie höchstens auf vierzehn geschätzt. Nun, was meinen Sie? Wenn wir sie also doch … wenn wir sie etwas vortragen ließen … wie?“

„Aber … “

„Etwas Kurzes wenigstens – natürlich etwas ganz Kurzes bloß! Sie kennen doch etwas recht Kurzes, liebes Fräulein?“ wandte er sich rasch an sie, um die unausweichliche Widerrede von seiten der Anderen bei Zeiten abzuschneiden.

Sie nickte und trat auf die Uebungsbühne.

„Die reine Kinderkomödie!“ brummte der Heftige halblaut. Jedoch ihr feines Ohr hatte es erfaßt, und nun stand sie plötzlich weinend da, und ein krampfhaftes Schluchzen durchbebte ihren kleinen Körper.

„Auch das noch!“ murmelte der Heftige, im Grunde nur zornig auf sich selbst, daß er so vernehmbar gesprochen hatte.

Das Tagewerk war zu Ende.

Die Talentprüfung mußte auch noch am folgenden Tage fortgesetzt werden, denn es gab der vermeintlichen Talente viele, zu viele. Endlich war auch das abgethan. Es war ein heißer Nachsommertag gewesen, alle athmeten erleichtert auf; als sie sich erhoben und sich verabschieden wollten – da stand sie wieder vor ihnen. Sie hatte schon lange gewartet, den ganzen Nachmittag, man hatte sie nur nicht bemerkt hinter allen den hoch emporgeschossenen Genossinnen.

Sie stand da wie am Vortage, sagte nichts und hielt die Hände gefaltet.

„Wir haben es ihr gestern zugesagt, also …“ sprach der Gutmüthige in etwas verzagtem Tone.

Alle waren abgespannt und müde, zu abgespannt selbst für ein Lächeln, zu müde sogar für eine Widerrede. So kehrten sie denn mit einer verhaltenen Gereiztheit zu ihren Plätzen zurück. Jedoch bloß der Gutmüthige ließ sich wirklich auf seinen Sitz nieder und streckte sich darin bequemlich mit jener wohlwollenden Nachsicht aus, welche er gegen sich selbst wie gegen alle Welt bethätigte. Alle Anderen lehnten herum oder blieben stehen, gleichsam halb im Fortgehen begriffen, den Hut in der Hand, mit wortlosem Widerwillen; man ließ es eben über sich ergehen als eine jener unausweichlichen Widrigkeiten, die glücklicherweise in sich selbst bald ein Ende finden müssen.

Die Augen waren den lächerlichen Anblick schon gewohnt; nun lauschten noch die Ohren nach dem unfehlbar heranzirpenden hohen fadendünnen Kinderton. Er mußte das Bild der verkümmerten Gestalt ergänzen; denn auch das Lächerliche strebt nach einer gewissen künstlerischen Abrundung und klassischen Vollendung. Die Selbstberäucherung freut sich darauf, dann schmunzelnd sagen zu können: „Das habe ich ja von vornherein gewußt!“

Die Sehnsucht nach dem Mißton war schon so groß, daß plötzlich in dem hallenden Saale eine fast unheimliche Stille eintrat.

Welch ein Ton! Tief ansetzend im Contra-Alt, schwoll er an und empor und hinaus durch den weiten hohen Raum. Die Richter sahen sich um und dann einander an. Die da gelehnt und gestanden waren, saßen auf einmal ganz stille; nur der Heftige fuhr sich zuweilen mit einer zuckenden Bewegung durch die Haare. Vor einem Augenblicke noch war die Leere des Saales durch das spärliche Häuflein der Richter erst recht auffällig merkbar gemacht worden; jetzt schien die Halle auf einmal

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_269.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)