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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Goethe starrte zu Boden; er wußte recht gut, wer ihn hier los sein wollte, wer stets gegen ihn intriguirte. Dies aber war doch ein gewagtes Spiel. Wer konnte einen solchen Brief verfassen, so täuschend gemacht? Das war eine im Betrug geübte Hand! Da tauchte ihm plötzlich das feinste Gaunergesicht auf, das er je, wenn auch nur einmal flüchtig, neulich als Corona so sehr erschrak, in Tiefurt gesehen.

„Hat der Landgraf Adolf Ew. Durchlaucht nicht gesagt, daß der Wundermann Saint Germain ein besonderes Geschick besitze, jede Handschrift nachzuahmen?“

Der Herzog starrte ihn an: „Saint Germain? wie kommst Du auf den? Welchen Grund sollte er haben, mich mit Dir zu entzweien?“

„Dem im Trüben fischen zu wollen. In Kassel findet er keine dauernde Stellung, vielleicht möchte er meinen Platz einnehmen. Ich weiß, er hat sich all verschiedenen deutschen Höfen festzusetzen versucht.“

„Und wenn auch, vermag er den Brief in Deine Tasche zu zaubern?“

„Der Brief war nicht in meiner Tasche.“

„Woher kam er denn zu Göchhausen?“

Eine Pause folgte; endlich sprach Goethe gepreßt:

„Meine Partnerin Corona steht in Verbindung mit dem Grafen, wie wir wissen.“

„Ja, durch Kaufmann. Sollte sie auf sein Geheiß den Brief verloren haben? Komm, hin zu ihr!“

Goethe raffte den Brief auf, erklärte sich einverstanden und schritt mit dem Fürsten durch den dämmerigen Abend der Stadt zu. Schweigend, aber innerlich beschäftigt, kreuzten sie die Straßen und standen bald vor der Thür der Sängerin.

Minchen Probst öffnete auf ihr Anpochen das Wohnzimmer, ein Licht in der Hand, und lebhaft erschreckend, als sie die Herren sah.

„Corona ist krank vom Fest gekommen,“ sagte sie mit weinerlicher Stimme.

Aus dem Nebenzimmer hörte man ein krampfhaftes Schluchzen.

Der Herzog ließ sich nicht abweisen.

„Hier handelt es sich um höhere Rücksichten, gutes Kind, als die Schonung eines hysterischen Anfalls!“ sagte er barsch und trat mit dem Freunde ein. Er nahm das Licht aus des Mädchens Hand und ging den kläglichen Tönen nach; Goethe folgte.

Gleich darauf standen sie vor Corona, die noch im Gesellschaftskleide sich mit thränenüberströmtem Angesicht von einem kleinen Ruhebett ausrichtete. Sie starrte die Männer an und zuckte sichtlich zusammen, als sie Goethe gewahrte.

„Kennen Sie diesen Brief, Corona?“ fragte der Herzog und hielt ihr das zusammengefaltete Schreiben entgegen.

Die Sängerin verhüllte ihre Augen und begann auf’s Neue zu schluchzen.

„Das ist das Schuldbewußtsein!“ rief der Herzog triumphirend.

„Arme Corona! Was hat Sie dazu bewogen gegen mich so häßlich zu intriguiren?“ sprach Goethe milder.

Das schöne Mädchen rang die Hände:

„O, ich bin ein willenloses Werkzeug des Schrecklichen!“

„Saint German’s?“ rief der Herzog.

„Ja!“ hauchte Corona und verhüllte ihr Gesicht.

„Also doch!“

„Ich war davon überzeugt und freue mich, mein Fürst, daß Sie diese Warnung empfangen“

„Ist der Graf hier? Mit wem steckt er zusammen? Hat er Ihnen selbst das Schreiben gegeben?“

„Nein; Graf Görtz in seinem Auftrage. Mit diesem hält er zusammen.“

„Aha!“ rief der Herzog mit einer gewissen Schadenfreude; das war Jemand, den er erreichen und strafen konnte.

„Verzeihung! Gnade! Sie wissen nicht, wie elend ich bin, wie ich zu dem gezwungen wurde, was ich so ungern that!“ jammerte Corona, glitt vom Sopha herab auf ihre Kniee und hob flehend die Arme empor.

Sie sah in ihrer Erregung so schön aus, es freute den Herzog so sehr, den Druck von seinem Gemüthe abwerfen zu können den Freund gerechtfertigt finden, daß er der Flehenden gnädig die Hand reichte, sie sogar bat, sich zu beruhigen, er werde sich und ihr schon Frieden verschaffen vor dem Uebelthäter, werde schon auszuräumen wissen, sie solle, der so sichtlicher Reue, seiner und Goethe’s voller Vergebung gewiß sein

Nachdem sie Schonung und Verschwiegenheit gelobt hatten, gingen die beiden Freunde Arm in Arm davon.

Die Qual, aus einander gerissen zu werden, war ihnen vorahnend zu Theil geworden, deshalb empfanden sie wärmer denn je für einander.

„Die Schelme konnten leicht ihren Zweck erreichen,“ sagte der Herzog jetzt nachdenklich. „Ich war in meinem Sinn entschlossen, Dich nie wieder zu sehen, da Irrthum mir unmöglich schien. Als Du aber, vom Abendgold umflossen, über mir auf dem Altan standest und mich riefst, hörte alles Denken und Wollen auf, da mein Herz mich zu Dir riß!“

„Heil diesem edlen, die Wahrheit erkennenden Herzen!“ rief Goethe bewegt.

Dann überlegten sie gemeinschaftlich, wie die Lage zu klären, wie aufzuräumen und zu strafen sei.


27.

Der Herzog ließ am andern Morgen den Grafen Görtz zu sich bescheiden und nahm ihn scharf ins Gebet.

Karl August konnte in solchen Fällen schonungslos herb sein, und der Uebelthäter kam arg in’s Gedränge. Der Fürst sagte ihm gerade auf den Kopf, er habe den gefälschten Brief auf Goethes Spur geworfen und, nur um dies zu können, den auffälligen Schritt gethan, mit der Herzogin ihm gegenüber zu tanzen. Er habe ihn glauben machen wollen, daß Goethe der Herzogin bei dertour de main den Brief zuzustecken beabsichtigt.

Letztere Beschuldigung war richtig, die erstere nicht ganz und nur aus Schonung für Corona umgeformt.

Immerhin befand sich der Graf in einer großen Verlegenheit. Er kannte die Rücksichtslosigkeit seines jungen Gebieters, sein strenges Rechtsgefühl, das nicht mit sich markten ließ, und begriff, daß er nie wieder zu Gunst und Gnaden kommen werde.

Er wählte also ein in solchen Fällen beliebtes Mittel, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen; er spielte den Gekränkten und bat um seine Entlassung.

„Gehen Sie in des Teufels Namen sammt Ihren Helfershelfern, und je eher je lieber!“ rief der Herzog und verabschiedete seinen alten Mentor in vollem Zorne.

Goethe, der bei seinem guten Gewissen und der baldigen Aufklärung jener Intrigue nicht so tief berührt worden war wie der Herzog, versuchte den hohen, herzlich geliebten Freund zu beruhigen.

Er erinnerte daran, wie er ihn stets vor Saint Germain gewarnt, und beglückwünschte ihn zu der Krise, welche eine so gesunde Reaction hervorgerufen habe.

„Wir sind wie schwimmende Töpfe, die sich an einander stoßen“ sagte er, mit der ihm eigenen Ueberlegenheit sein Thema in reslectirender Weise behandelnd. „Und dem Menschen in seinem zerbrechlichen Kahn ist eben deshalb das Ruder der Einsicht in die Hand gegeben, damit er nicht der Willkür der Wellen sondern dem Wollen seiner Ueberlegung Folge leiste. Das ist jetzt geschehen, mein lieber gnädiger Herr, und somit können Sie sagen, daß Sie durch alle jene Erfahrungen einen Fortschritt. gemacht haben!“

„Ich glaube Dir, daß Saint Germain ein Betrüger und Erzschuft ist,“ sagte der Herzog lebhaft. „Wissen möchte ich aber doch, wie er es angefangen hat, mich in den Hörselberg zu führen, und wer seine Venus war! Letztere Frage könntest Du mir jetzt beantworten, da keine Gefahr mehr ist, daß er Macht über mich bekommt.“

„Wenn Sie Ihren Frieden mit der Herzogin geschlossen haben, oder wenn sonst eine Wendung eintritt! Und für jene erste Frage wird sich auch wohl noch die Antwort finden,“ erwiderte Goethe schelmisch ausweichend, sodaß Karl August sich, wenn auch murrend und widerstrebend, fügte.

Bei einer späteren Gelegenheit trug Goethe – mit einem heimlichen Lächeln - dem Herzoge die Bitte vor, den Heilgehülfen Johann Bernstein in Ilmenau als Wundarzt für die Bergknappenschaft anzustellen.

Er war mittlerweile in Ilmenau und bei Gretchen gewesen,

hatte genaue Einsicht von allen Verhältnissen genommen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_707.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2023)