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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

rief sie, „lieber Papa, mach’ auf, wir sind hier, die Liesel und der Adi!“

Dort innen wurde ein Kasten zugeschoben und gleich darauf die Thür geöffnet; der Herzog, im schwarzen Sammethausrock, erschien auf der Schwelle, offenbar verwundert über diesen Besuch. Am Schreibtisch stand Palmer, er hatte Papiere in der Hand; und auf der Platte des Tisches lagen verschiedene Blätter ausgebreitet.

„O, ich störe, Adalbert?“ sagte die junge Frau unter Hüsteln. Das Zimmer durchwogte ein starker bläulicher Rauch türkischer Cigaretten.

„Wünschest Du etwas, Elise?“ fragte er. „Entschuldige diesen Rauch, er reizt Dich zum Husten; Du weißt, ich habe diese leidige Angewohnheit beim Arbeiten. Aber komm, ich will Dich hinüber geleiten; es ist hier kein Aufenthalt für Dich.“

Sie schüttelte langsam das dunkle Köpfchen: „Ich wollte nichts“ – und mit einem Blick auf Palmer verschluckte sie die Worte: „ich wollte Dich nur sehen, Dir das Kind bringen.“

„Nichts?“ wiederholte er, und eine leise spöttische Ungeduld sprach sich aus in der Bewegung, mit der er ihr den Kleinen abnahm. „Aber, vor allen Dingen komm hier fort!“

Nach ein paar Minuten saß sie wieder auf ihrer Chaiselongue allein. Er hatte zu arbeiten; er ließ sich jetzt einen Vortrag halten über den Bau einer neu zu gründenden herzoglichen Forstakademie in Neurode, es war so wichtig. Auf ihre Frage: „Trinkst Du nicht den Fünfuhrthee bei mir, Adalbert?“ war nur ein zerstreutes: „Vielleicht, meine Theure, wenn ich Zeit finde. Warte nicht auf mich,“ die Antwort gewesen.

Nun schlug es fünf Uhr, und sie wartete doch; aber da rollte eben unter den Fenstern ein Wagen über den Kies der Gartenwege. Das war der Herzog; er fuhr aus, und bei dem Wetter! O ja, sie hatte es nur vergessen; er sprach schon gestern davon, nach Waldlust zu fahren, dem alten herzoglichen Jagdschloß, das renovirt werden sollte. Traurig legte sie den Kopf zurück an die Polster. Wie öde war es doch in den fremden Gemächern mit dem rieselnden Regen vor den Fenstern, und so allein! Das Kind spielte längst in seinem Zimmer mit der Gouvernante; der Herzog wollte nicht, daß sie es länger behielt, weil dessen Lebhaftigkeit sie zu sehr angreifen würde. Freilich, der Arzt verbot ihr täglich, sich anzustrengen; es ist doch hart, ein solches Verbot, wenn man Mutter ist! – Frau von Katzenstein saß zwar im Nebenzimmer, schlafend oder lesend, aber ebenso gut hätte Niemand dort zu sein brauchen; die herzensgute alte Dame verstand sie nicht, sie sorgte nur immer für das körperliche Wohl ihrer „süßen Hoheit“, um die Wette mit der Kammerfrau – aber sonst – – ach, dies Alleinsein! Sie griff wieder zu dem Buche, das ihr entglitten war; aber die Augen schmerzten; sie mochte nicht weiter lesen; es war eine so schaurige Erzählung; man wußte schon im Voraus, die Heldin ging an Selbstmord zu Grunde, das ist Mode jetzt. Aber wenn man selbst so traurig ist, und wenn draußen der Regen so einförmig niederrauscht, so als ob es nimmer wieder licht werden sollte, da darf man nichts lesen, was noch trüber stimmt. Ja, wenn man eine Seele hätte, mit der man sprechen könnte, so, wie sie einst mit ihrer Schwester sprach, als sie noch daheim, so recht vom Herzen weg! Ja, dann ist’s heimlich, wenn draußen das Wetter tobt, die Dämmerung das Zimmer umspinnt und im Kamin ein leichtes Feuer brennt.

Und auf einmal stand eine Gestalt vor ihren Augen – Claudine von Gerold in ihrem einfachen Kleide, das Schlüsselkörbchen am Arm, anmuthig waltend in der kleinen dürftigen Häuslichkeit des Bruders; wie ruhig sie erschien, wie glücklich und beglückend! Claudine hatte schon immer so vortheilhaft abgestochen gegen die andern Hofdamen; um die Welt hätte sie nicht die kleine Gräfin H. mit dem Soubrettengesichtchen und dem übermüthigen Wesen um sich haben mögen hier im stillen Altenstein, ebenso wenig wie Fräulein von X., die fast nie die Augen aufschlug, niemals lächelte; nie hätte man das Verlangen empfinden können, einer von ihnen näher zu treten. Aber Claudine, Claudine Gerold! – Und plötzlich ergriff sie eine förmliche Sehnsucht nach diesem stillen Mädchen mit den ernsten blauen Augen. Sie drückte auf den Knopf der silbernen Glocke, die ihr zur Seite stand, und dann ging sie zum Schreibtisch und warf in fliegender Eile einige Zeilen auf das Papier.

„Diesen Brief an Fräulein von Gerold. Ein Wagen soll hinüber, sie zu holen; aber eilen Sie!“

Und nun ergriff sie eine fieberhafte Unruhe. Eine Stunde konnte es dauern, in einer Stunde würde sie hier sein können. – Sie befahl, Feuer im Kamin zu machen, und ließ den Theetisch herrichten in der Nähe der spielenden zuckenden Flammen.

Dann wanderte sie im Zimmer umher, trat zuweilen ans Fenster und sah in die regennasse Landschaft hinaus. Eine Stunde verrann, noch immer kam sie nicht. Da – horch – ein Wagen! Sie trat vom Fenster zurück, sie hatte Herzklopfen wie eine junge Braut, die den Geliebten kommen hört, und mußte lächeln über sich selbst. „Christine würde mich wieder ‚fanatisch‘ schelten,“ flüsterte sie, ihrer Schwester gedenkend, als zu ihrem Erstaunen Baron Gerold gemeldet wurde, „den Hoheit befohlen“. Sie hatte das ganz vergessen. – Heute? Ja, es mußte wohl so sein! Richtig, sie hatte ihn gebeten, ihr einige Nachrichten über die angeblich große Armuth von Wahlerode zu bringen, dem nahe gelegenen Dorfe.

Sie freute sich, ihn zu sehen, und fragte eingehend nach allem, aber zwischendurch horchte sie immer wieder in die Ferne.

„Sie werden mich zerstreut finden, Baron; ich erwarte nämlich Besuch,“ sagte sie lachend, als sie sich inmitten einer Auseinandersetzung, den Bau eines Gemeindearmenhauses betreffend, rasch zum Fenster wandte. „Rathen Sie, wen? Aber nein, rathen Sie lieber nicht, dann wird es eine Ueberraschung für Sie. – Also, mein lieber Gerold, wenn Sie sich des Baues annehmen wollen, so können Sie auf meine Hilfe völlig rechnen.“

„Hoheit sind, wie immer, die Güte selbst,“ sprach Lothar und erhob sich.

„Seine Hoheit,“ scholl plötzlich die Stimme der Frau von Katzenstein, und gleich darauf trat der Herzog ein.

„O, wie gemüthlich, Liesel,“ sagte er heiter, die zarte Frauenhand küssend, die sich ihm entgegenstreckte. „Und Sie, lieber Baron, wissen Sie, daß ich eben meinen Jäger zu Ihnen schickte? Ich dachte an eine Partie L’hombre heute. Zum L’hombrespielen just das rechte Wetter – Wie?“

„Hoheit wollen über mich befehlen.“

Der Herzog verbarg ein leises Gähnen und nahm Platz am Kamin; die alte Hofdame war am Nebentische beschäftigt, den Thee zu bereiten; ein Lakai ging mit behutsamen Schritten ab und zu und stand jetzt wie ein Schatten an der Thür, des Augenblicks gewärtig, wo er die Tassen präsentiren könne. Die Dämmerung war rasch herunter gesunken; man unterschied nur undeutlich noch die Gesichter der Anwesenden; hie und da zuckte ein Flämmchen im Kamin empor und warf ein flüchtiges Streiflicht auf den Herzog. Er sah abgespannt aus und seine große weiße Hand strich in regelmäßiger Wiederholung durch den blonden Vollbart.

„Es ist doch sehr einsam hier an solchen Tagen,“ begann er endlich; „wir sind faktisch auf dem ganzen Wege, ausgenommen Ihr Fräulein Schwester, lieber Gerold, keiner Seele begegnet. Die resolute Dame ging mit Regenschirm und Waterproof so vergnügt auf der einsamen nassen Chaussee dahin, als sei es der wonnigste Maimorgen. Vermuthlich steuerte sie nach dem Eulenhause, denn sie schlug den Weg nach rechts ein.“

„Sicher, Hoheit; sie läßt sich so leicht durch kein Wetter abhalten, ihrer Kousine einen Besuch zu machen.“

Der Herzog nahm eben eine der wappengeschmückten Tassen. „Beneidenswerth!“ sagte er halblaut und that ein riesiges Stück Zucker in den duftenden Trank.

„Die Gesundheit, meinen Hoheit? In der That, die Gerolds wissen sämmtlich nicht, was Nerven sind; sie haben, was Ew. Hoheit Lieblingsautor seinen Onkel Bräsig sagen läßt, Nerven wie Stahl und Knochen wie Elfenbein.“

„Allerdings, das meinte ich,“ klang es aus dem Munde des Herzogs. Und hastig die Tasse leerend, fragte er: „Ist es jetzt Mode bei Dir, im Dunkeln zu sitzen, Liesel? Früher mußtest Du Licht haben um jeden Preis.“

„Fräulein Claudine von Gerold!“ sagte plötzlich die alte Hofdame; zugleich tönte das Rauschen eines seidenen Gewandes; durch die tiefe Dämmerung schritt eine Gestalt und eine leicht vibrirende klangvolle Frauenstimme sprach: „Hoheit haben befohlen!“

„Ach, meine liebe Claudine!“ rief die Herzogin erfreut und winkte nach einem Sessel, „meine ungeduldige Bitte hat Sie doch nicht derangirt?“

In diesem Augenblicke flammten die Lampen unter dem Plafond auf, und ein durch mattes Glas gedämpftes Licht erhellte das in

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