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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Messer schneidet und jedes Atom von Lebenswärme aus den Gliedern treibt. Ein dicker Winterüberzieher schützt nicht mehr als ein Fetzen Musselin gegen das Wüthen des Schneesturmes, der, von den eisigen Gebieten Alaskas und der nördlichen britischen Besitzungen kommend, in der Regel drei Tage lang aus dem Norden bläst, dann plötzlich umschlägt und wieder drei Tage lang mit ungeschwächten Kräften sein Wüthen von Süden her fortsetzt. Glücklicher Weise treten für gewöhnlich diese äußerst schweren „Blizzards“ nur etwa 5 bis 6 Mal während eines Winters auf, ja im Jahre 1882 wurde Nord-Dakota nur von einem in den Monat März fallenden Schneesturm betroffen. Dagegen hat sich der Winter 1880 bis 1881 mit seinen gegen 60 schweren Stürmen für immer denkwürdig in die Chroniken des amerikanischen Nordwestens eingeschrieben. Der erste Schnee fiel früh im Oktober, und von dieser Zeit bis zum April führte der Winter ein unerhört strenges Regiment. Ueberall lag der Schnee 6 bis 20 Fuß hoch; einige Schneewehen erreichten sogar eine Stärke von über 50 Fuß. Weit und breit war Alles unter diesen enormen Massen begraben; die Menschen litten schrecklich, und die Thiere starben zu Tausenden. Jede Verbindung war abgeschnitten. Die Passagiere der Eisenbahnzüge waren nicht selten inmitten der ödesten Prairien zu tagelanger Haft verurtheilt; in mehreren Fällen waren sie, als endlich Befreiung kam, dem Hungertode nahe.

Ein Mann in Dakota, welcher zwei Nachbarfamilien, die über nicht so feste und sichere Behausungen zu verfügen hatten, bei sich aufgenommen, sah sich gezwungen, die Bretterhäuser dieser Familien, ja seine eigenen Möbel, Betten, Kisten, Koffer und Kasten als Feuerungsmaterial zu benutzen. An einer anderen Stelle verließ die Bewohnerschaft eines ganzen Dorfes aus ökonomischen Rücksichten ihre Häuser und versammelte sich in einem großen Raume, wo ein mit dem Holze der Schuppen beständig genährtes Feuer unterhalten wurde.

Aehnliche Zustände fanden statt während des durch eine ganz abnorme Kälte sich auszeichnenden Winters 1885 auf 1886.

Beide Winter machten namentlich den Eisenbahnen viel zu schaffen, und die Arbeiten, die unternommen werden mußten, um die Geleise frei zu halten, waren geradezu erstaunlich. Die „Northwestern-Company“ zahlte 1881 allein über 11/4 Millionen Mark für Freilegung der Schienenwege. Diese Gesellschaft hatte beständig 34 mächtige Schneepflüge in Thätigkeit, ohne indeß der furchtbaren Schneemassen Herr werden zu können. Wie ungeheuer diese Massen waren, dürfte aus der Thatsache zu ersehen sein, daß ein 48000 Pfund schwerer Schneepflug, der noch dazu mit 80000 Pfund Eisen belastet und von sechs hinter einander gespannten Lokomotiven getrieben wurde, vollständig machtlos war, eine ihm entgegenstehende Schneewand zu durchbrechen. Als nach der furchtbaren Attake die Werkleute den immensen Pflug besichtigten, fanden sie, daß derselbe trotz seines 128000 Pfund schweren Gewichtes wie eine Feder zurückgeschlagen und gegen einige Bäume geschleudert worden war, woselbst die ganze Maschinerie bis zum Schmelzen der Schneemassen im Frühling liegen bleiben mußte. Die Schneewehe hatte eine Mächtigkeit von 52 Fuß.

Einige Bahngesellschaften suchten ihre Linien frei zu halten, indem sie Tausende von Arbeitern anstellten, die den Schnee in große Blöcke von der Breite des ganzen Bahnbettes und 12 Fuß Länge zu zerschneiden hatten. Diese Blöcke wurden dann, durch Stricke und Planken zusammengehalten, mittelst einer vorgespannten Lokomotive an freiere Plätze geschafft, wo sie mit leichter Mühe aufgebrochen und beseitigt werden konnten.

Nicht immer aber war der Erfolg ein den ungeheuren Arbeiten entsprechender. So hatte man an einer Stelle nach fürchterlicher Mühe 324000 Kubikyards Schnee hinweggeschafft, aber ein plötzlich sich aufmachender Wind füllte innerhalb acht Stunden die ganzen Oeffnungen wieder zu.

So dauerte der Kampf gegen die Elemente fort bis zum Frühjahr, welches mit seiner ungewöhnlichen Sonnengluth die ungeheueren Schneemassen überraschend schnell zum Schmelzen brachte. In Folge dessen schwollen alle Flüsse und Ströme zu enormer Höhe an und verursachten jene furchtbaren Ueberschwemmungen des Missouri, Ohio und Mississippi, welche, wie wir im Jahrgange 1884 der „Gartenlaube“ bereits geschildert haben, viele tausend Menschen um ihre Heimstätten brachten.




Vom Nordpol bis zum Aequator.

Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
Adlerjagden des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich.
II.

Am ersten Reisetage durch das Gebiet der Urwaldungen kamen uns die Adler noch nicht vor das Gewehr, nicht einmal zu Gesicht; dafür aber besuchten wir die weltberühmte Reiherinsel Adony und hatten Gelegenheit genug, das Leben ihrer Brutvögel zu beobachten. Seit zwei Menschenaltern horsten auf den Hochbäumen dieses Eilands unter den weit länger angesessenen Saatkrähen Reiher und Scharben oder Kormorane, und wenn auch die letztgenannten seit Beginn der sechziger Jahre erheblich abgenommen haben, sind sie doch nicht gänzlich verschwunden. Vor vierzig Jahren horsteten hier nach Landbeck’s Schätzung etwa tausend Paare Nacht-, zweihundertundfünfzig Paare Fisch-, fünfzig Paare Seidenreiher und hundert Paare Kormorane. Heutzutage bilden die Saatkrähen wiederum bei Weitem den Hauptbestand mit fünfzehnhundert bis zweitausend Paaren; die Fischreiher aber sind bis auf etwa anderthalb Hundert, die Nachtreiher bis auf dreißig oder vierzig Paare zusammengeschmolzen, die Seidenreiher gänzlich verschwunden, und nur die Kormorane haben sich in annähernd derselben Anzahl wie früher erhalten. Gleichwohl klingt uns wenigstens noch ein Nachhall des früheren Lebens in die Ohren, wenn wir die Insel betreten, und hier und da bietet der Wald sogar wohl noch ziemlich genau das alte Bild.

Scheinbar in bester Eintracht leben auf solchem gemischten Reiherstande die verschiedenen Vögel zusammen, und dennoch herrscht weder Friede noch Freundschaft unter ihnen. Der eine bedrängt und unterstützt, brandschatzt und ernährt den anderen. In den Siedelungen der Saatkrähen finden sich die Reiher ein, um der eigenen Arbeit des Nestbauens sich zu entziehen; jene schleppen die Reiser herbei und bauen die Nester auf; diese, zunächst die Reiher, vertreiben die Raben vom Neste, um letzteres, mindestens dessen Baustoffe, gewaltsam in Besitz zu nehmen; die Scharben endlich machen wiederum den Reihern die gestohlene Beute streitig und werfen sich schließlich zu Gewaltherrschern in dem gemischten Brutstaate auf. Aber auch sie, die Diebe und Räuber, werden bestohlen und beraubt; denn Krähen und Milane, welche letztere solchen Siedelungen selten fehlen, ernähren sich und ihre Jungen zu nicht geringem Theile von den Fischen, welche Reiher und Scharben zur Atzung ihrer Weibchen und Jungen herbeitragen. Die erste Begegnung der verschiedenartigen Brutvögel ist feindlich. Heftige, langwierige Kämpfe werden ausgefochten, und der zehnmal Besiegte erneuert zum elften Male den Streit, bevor er sich in das Unvermeidliche fügt. Mit der Zeit aber bessern sich die Verhältnisse in demselben Maße, wie die einzelnen Mitglieder des Verbandes erkennen, daß aus dem Zusammenleben doch auch Vortheile erwachsen und daß für friedliche Nachbarn Raum genug vorhanden ist. Kämpfe und Streitigkeiten enden allerdings niemals gänzlich; aber der erbitterte Krieg der einen Art gegen die andere weicht allgemach mindestens erträglichen Zuständen. Man gewöhnt sich aneinander und nutzt die Leistungsfähigkeit des Gegners so viel als möglich. Ja, es kann geschehen, daß der Beraubte schließlich dem Räuber folgt, wenn dieser sich veranlaßt sieht, seinen Brutplatz an einer anderen Stelle aufzuschlagen.

Der Anblick eines gemischten Reiherstandes ist im hohen Grade fesselnd. „Wechselvolleres, Anziehenderes, Schöneres,“ schildert Baldamus, „giebt es schwerlich, als diese ungarischen Sümpfe mit ihrer Vogelwelt, welche ebenso sehr durch die Anzahl der Einzelwesen wie durch die Verschiedenheit in Gestalt und Farben ausgezeichnet ist. Man sehe sich nur die hervorstechendsten dieser Sumpfbewohner in einer Sammlung an und denke sie sich dann stehend, schreitend, laufend, flatternd, fliegend, kurz lebend, und man wird zugeben müssen, daß solches Vogelleben ein wunderbar anziehendes ist.“ Diese Schilderung ist selbst dann noch richtig, wenn man sie auf die verarmte Insel Adony bezieht. So zusammengeschmolzen die einst sehr reiche Bevölkerung auch ist, noch immer handelt es sich um Tausende und andere Tausende. Auf weite Strecken des Waldes hin trägt jeder Hochbaum Horste, mancher deren zwanzig bis dreißig, und um sie wie auf ihnen regt und bewegt sich das lärmende Volk der verschiedenartigen Siedler. Auf den Horsten sitzen brütend die Weibchen der Saatkrähen, Fisch- und Nachtreiher und Scharben und lugen mit ihren dunkeln, schwefelgelben, blutrothen, seegrünen Augen auf den Störenfried herab, welcher ihr Heiligthum betritt; auf den höchsten Aesten der Riesenbäume hocken und klettern, über ihnen flattern, fliegen und schweben die schwarzen, braunen, grauen, einfarbigen und bunten, glanzlosen und schimmernden Vogelgestalten; über ihnen ziehen Milane ihre Kreise; an den Stämmen hängen und arbeiten Spechte; in den Blüthen eines Birnbaumes suchen glatte geschmeidige Grasmücken, im Wipfel der bereits belaubten Traubenkirschbäume Finken und Waldlaubsänger ihr tägliches Brot. Der an einzelnen Stellen so wunderherrliche Maiblümchenteppich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_078.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2023)