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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Blätter und Blüthen.

Ein Münchener Biergarten. (Mit Illustration S. 577.) In der schönen Stadt am Jsarstrande haben schon vor vielen Jahrzehnten die ehrsamen Bierbrauer und Gastwirthe eigene Gärten angelegt, um ihren Gästen einen friedlichen Aufenthalt im Freien zu ermöglichen und ihnen den langen Weg vor das Weichbild der Stadt zu ersparen. Daß dieser Aufenthalt durch die Gelegenheit, der Sommerschwüle mit einem frischen Trunke entgegenzuarbeiten, noch erheblich angenehmer gestaltet wurde, bedarf keiner näheren Ausführung. Sobald im wunderschönen Monat Mai die ersten Knospen springen, wird der Münchener zwischen den dumpfen Wänden unruhig, wie eine Lerche im Käfig. Die Keller- und Gartensaison ist angebrochen, und wenn die Feierstunde schlägt, gürtet der biedere Hausvater seine Lenden, Mutter sorgt für den entsprechenden Mundvorrath, und die ganze Familie bis zum Kleinsten herab zieht hinaus in irgend einen Garten, nicht etwa dahin, wo die schönsten Blumen blühen, sondern dorthin, wo die berühmteste „Quelle“ sprudelt. Bald ist ein entsprechender Platz für die Niederlassung gefunden; während die sorgsame Hausfrau ihre kalten Platten zurechtstellt, begiebt sich der Patriarch in höchsteigener Person zur Schenke; dort wählt er zuerst einen der in großer Zahl vorhandenen Krüge und begiebt sich an das Brünnlein in der Nähe, um das Gefäß nochmals auszuspülen und ihm durch das sprudelnde Wasser einen gewissen Grad von Kühle zu verleihen; dann tritt er wohlgemuth den Gang zur Stätte an, wo der Schankknecht den Zapfen regiert; es bedarf keiner Erklärung; ohne viel Worte zu gebrauchen, reicht er den Krug und das Geld, er erhält dann sein Gefäß und zieht friedlich von dannen. Dieses wichtige Geschäft überläßt der echte Münchener nicht gern einem Andern oder einem dienstbaren Geiste, denn er muß wissen, daß „nix pantscht werd“, das ist, daß nicht etwa Bierreste (Standerling) in sein Quantum eingetheilt werden oder daß er am Ende das Letzte vom Faß haben müßte.

Die Biergärten gehören ihrer botanischen Klassifikation nach zu den Ziergärten; meist sind es Kastanien- oder Lindenbäume, welche ihre Laubdächer schützend über die glücklichen Zecher breiten; von eigentlichen Gartenerzeugnissen ist nur der „Radi“ zu sehen, welcher schon um deßwillen hoch geschätzt wird, weil er die erschlaffenden Geschmacksnerven anregt und die Trinklust wesentlich fördert. So ganz materiell ist aber der Münchener auch nicht angelegt, daß er in Mitte aller leiblichen Genüsse nicht auch für geistige Erholung empfänglich wäre.

Zu einem richtigen Keller- oder Gartenvergnügen gehört denn auch eine „Musi“, und je nach dem Range der Wirthschaft sorgt eine Regimentskapelle, ein Privatorchester, ein Blechmusikkorps, ein Quintett oder gar ein Terzett mit Flöte, Harfe und Geige für den obligaten Ohrenschmaus. Der Biergarten ist das Erntefeld für den Zeitungscolporteur. „Dö Neuesten – ’s Vaterland – Süddeutsche – Fremdenblatt – Der Freie“ etc. So tönt es den ganzen Abend, und es wird in diesem Artikel ziemlich viel umgesetzt. Sonstige kleinhändlerische Unternehmungen finden hier gleichfalls ein geneigtes Gehör. Blumenmädchen mit „Veigerln“, Cigarrenhändler, die aufdringlichen Italiani mit ihren Mandoli, Mandoletli, Pfefferminz, Orangen u. dergl. zum Bier passenden Leckereien, Galanteriewaarenhändler und ähnliche Ruhestörer machen dem Bierphilister den Aufenthalt stellenweise sehr sauer. Trotzdem bleibt der Biergarten des Müncheners liebster Aufenthalt. Auf diesem Territorium giebt es keinen Unterschied der Stände; die gesellschaftlichen Vorurtheile kommen wenigstens nicht in schroffer Weise zum Ausdrucke; sollte sich Jemand auch separiren wollen, so muß er es sich doch gefallen lassen, wenn irgend ein Ungeladener den etwa noch freistehenden Platz am Tische einnimmt; Herr und Diener, die Köchin mit dem Schatz, das Kindermädchen mit den Pfleglingen, der Bureaukrat und der lustige Bruder – sie Alle sind gleich vor dem Faß, und dieses Bewußtsein trägt bei den Gästen nicht wenig dazu bei, dieses ihr Eldorado werth zu machen und die Gemüthlichkeit und Geselligkeit zu fördern. Das bunte Treiben in einem Biergarten ist auf der Illustration, welche wir nach dem trefflichen Bilde Liebermann’s unseren Lesern mittheilen, in vorzüglicher Weise dargestellt; der Beschauer mag sich damit eine getreue Vorstellung des Biergartenlebens in München bilden; von dem Durste, der dort herrscht, ließe sich jedoch höchstens in Zahlen sprechen; davon hat der Uneingeweihte gar keinen Begriff.


Eingekauft. (Mit Illustration S. 572.) Seit Kaulbach die Goethe’sche „Lotte“ verewigte, haben wir das Thema der vorsorglichen „Aeltesten“ in mannigfachster Weise variirt gesehen, aber selten mag es einem Maler gelungen sein, die „alte Geschichte“ in so fesselnder Weise „neu zu erzählen“, wie dies Hahn in seinem Bilde „Eingekauft“ thut. Die Situation bedarf kaum einer Erklärung. Das älteste, halb schon zur Jungfrau erblühte Haustöchterchen ist mit den drei kleinen Geschwistern „einkaufen“ gewesen, und mit nicht geringem Stolze rühmen sich die Schwestern der schweren Lasten an Gemüse und Obst, die ein Jedes heim schleppen durfte.

Nur das Brüderlein scheint den Zweck des „Einkaufens“, das Versorgen der Küche, nicht vollständig erfaßt zu haben. Er steckt die Rübe, die man ihm zum Tragen überlassen hat, gleich roh ins Mäulchen; seine dicken Backen beweisen, daß er in keiner Art ein Kostverächter ist!

Wenn etwas an dieser reizenden Kindergruppe einer Erklärung bedürfte, so ist es die Frage: Warum mußten die Kleinen selbst einkaufen gehen? Hinweg mit der traurigen Vermuthung, daß sie vielleicht keine Mutter mehr haben! Die fröhlichen Mienen von Allen deuten viel eher darauf hin, daß Mutter nur ganz vorübergehend von den gewohnten Marktgängen abgehalten wird. Ein lieber Besuch soll sich im Hause angemeldet haben. Und da war es rathsam, die Kleinen mit zum „Einkaufen“ zu schicken. Geärgert haben sie sich darüber sicher nicht. C. M.     


Noch einmal „Frauen auf dem Lehrstuhle der Mathematik“. In Nr. 32 führt der Verfasser des obengenannten Artikels als erste der Frauen, die sich durch mathematisches Wissen auszeichneten, Maria Agnesi an (geb. 1718, gest. 1799). Allein schon aus dem Alterthume ist ein derartiger Fall bekannt und von besonderem Interesse durch das tragische Schicksal, dem die gelehrte Frau zum Opfer fiel. Es ist dies Hypatia, die Tochter des berühmten Mathematikers Theon; ihr Vater führte sie in die Wissenschaften der Mathematik und Philosophie ein. Nachdem sie darauf in Athen ihre Studien vollendet hatte, hielt sie in ihrer Vaterstadt Alexandria mit dem größten Erfolge öffentliche Vorträge über die genannten Disciplinen und war auch schriftstellerisch thätig; doch ist von ihren Werken nichts erhalten.

Ihre Zeitgenossen rühmen nicht weniger ihre tiefe Gelehrsamkeit, als ihre Schönheit und die Reinheit ihres Lebenswandels; noch jetzt existirt ein begeistertes Gedicht über sie in der griechischen Anthologie. Dennoch hatte sie sich als Heidin durch ihre Lehre, in der sie Neuplatonische mit Aristotelischen Principien zu verbinden suchte, einige der angesehensten Christen Alexandrias zu Feinden gemacht, und es gelang im März des Jahres 415 dem Bischof Cyrillus, den Pöbel dermaßen gegen sie aufzuwiegeln, daß sie auf eine höchst grausame Weise ermordet wurde. Ihr Schicksal und die der Katastrophe zu Grunde liegenden Zeitverhältnisse und Anschauungen hat Kingsley in seiner „Hypatia“ dargestellt, einem der vorzüglichsten historischen Romane, der je geschrieben wurde. F. H.     


Ein Mooskampf. Auf den Blumentöpfen feuchter Gewächshäuser, sowie auf feuchten Gartenbeeten, welche selten umgegraben werden, findet sich überaus häufig ein dem Gärtner recht lästiges Lebermoos, das Schuppenmoos (Marchantia polymorpha), welches als dicker, großschuppiger, grüner Beleg die Erde wie mit einer zusammenhängenden Decke völlig überzieht. Bei näherer Betrachtung findet man auf dem natürlichen Teppich grüne stiellose Becher von einem bis vier Millimeter Breite, welche mit gelbgrünen Keimkörnchen erfüllt sind. Zu gewissen Zeiten treibt diese Moosart auch förmliche Blüthen; auf zahllosen fingerhohen Blüthenstielen sieht man alsdann äußerst zierliche, grüne bis pfenniggroße Schirme. Diese interessante Pflanze führt nun seit einer Reihe von Jahren einen erbitterten Kampf ums Dasein mit einem fremden Eindringling, mit dem Mondmoos (Lunularia vulgaris), welches zu uns aus Oberitalien eingewandert ist oder vielmehr mit ausländischen Pflanzen eingeschleppt wurde. Dasselbe trägt ähnliche Keimbecher wie das deutsche Schuppenmoos, nur sind diese völlig halbmondförmig, wovon auch der Name des Mooses herstammt. In Italien blüht es und erhebt über seinem grünen Lager ganz eigenthümliche Fruchtschirmchen. Bei uns pflanzt es sich nur durch die Keimkörnchen der Brutbecher fort und trotzt dabei der Winterkälte so gut, daß es schon an vielen Orten das Schuppenmoos völlig verdrängt hat. Es ist aber ein recht unwillkommener Gast in unsern Gärten, da es sich kaum ausrotten läßt und nicht nur Steine, sondern auch Beete und selbst kleinere Pflanzen überwuchert. P. K.     


Allerlei Kurzweil.

Magisches Tableau: Die Unzertrennlichen.


Kleiner Briefkasten.

C. Sch. in H. Die Anforderungen, welche Sie an ein Konversations-Lexikon stellen, gehen zu weit; ein solches kann über die mehr oder minder bedeutenden Tagesereignisse der allerjüngsten Vergangenheit naturgemäß keine Auskunft geben. Wollen Sie fortlaufend über diese orientirt sein oder sich im Besitze eines Hilfsbuches finden, welches Ihnen jederzeit eine schnelle Orientirung ermöglicht, so dürfte die Vierteljahrsschrift „Der Chronist“ (Leipzig, Karl Reißner), herausgegeben von Dr. Karl Siegen, Ihren Zwecken am ehesten entsprechen. „Der Chronist“ hat sich die Aufgabe gestellt, über alle irgendwie bedeutenderen Ereignisse sorgfältig Buch zu führen und durch die alphabetische Ordnung seiner Notizen ein schnelles Nachschlagen zu ermöglichen.


Inhalt: Unterm Birnbaum. Von Th. Fontane (Fortsetzung). S. 565. – Die hohe Rhön. Eine Reiseskizze von Dr. Taube (Leipzig). S. 568. Mit Illustrationen S. 569. – Neunzig Jahre gemeinnütziger Thätigkeit. Die Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde in Kiel. Von P. Chr. Hansen. S. 570. – Johann Dzierzon. Von C. j. H. Gravenhorst. Mit Portrait. S. 573. – Beobachtungsstationen der Vögel Deutschlands. S. 573. – Orientalische Sprüche. S. 574. – Unruhige Gäste. Ein Roman aus der Gesellschaft. Von Wilhelm Raabe (Fortsetzung). S. 575. – Um zehn Pfennig. Eine Hamburger Skizze von I. Frapan. S. 578. – Die Argischkirche und ihr Baumestier Manoli. S. 579. Mit Abbildung S. 565. – Blätter und Blüthen: Ein Münchener Biergarten. S. 580. Mit Illustration S. 577. – Eingekauft. S. 580. Mit Illustration S. 572. – Noch einmal „Frauen auf dem Lehrstuhle der Mathematik“. – Ein Mooskampf. – Allerlei Kurzweil: Magisches Tableau: Die Unzertrennlichen. – Kleiner Briefkasten. S. 580.


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_580.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2024)