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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

geglaubt würde? Wenn es einer bereits glaubte, daß sie ihre Ehre schon vergessen habe? Sie wandte ihm plötzlich das Gesicht zu und sah ihn an mit fragenden, angstvollen Blicken.

Er ging ruhig neben ihr. Nein – nein – nein! konnte sie so wahnsinnig sein?

„Der Platz ist verlassen,“ bemerkte er jetzt, nach vorwärts deutend, „die Herrschaften scheinen im Schlosse zu sein.“

In der That, unter den Eichen war es einsam; ein Lakai, der dort aufräumte, berichtete, die Durchlauchten seien nach Neuhaus gefahren und Ihre Hoheit erwarte Fräulein von Gerold in ihrem Zimmer. Der Wagen von Neuhaus werde zurückkommen.

Sie wandte sich dem Schlosse zu, die Abendsonne übergoldete die Wipfel der Bäume und ließ die zahllosen Fenster in dem altersgrauen Sandsteingemäuer in Feuergarben aufsprühen. Ein rosiger Schimmer färbte die Luft; aus dem Dorfe klang die Abendglocke des Kirchleins.

„Leben Sie wohl,“ sagte Lothar stehen bleibend, „ich möchte versuchen, Se. Hoheit aufzufinden, um mich bei ihm zu verabschieden. Sie wissen ja Bescheid in diesen Gängen, können ja überhaupt des Wegweisers entbehren.“

Er verbeugte sich tief vor ihr; sie meinte; ironisch tief.

Stolz neigte sie den Kopf. Sie wußte ja, daß jene schwachen Fäden der verwandtschaftlichen Rücksichten, die sie in der Abgeschiedenheit des Landlebens oberflächlich an einander gefesselt hatten, gewaltsam zerrissen waren, eben zerrissen, als sie sich unberufene Rathschläge verbat. – War sie zu schroff gewesen? – Ihr Fuß zögerte einen Augenblick, bevor sie weiterschritt; dann ging sie doppelt rasch in dem überschatteten Wege dahin, der zur Hauptallee führte.

Um eine Biegung trat plötzlich der Herzog. Er nahm den Hut ab und schritt, ihn in der Hand behaltend, neben ihr. Er sprach über die Parkanlage und wies auf eine Gruppe prächtiger Blutbuchen, die sich wirkungsvoll von dem lichten Grün der dahinter stehenden Lärchen abhob. „Wo haben Sie den Baron gelassen, gnädiges Fräulein?“ fragte er dann.

„Eben verließ mich mein Vetter,“ antwortete sie; „wenn ich nicht irre, wollte er Ew. Hoheit aufsuchen, um sich zu verabschieden.“

„Ah! Nun, er wird mich zu finden wissen. Ich habe überdies ein Attentat auf ihn vor; ich will ihn festhalten heute Abend; er soll eine Partie Billard mit mir machen; meine kapriziöse kleine Kousine muß eine Strafe haben.“ Er lächelte dabei und sah Claudine forschend an. „Sie waren hoffentlich nicht verletzt von diesem Kinderstreich?“ fragte er und trat neben ihr in die große Allee, die zum Schlosse führt.

„Nein, Hoheit!“ erwiderte Claudine, indem sie mit verdüsterten Blicken dem Schlosse entgegensah. Vor der Freitreppe standen zwei Herren im Gespräch; eben wandte sich der eine.

„Bei Gott, Rittmeister,“ sagte er leise, „sehen Sie – wie weiland Ludwig der Vierzehnte, wenn er der Lavallière seine Ehrfurcht bezeigen wollte.“

Der Angeredete schwieg, aber er sah mit einem befremdeten Ausdruck auf das Paar, das scheinbar so einträchtig daherkam.

Oben, am Erkerfenster der Herzogin, aber flatterte ein weißes Tuch und das schmale Gesicht der fürstlichen Frau lächelte hinter den Scheiben.

Die Herren ließen mit tiefer Verbeugung den Herzog und Fräulein von Gerold passiren. Sie sah merkwürdig aus, die schöne Freundin der Herzogin; ein harter Zug lag um den sonst so lieblichen Mund. Im Schlosse angelangt, stieg sie die Stufen empor, so langsam und müde, als trage sie eine schwere Last auf den Schultern. „Nun ist alles vorüber,“ sagte sie noch einmal und betrat das Vorzimmer zu den Gemächern der Herzogin.

„Claudine,“ rief diese, die am Fenster nach ihrem Liebling ungeduldig ausgeschaut hatte, und schlang die Arme um den Hals des schönen Mädchens, „Sie sind so lange geblieben! Wie Sie fortgingen, wurde ich auf einmal so ungeduldig, ich wäre Ihnen am liebsten nachgegangen, ich kann wirklich nicht mehr ohne Sie sein. Hören Sie, Claudine?“

Sie zog die Schweigende neben sich auf das kleine Polstermöbel im Schatten der rothen Vorhänge und sah in die traurigen blauen Augen.

„ Armes Herz, Sie wurden verletzt vorhin, die Kleine war unartig und wird ihre Strafe bekommen. Es ist die Geschichte von dem Gänschen, das neben dem Schwan sich nur durch Geschrei bemerkbar machen kann. Claudine,“ fuhr die Herzogin flüsternd fort, „ich habe doch wieder recht gesehen, wer Sie sind und wer die Andern!“ Sie drückte die kühle Hand des Mädchens. „Ich habe Sie so herzlich lieb, Claudine,“ flüsterte sie weiter, „ich möchte Sie so gern ,Du!‛ nennen dürfen, wenn wir unter uns sind. Ist das unbescheiden?“

„Hoheit! Bitte!“ stammelte sie.

„ Nicht Hoheit, Claudine. Denkst Du, ich werde ,Du‛ zu Dir sagen, wenn Du mich ,Hoheit‛ nennst? ,Elisabeth‛ will ich heißen und ,Du Du‛! Ach bitte, bitte! – Nicht eine einzige Seele habe ich im Leben gehabt, die so mit mir verkehren durfte. Gönne mir doch dieses reine schöne Bewußtsein, daß Du meine Freundin bist und keine Untergebene. Bitte, bitte, Claudine, sage ‚ja‛!“

„Hoheit sühnen die unbedeutende Kränkung von vorhin durch allzu große Gunst,“ sprach das Mädchen erregt; „ich kann, ich darf es nicht annehmen.“

Und sie sprang plötzlich empor und faßte sich an die Schläfen, als müsse sie sich besinnen, was sie thun wolle.

„Ich hätte Dich für vernünftiger gehalten, Claudine,“ sagte die fürstliche Frau, „als daß Du über eine so einfache Sache außer Dir geräthst! Es ist der Inbegriff alles Vertrauens, aller Liebe – das ‚Du‛! Und weil ich zufällig Herzogin bin, soll ich das entbehren? So darfst Du nicht denken, und so denkst Du auch nicht. Komm her, Claudine, und gieb mir den Schwesterkuß!“

Claudine kniete vor der liebenswürdigen Frau nieder; sie wollte sprechen. „Laß mich! Laß mich! Es ist besser für Dich und für mich, ich gehe fort von Dir, soweit nach meine Füße tragen!“ Und sie brachte es doch nicht über die Lippen unter diesen fieberglänzenden kranken Augen, die so innig bittend in die ihren blickten. Und dann schloß ein Kuß ihren Mund. Im nächsten Augenblick fühlte sie etwas Kaltes an ihrem Arm, ein schmaler goldner Reifen in Gestalt eines Hufeisens, die Stellen der Nägel mit Sapphiren und Brillanten geschmückt, blitzte ihr entgegen.

„Wird Ew. Hoheit – wird Dich –“ verbesserte sie sich weinend, „diese Wahl nie gereuen? “ und ihr ernstes blasses Gesicht sah fragend zu ihrer fürstlichen Freundin auf.

„Ich habe ein feines Gefühl, Claudine, für – Menschenwerth; ich weiß, ich habe keiner Unwürdigen mein Herz angeboten.“




Prinzessin Helene war in außerordentlich schlechter Stimmung nach Neuhaus zurückgekehrt. Sie hatte während der Fahrt schweigend in der einen Ecke des Landauers, Prinzeß Thekla in der andern gelehnt, ebenso still. Komtesse Moorsleben, die in den Wagen befohlen war, wußte nur mit Mühe ein Lächeln zu unterdrücken: so gleich sahen sich in diesen Minuten des Verdrusses das junge und das alte Antlitz.

Erst oben, in den Gemächern des Neuhäuser Schlosses, entlud sich das Gewitter, und zwar über dem Haupt der Frau von Berg, die in das Zimmer der jungen Prinzessin befohlen ward. Die Kleine überhäufte die scheinbar schwer gekränkte Frau mit den wahnsinnigsten Vorwürfen, gerade als ob sie schuld sei, daß vor vierhundert Jahren ein alter Gerold die Idee bekam, in dieser Gegend ein festes Schloß zu bauen, das nach und nach zu diesem unausstehlichen Altenstein von heut geworden war. Ein gräulicher Aufenthalt, eine Einöde sei es; es liege ja klar am Tage, daß niemals ein vernünftiger Mensch so eine geschmacklose Acquisition hätte machen können, wenn nicht ganz besondere „Absichten“ damit verbunden wären.

Ob denn so etwas erhört sei, daß man öffentlich einen Verweis von Ihrer Hoheit hinnehmen müsse wegen – wegen so einer –. Sie fand in ihrem Zorn kein passendes Wort. Es habe ja gerade noch gefehlt, daß sie, Prinzeß Helene, die Hofdame Ihrer Hoheit um Verzeihung bitten solle!

„O!“ fragte die schöne Frau, die mit gesenktem Haupt diesen Sturm über sich ergehen ließ, „um Verzeihung bitten? Durchlaucht hatten doch nichts gethan?“

„Ich habe sie einfach nicht gesehen, denn ich mag sie nicht leiden,“ erklärte die Prinzessin.

In Frau von Bergs Augen leuchtete es auf.

„O allerdings, Durchlaucht, das war schlimm,“ sagte sie sanft. „Ihre Hoheit ist wahrhaft bezaubert von dieser Freundin; man möchte glauben, die schöne Claudine braue in ihrem alten Eulenhause Liebestränke. Wie unangenehm mag diese Scene dem Baron gewesen sein!“

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