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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

sind eben Thüringer Waldkinder. Aber für Deine feinen Söhlchen, Claudine, ist der Weg jetzt doch entschieden zu strapaziös –“

„Und ein völlig zweckloses Opfer, das Sie Ihrem überstrengen Rechtsgefühl gebracht haben,“ fiel ihr Bruder ein. „Denn es bedarf wohl keiner subtilen salomonischen Weisheit unsererseits, um sofort zu entscheiden, daß wir auch nicht einen Schein von Recht an dem Fund haben. Das Eulenhaus ist seit langen Jahren im Besitz der Altensteiner Linie – wie kämen wir dazu, so weit in die Vergangenheit zurückzugreifen mit Ansprüchen, die uns um so weniger zustehen, als wir eigentlich ein Unrecht gut machen müßten? Ich habe nämlich nie begriffen, wie mein Großvater auf den Tausch hat eingehen mögen, nach welchem ihm für den werthlosen Trümmerhaufen ein ausgezeichnetes Ackergrundstück zugefallen ist.“

„Der Meinung bin ich auch,“ stimmte Beate mit einem energischen Kopfnicken zu. „Nun mag Dein alter Heinemann beweisen, daß seine Abschätzung des Fundes richtig ist … Ein jährlicher Zuschuß zu Deinem Wirthschaftsgeld wird Dir nicht unwillkommen sein –“

„Praktisch wie immer, liebe Beate!“ sagte Baron Lothar. „Aber ich möchte fast gegen dieses Los der Nonnenerbschaft protestiren. Wäre es nicht poetischer, wenn sich der Blüthenstaub, den die Bienen vor uralten Zeiten zusammengetragen haben, in edle Steine verwandelte? – Vielleicht in eine Brillantengarnitur, welche die Erbin bei ihrem ersten Wiedererscheinen am Hofe tragen würde?“ warf er leicht hin, indem er halb abgewendet die ehemalige Hofdame über die Schulter fixirte.

Sie hob die Wimpern, ihr verdunkelter Blick begegnete dem seinen. „Steine für Brot?“ fragte sie. „Mir ist das Glücksgefühl, die Sorge aus meinem Heim verscheuchen zu können, mehr werth, und deßhalb denke ich ‚praktisch‘ wie Beate … Und was soll ich bei Hofe? Sie scheinen nicht zu wissen, daß ich meine Entlassung genommen habe –“

„Wohl, das pfeifen die Spatzen von den Dächern der Residenz … Aber geben Ihnen nicht Ihr Name und Ihre vielbeneidete Eigenschaft als Liebling der Herzogin-Mutter jederzeit das Recht, zu Hofe zu gehen? –“

„Vom armen Eulenhaus aus?“ unterbrach sie ihn mit zuckenden Lippen, und ihre Augen flimmerten.

„Allerdings, die Entfernung ist zu groß –“ gab er zu; aber seine Stimme klang dabei so hart und unerbittlich, als habe er ein ihm verfallenes Opfer unter den Händen, das er um jeden Preis festhalten wolle. „Acht gutgemessene Fahrstunden! – Nun, vielleicht findet der Hof selbst ein Auskunftsmittel – er braucht Ihnen ja nur näher zu rücken …“

„Wie wäre das möglich?“ rief sie jäh emporschreckend, mit halbverhaltenem Ton. „Außer dem alten Birschhaus ‚Waldlust‘ hat das herzogliche Haus kein bewohnbares Besitzthum in unserer Nähe.“

„Und in dieser famosen ‚Waldlust‘ mit ihren drei engen Stuben läuft das Wasser von den Wänden,“ lachte Beate. „Der Sturm wird das verwahrloste Gerümpel nächstens über den Haufen blasen.“

Baron Lothar schwieg. Er begann, im Zimmer auf- und abzuschreiten. „Ich hielt mich vorgestern auf meiner Reise nach hier einige Stunden in der Residenz auf, um der Prinzessin Thekla die kleine Enkelin zu bringen,“ hob er nach einem augenblicklichen Schweigen wieder an, indem er stehen blieb. „Und da hörte ich flüchtig von einem derartigen Projekt des Herzogs.“ – Er richtete plötzlich bei Nennung dieses Namens seinen Blick fest, durchdringend, ja fast feindselig auf das schöne Gesicht der ehemaligen Hofdame, über welches eine flammende Röthe hinschlug. „Man zischelte und kombinirte da so viel durcheinander“ – fuhr er fort, wobei er mit einem bitterhöhnischen Lächeln den Blick von dem errötheten Gesicht wegwandte. „Sie kennen ja das Hofgeflüster. Es kommt gehuscht wie die Motte aus dem Winkel und läßt sich schwer einfangen und festhalten; aber seine Spur bleibt an irgend einem angenagten Heiligenschein oder dergleichen.“

Bei diesen Worten hob Claudine das gesenkte Antlitz. „Ich kenne das ‚Hofgeflüster‘“, bestätigte sie; „aber ich habe mich nie so weit herabgelassen, ihm einen Einfluß auf mein Urtheil zu gestatten.“

„Bravo, alter Pensionskamerad!“ rief Beate. „Du bist ja wirklich mit heiler Haut davongekommen!“ Ihre klaren Augen hatten scharfprüfend die erregten Gesichter der beiden Sprechenden gestreift. „Aber nun lasset diese Hofreminiscenzen ruhen!“ setzte sie mit gerunzelter Stirne hinzu. „Der Klatsch ist mir in tiefster Seele verhaßt, einerlei, ob der am Brunnen und Waschtrog oder am Hofe; er hat immer und überall seine gemeine Seite. … Sage mir lieber, wie Du Dich in Deine neue Aufgabe findest, Claudine!“

„Nun, der Anfang war schwer,“ antwortete die junge Dame mit ihrem schönen, sanften Lächeln, dem sich so leicht ein Hauch von Schwermuth beigesellte. „Hände und Schürzen tragen die Spuren der Ungeschicklichkeit beim Kochfeuer. Aber dieses erste Stadium ist glücklich überwunden, und ich finde nun auch Zeit, mich an unserem Stillleben und Joachim’s heiterem, zufriedenem Gesicht zu erquicken.“

„In der That? Er sieht Sie mit heiterem Gesicht – Magddienste verrichten?“ Seine Augen sahen sie spottblitzend an.

„Glauben Sie, ich wüßte nicht zu verhüten, daß er mich beim häuslichen Schaffen sieht?“ gab sie heiter lächelnd zurück – sie ignorirte seinen Hohn geflissentlich. „Und dazu bedarf es wahrlich keiner besonderen Schlauheit. Joachim schreibt von früh bis spät an seinem Reisewerke über Spanien, in welches er seine schönsten Gedichte einwebt. Und bei diesem beglückenden Schaffen steht er außerhalb des wirklichen Lebens mit seinen kleinlichen Sorgen und Bedrängnissen. Er ist ein Mensch, der auf harten Dielen so gut schläft wie im weichen Bette, der ausschließlich bei Milch und Schwarzbrot zufrieden leben kann. Aber Liebe braucht sein zärtliches Gemüth, liebevolles Verstehen – und das findet er stets, wenn er aus seiner stillen Glockenstube zu den Seinen herabkommt. O ja, ich darf mir sagen, daß ich meine neue Lebensaufgabe begriffen habe – Joachim ist eine echte Dichternatur, die mir keine Geringere als Frau Poesie in Pflege und Obhut gegeben hat!“ Sie erhob sich und griff nach Hut und Handschuhen. – „Und nun will ich heimgehen und für den Abendtisch noch Eierkuchen backen – lache nicht, Beate –,“ sie stimmte aber selbst für einen Moment herzlich in das Lachen der Pensionsschwester ein – „meine gute Lindenmeyer ist ganz stolz auf die flinke Art und Weise, wie ihre Schülerin den Kuchen auf die andere Seite zu schwenken versteht.“

„Das müßte Deine alte Hoheit sehen!“

„Es würde ihr gefallen, das weiß ich. Sie ist eine deutsche Frau; das hausmütterliche Element steckt ihr im Blute, wenn sie auch fürstlich geboren ist.“

„Ob es ihr aber gefiele, wenn das bittere Muß sie plötzlich aus ihrem Audienzzimmer an den Küchenherd versetzen würde? – Der Wechsel zwischen Licht und Schatten, wie Du ihn auf Dich genommen hast, ist zu grell – heute thut mir das Herz weh.“

„Beruhige Dich, Beate!“ unterbrach sie ihr Bruder mit hörbarer Ironie. „Diese Prüfung währt nicht lange. Sie ist ja nur ein Uebergangsstadium, so eine Art Märchenepisode à la König Drosselbart. Ehe Du Dich dessen versiehst, wird ein Sonnenglanz die vermeintliche Schattenblume bescheinen, ein Sonnenglanz, um welchen sie alle Rosen von Schiras beneiden müssen.“

Die beiden Geschwister hatten bereits unbemerkt einen Blick des Einverständnisses gewechselt, und jetzt bei seinen letzten Worten verbeugte sich Baron Lothar und verließ rasch das Zimmer.

„Er phantasirt, wie es scheint!“ meinte Beate achselzuckend und sichtlich verständnißlos, indem sie nach der Thür schritt, die in das Nebenzimmer führte. „Einen Augenblick Geduld, Claudine; ich will nur ein wenig Promenadentoilette machen, denn ich möchte Dich begleiten!“




Claudine trat einstweilen wieder an das Fenster zurück. Ihre Wangen brannten und die feinen Brauen zogen sich in finsterem Brüten zusammen. … Was Alles mochten Bosheit und Frivolität im Herzogsschloß ersinnen, um ihr, die muthig einen ihr besseres Selbst rettenden Schritt gethan, Steine nachzuwerfen! Und womit hatte sie den Mann, der eben hinausgegangen, je so beleidigt und gereizt, daß er ihr mit anscheinend scherzhaft hingeworfenen, aber in Wahrheit verletzenden Bemerkungen das kaum beschwichtigte Herz aufregen und verbittern durfte?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_054.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)