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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

bei der Mittagspause hinter dicht belaubten Weinstöcken Schutz vor den brennenden Sonnenstrahlen, wie dies in dem Kometenjahr 1811 der Fall gewesen, wo „singend und jubelnd über den reichen Herbstsegen, in geschlossenen Reihen, geleitet von einem Fahnenträger und begleitet von Löhlsknechten und Buttenträgern, die Winzer und Winzerinnen in nettem nationalen Costüm zu und von der Arbeit zogen.“

Der Italiener läßt einen Theil seiner Trauben hängen, damit sie an der Rebe zu Rosinen eindorren, in Deutschland droht bei nasser Witterung die Gefahr, daß die Trauben faul werden und auslaufen. Aber trotz der günstigeren Umstünde, unter welchen der italienische Weinbauer arbeitet, ist doch der deutsche Wein weit besser als der italienische, der sich kaum ein Jahr zu halten vermag – einige Ausnahmen abgerechnet. Das hat aber nur darin seinen Grund, daß der Deutsche fleißig und der Italiener nachlässig ist, daß der Deutsche die Kunst der Weinbereitung gründlich versteht und der Italiener sich um die Veredelung der Gaben des Weinstockes nicht bekümmert.

So kam es auch, daß bei uns selbst die ungünstige Witterung ausgenützt wurde und die „faulen Trauben“ keinen Schrecken der Weinbergbesitzer mehr bilden. Es ist jetzt allgemein bekannt, daß auf die „Edelreife“ der Trauben die „Edelfäule“ derselben folgt, und daß gerade aus solchen edelfaulen Trauben die besten Weine gekeltert werden. Sehr alt ist allerdings diese Kenntniß nicht.

Nach der einen Angabe soll sie uns das Jahr 1811 gebracht haben. Damals kaufte die Weinfirma Mumm in Frankfurt am Main die Crescenz des Johannisberges von dem französischen Marschall Kellermann (Herzog von Valmy), dem Napoleon diese Weinberge „geschenkt“ hatte. Die Weinlese konnte wegen der Kriegswirren nicht rechtzeitig – nach den damaligen Begriffen – beginnen, und man sammelte faule Trauben, aus welchen zu nicht geringem Erstaunen der glücklichen Käufer ein so vorzüglicher Wein gekeltert wurde, daß der Erlös für denselben den Grund zu dem Reichthum der Firma gelegt hat.

Nach einer anderen Lesart soll die Edelfäule im Jahre 1822 als solche erkannt worden sein. Es gab in jenem Jahre nur wenig Trauben, und die Witterung war so „ungünstig“, daß die Edelfäule fast über Nacht eingetreten war.

Jacob Schlamp aus Nierstein berichtet darüber in seinem Büchlein „Die Weinjahre des 19. Jahrhunderts“[WS 1]: „An dem betreffenden verhängnißvollen Herbsttage, an einem Sonntag Nachmittag, befand ich mich in W…, hessische Pfalz, in einer Gesangprobe. Ohne daß man an den Herbst dachte, fingen plötzlich alle Glocken des bedeutenden Cantonortes zu läuten an. Man stürzte aus allen Häusern auf die Straße, da man den Ausbruch eines bedeutenden Feuers fürchtete. Großer Irrthum! Auf vielseitige Fragen: ‚Wo brennt’s?‘ erfolgte die überraschende Antwort: ‚Die Trauben in den Weinbergen laufen fort. Eilends hinaus, und helfe, wer helfen kann!‘ Alle Geschirre, Herbstgeräthe, die im Augenblick zur Hand waren, wurden ergriffen und hin eilte man in die Weinberge, um zu retten, was zu retten war. Von den wenigen Trauben, womit die Stöcke behangen, waren mehrere ausgelaufen, manche auch noch gefüllt, mit edelfauler Hülse umgeben, aber so mürbe, daß man sie mit bloßer Hand, ohne daß sie ausliefen, nicht abnehmen konnte. Eine gesunde Beere zum Essen war nirgends mehr zu finden. Man hatte solchen Herbst noch nicht erlebt. Manche Befürchtungen wurden laut: ‚Was wird aus dieser faulen Brühe werden?‘ Auch wurden die Ortsbehörden mit Vorwürfen überhäuft, die Nothwendigkeit des Herbstes nicht früher erkannt zu haben, um die Trauben noch im gesunden Zustande lesen zu können. Das außerordentlich günstige Ergebniß widerlegte jedoch die Befürchtungen und Vorwürfe gründlich. Niemand wollte je einen so edlen Tropfen gekostet haben; ‚wenn es nur mehr wäre!‘ war der allgemeine Wunsch.“

Auf Schloß Johannisberg, das in der Geschichte der Edelfäule eine hervorragende Rolle zu spielen scheint, soll sich Folgendes ereignet haben. Anno 1822 ging der Verwalter im September auf Reisen, noch lange nicht an das Einheimsen seiner Trauben denkend. Als er wiedergekommen war, lagen die Trauben unter der Schneedecke auf der Erde. Der Schnee war nicht von langer Dauer, und so ließ der Verwalter die edelfaulen Trauben auflesen und auf die Presse bringen. Ueber das Resultat dieser verspäteten Weinlese wird nun erzählt: „Auf dem Johannisberg wurden 1822 nur zwei Stück geherbstet. Davon wurde das eine, wahrscheinlich das sanftere und lieblichere, die Braut und das andere, das kräftigere und volle, der Bräutigam genannt. Die Braut wurde zu 15,000 und der Bräutigam zu 16,000 Gulden per Stück, zu 1200 Liter, verkauft.“

Und nun noch einige Worte über 1834, als dessen Jubilar wir den heurigen Wein begrüßen möchten. Jenes Weinjahr war groß an Quantität wie 1811 und an Qualität ausgezeichnet wie 1822. Der Herbst in den Weinbergen begann damals gegen Ende October und war von kaltem Regen und rauhen Tagen begleitet; die Edelfäule war daher allgemein und nur selten noch eine gesunde, eßbare Traube zu finden.

Nun, unsern deutschen Weinbauern wünschen wir von Herzen in diesem Jahre einen gleichen Erfolg, möge sich ihre Kelter mit gutem Naß füllen, die „alte Kelter“, die C. Weitbrecht also besingt:

„Im Frühjahr beim Schlehenbluscht – ha, ja! –
War der Maurer mit Hammer und Zweispitz da,
Hat hier geklopft und dort gepickt;
Aber die alte Kelter, die hält noch lang,
Der ist vor dem wildesten Wein nicht bang,
Wenn mir Sanct Urban was Rechtes schickt!

Und im Juni die Traubenblüth! – ei, mein!
Schon lang war der Neckar nicht mehr so klein,
Schier gingen die Schiff’ auf dem Sand –
Hat der Zimmermann über die Hitz’ geflucht,
Als er die Kelterbäum’ untersucht!
Doch jetzt ist alles im guten Stand.

Das Kelterstüblein weißelt man nicht:
Da steht an der Wand manch alte Geschicht,
Zahlen die Kreuz und die Quer,
Allerhand Jahrgäng’, gut und schlecht –
Na, ja, der Heurige, der wird recht!
Vetter, so denkt’s uns schon lang nicht mehr!

Am Montag that man ’s Geschirr heraus –
Jetzt, Wingertschütz[1], trag’ die Rätsch’ nach Haus!
Leser und Buttenträger, juh!
Käufer genug schon, so ist’s recht!
Morgen, da springen die Kellerknecht’ –
Jetzt, alte Kelter, ist’s aus mit der Ruh!“




Blätter und Blüthen.

Makart’s Atelier. (Hierzu Abbildung S. 725.) Makart’s künstlerische Begabung war, wie wir dies in der Biographie des Künstlers (vergleiche vorige Nummer) ausgeführt haben, eine vorwiegend decorative. Er war in Allem, was zur Decoration gehört, ein unvergleichlicher Meister. Der Festzug, den er der Stadt Wien geboten, war nicht weniger ein Kunstwerk, wie nur irgend eines seiner glanzvollsten Bilder, und mit voller Berechtigung läßt sich dasselbe, wie vom Festzuge, auch von der Einrichtung seiner Wohnung und seines Ateliers sagen. Das Atelier nun gar! Das ist ein wahres Wunderwerk von decorativer Pracht, gediegen und schön in allen Einzelheiten, überwältigend, hinreißend in der Gesammtwirkung. Der Ruf dieses mit unvergleichlichem Geschmack geschaffenen Kunstwerkes hatte sich bald so verbreitet, wie der irgend eines seiner großen Sensationsbilder, und es kam kein kunstverständiger Fremder nach Wien, der nicht Alles aufgeboten hätte, um in dieses Atelier zu gelangen, das zu einer der vornehmsten Merk- und Sehenswürdigkeiten der schönen Kaiserstadt an der Donau geworden war. Es ist wahr, es ist ein fürstlicher Luxus entfaltet in diesem Raume, aber man hat nicht den Eindruck des Kostbaren, sondern voll und uneingeschränkt und ungetrübt den des Schönen. Es mußte Jedem bedeutend leichter erscheinen, die Mittel, als den Geschmack für solche Pracht aufzubringen.

Das Makart’sche Atelier hat zwei Räume. Wenn man vom Garten des Gußhauses auf der Wieden, wo sich Makart’s Künstlerheim befindet, das Atelier betritt, so gelangt man erst in das kleine und, nachdem man dieses durchschritten, in das große, den eigentlichen Prachtraum. Makart hatte sich erst einige Jahre mit dem kleinen Atelier, das ebenfalls nach seinen Angaben und seinen Bedürfnissen entsprechend gebaut worden war, beholfen, als er aber daran gehen wollte, seine „Katharina Cornaro“ zu malen, erwies es sich als zu klein, und er ließ an das kleine nun das größere so anbauen, daß zwischen Beiden eine Verbindung verblieb. Diesen größeren Raum nun stattete er nach und nach zu dem aus, als was er allen entzückten Besuchern erscheinen mußte: als ein in die Wirklichkeit übersetzter berückender Künstlertraum.

  1. Wingert- (Weingarten-) schütz, der während der Dauer der Traubenreife bestellte Weinberghüter, welcher u. A. auch mit einer hölzernen Knarre (Rätsche) die Vögel aus den Weinbergen zu vertreiben hat.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Wiesbaden 1879 Google
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_730.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2022)