Seite:Die Gartenlaube (1886) 499.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Namentlich die Ausübung dieser letzteren Gartenlaubenpflicht, sowie die Möglichkeit, dem warmen Gefühl für menschliches Drangsal, mit dem sein eigenes Jugendschicksal ihn erfüllt hatte, durch die „Gartenlaube“ zu großen Erfolgen verhelfen zu können, und das offenbare Ziel des Blattes, nationale Einheit und politische Freiheit des deutschen Volkes vor Allem durch gesunde Volksbildung zu erstreben, dies Alles machte Hofmann’s äußere Stellung zu einer auch mit seinem inneren Drang harmonirenden, und Ernst Keil, der diesen Herzenszug sofort erkannte, gewährte Hofmann gern jede Gelegenheit, demselben frohen Lauf zu lassen.

Von großem Erfolg in dieser Beziehung war Hofmann’s Eintreten für Wilhelm Bauer (von 1860 bis zu dessen Tod 1875). Dasselbe brachte ihn in persönliche Berührung mit Herzog Ernst von Koburg (vergl. „Gartenlaube“ 1863, S. 159), welcher in Anerkennung der poetisch vielfach bethätigten Heimatliebe des Dichters und wohl die auf Bundestagsanordnung einst geschehene Verurtheilung Hofmann’s nunmehr belächelnd, ihm das Ritterkreuz seines Hausordens verlieh.

Die Redaktionsthätigkeit Hofmann’s entfaltete sich am schönsten in den großen Sturm- und Kriegsjahren 1870 und 1871.

Sein bester Gedanke war der eines großen Christfestes für die armen Kinder und Waisen des Krieges, mit dem zugleich eine Christbescherung für die armen Kinder in Elsaß und Lothringen verbunden sein sollte. Hofmann’s Aufruf: „Eine große Bitte an alle deutschen Kinder“ erschien Mitte November in der „Gartenlaube“ (S. 792), und schon nach wenigen Wochen erwies der Erfolg sich als ein überraschend großartiger. Hofmann hatte das rechte Wort für Jung und Alt gefunden; rührend herrlich zeigte es sich, daß der Geist der großen Zeit auch in die Herzen der deutschen Kinder gefahren war; ihnen gefiel offenbar der Wunsch am besten, daß ihre deutsche Liebe den französischen Haß in Elsaß-Lothringen besiegen solle. Und so massenhaft kamen von überall her, wo Deutsche wohnen (später selbst noch Nachsendungen aus anderen Erdtheilen), auf den Ruf der „Gartenlaube“ die Gaben, von der centnerschweren Kiste bis zum Packetchen, das Kindeshand selbst zur Post gebracht hatte, daß Hofmann’s Arbeitszimmer und E. Keil’s Gartensalon sich in vollständige Niederlagen von Weihnachtswaaren aller Art verwandelt hatten. Die größten Sympathien nahm die wiedergewonnene „wunderschöne Stadt“ des Volksliedes in Anspruch: nach Straßburg konnten und mußten, nach den Wünschen der Kinder und vieler Alten, die meisten Gaben gerichtet werden. Ebenso kamen Sendungen im Verhältniß zu der Einwohnerzahl und dem Kriegsschicksal nach Fröschweiler, Schlettstadt, Lützelstein, Weißenburg, Pfalzburg, Zabern, Marfal, Diedenhofen etc., und sogar an die kleinen Franzosen in Metz. Der Briefwechsel über diese Sammlungen und Bescherungen, namentlich die Kinderbriefe mit ihren vielen patriotischen Verschen, sind ein schöner Erinnerungsschatz an diese große Zeit.

Nachdem Hofmann die Arbeiten für die Kriegskinder-Bescherungen abgemacht, ging er selbst ins Kriegsland. Am 12. Januar 1871 fuhr er mit einem preußischen Sanitätszug vom Bayerischen Bahnhofe in Leipzig ab, eigentlich um Einrichtung und Benutzung solcher „fahrenden Lazarethe“ zum Behufe einer Beschreibung in der „Gartenlaube“ möglichst genau kennen zu lernen. Der betreffende Zug, welcher in Epernay transportfähige Verwundete abholen und in fünf Tagen nach Leipzig zurückkehren sollte, gerieth im Elsaß in die endlosen Militärzüge, welche nach Süden eilten, wo vom 15. bis 17. Januar der furchtbare Kampf vor Belfort wüthete. Erst am 20. konnte er nach Nanzig und Weiler gelangen, erhielt aber auf der Fahrt nach Chalons die Weisung, von dort die Richtung nach Orleans einzuschlagen. Dies dehnte die Reise von fünf Tagen auf fünf Wochen aus, während welcher Hofmann von Brumath am 16. Januar einen Abstecher nach Straßburg und von Orleans aus am 7. Februar nach Paris machte. Die „Gartenlaube“ brachte über diese Erlebnisse außer einem kurzen Brief aus Paris (S. 156) die Artikel: „Ein fahrendes Lazareth“ (S. 167 und 246) und „Vierundzwanzig Stunden im Paris der bittern Noth“ (S. 204), dem Hofmann im Jahrgang 1883, S. 97 und 116 in dem Artikel „Vor zwölf Jahren in Paris“ eine ausführlichere Schilderung dieses kühnen, aber gelungenen Eindringens in die feindselige Stadt folgen ließ. Nach der Anmerkung auf S. 204 (1871) scheint es sehr wahrscheinlich, daß Hofmann der erste Deutsche war, welcher sich schutzlos und am hellen Tage in das Paris des Waffenstillstandes gewagt hatte. Mit Bezugnahme auf dieses kühne Wagniß schrieb ihm damals sein Freund Generalmajor Graf Arthur Mensdorff-Pouilly: „Wo Teufel nahmen Sie den Muth her? Denn da gehört wahrhaftig mehr dazu, als hinter guten Schanzen heraus mit weittragenden Kanonen zu schießen!“

Am Ende des Krieges verfaßte Hofmann für das Leipziger Internationale Hilfskomité „Leipzigs Gruß den heimkehrenden Siegern“, ein Gedicht, welches in 180 000 Exemplaren gedruckt und an alle durchziehenden Krieger als Erinnerungsblatt vertheilt wurde. In Nr. 27 begann Hofmann in der „Gartenlaube“ mit der Rubrik der „Vermißten“; zunächst wurden in derselben „Vermißte Soldaten unseres Krieges“ aufgerufen, später „Vermißte Deutsche“ überhaupt, nachdem früher einzelne Nachforschungen nach Verschollenen mit gutem Erfolg belohnt worden waren.

Dieses glorreichste Jahr der deutschen Nation sollte für die Familie Keil mit dem schwersten Unglück enden. Ernst Keil’s einziger Sohn, Alfred, ein blühender und edelstrebender junger Mann von noch nicht 27 Jahren, war auf einer Orientreise am 28. December 1871 in Kairo gestorben. Ergreifend war der Kultus, welchen Ernst Keil mit der Pflege der Erinnerung an seinen Sohn verband. Mancherlei Anerkennungen, Wohlthaten und Stiftungen ließ er von ihm ausgehen und zwar in Briefen, die mit dem Namen Alfred unterschrieben sind. Auch Hofmann empfing einen solchen, in welchem Alfred ihn bat, seinem Vater und der „Gartenlaube“ treu zu bleiben; damit war eine Erhöhung des Gehaltes verbunden, und dem Schreiben lag Alfred’s Bildniß bei.

Ein ernstes Ziel führte Ernst Keil und Hofmann gemeinsam am 2. Oktober 1872 nach Dresden. Dort war einer der ältesten Freunde Keil’s, Ferdinand Stolle, am 29. September gestorben. Im Friedhofe der Neustadt sprach an seinem Grabe Hofmann einen Nachruf mit dem letzten Gruße der „Gartenlaube“ an den Todten, der ihr Jahre lang treu gewesen.

Hofmann ist ein geborener Volksdichter; sein improvisatorisches Talent gestattete ihm zugleich, in Goethe’s Sinn „Gelegenheitsdichter“, d. h. allezeit freudig bereit zu sein, die Feste der Familie, geselliger Vereine und Verbindungen, des Theaters und der Nation mit Liedern und Prologen zu verschönen. Wahre Perlen solcher Dichtungen findet man in Hofmann’s ausgewählten Gedichten, welche unter dem Titel „Nach fünfundfünfzig Jahren“ im vorigen Herbste (Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger) erschienen sind. Außerdem that sich Hofmann auch als Dialektdichter hervor, schrieb mehrere Festspiele und Operntexte, die allgemeinen Beifall fanden, und erfreute die Kinderwelt durch reizende Märchensammlungen, wie „Der Kinder Wundergarten“ etc.

Inzwischen kam das Jahr 1878 heran, das Jubeljahr der „Gartenlaube“, deren fünfundzwanzigsten Jahrgang Friedrich Hofmann mit einem „Jubelgruß“ eröffnete.

Von dem Feste sichtlich gehoben gingen Redaktion und Mitarbeiterschaft an das Fortwirken für das Jubelblatt. Vor Allem machte E. Keil den Eindruck eines Mannes, der mit neuerblühter Schaffenslust das Lieblingswerk seines Lebens weiterzuführen bereit steht. Das Aufblühen war Täuschung, es war „das Blühen eines Sternes“, sein letztes Aufleuchten vor dem Untergang. Ernst Keil starb nach einem kurzen Krankenlager am 23. März 1878, und Ernst Ziel übernahm die Redaktion des Blattes. Auch jetzt blieb Hofmann seiner alten Pflicht als ständiger Mitarbeiter treu, bis im Jahre 1883 eine neue Ordnung der Dinge ihn nöthigte, die verantwortliche Redaktion zu führen, welche er auch beibehielt, als mit dem Jahre 1884 der jetzige Herausgeber die geschäftliche Leitung des Blattes übernahm. Inzwischen hat der treue Kämpe sein dreiundsiebzigstes Lebensjahr überschritten, und wer möchte es ihm verdenken, daß er jetzt endlich Sehnsucht nach größerer Ruhe empfand und den Wunsch äußerte, von dem seine Kräfte allzu sehr anstrengenden redaktionellen Geschäftszwang befreit zu werden und künftig nur noch als ständiger Berather und gelegentlicher Mitarbeiter an der „Gartenlaube“ sich zu betheiligen. Dieser Wunsch ist dem trefflichen verdienten Veteranen gern bewilligt worden. Derselbe scheidet also nicht aus unserer Mitte. Als „Ehrenmitglied der Redaktion“ wird er auch in der Folge für seine geliebte „Gartenlaube“ zu wirken suchen, und nach wie vor stehen ihm die Spalten derselben jederzeit offen, besonders aber dann, wenn er, dem alten Herzenszuge folgend, für Arme und Bedrängte Liebesgaben sammeln oder eintreten wollte für Wahrheit und Recht!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_499.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2023)