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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Eine Wolke orientalischen Rosenduftes stieg aus dem fremdartigen Gewebe auf; aber sie vermochte nicht, ihm den klaren praktischen Sinn zu umnebeln.

„Darf ich um den ersten Walzer und den Cotillon bitten, gnädiges Fräulein?“ fragte er.

„Ich bedaure, ich tanze nicht,“ war die kühle Antwort.

Einen Augenblick sah er sie erstaunt an. Dann erwiderte er: „Ich verstehe; der Kothurn ist keine bequeme Ballchaussüre. Kann ich dann den Vorzug haben, Sie zu Tisch zu führen? Ich hoffe, daß Sie nicht auch sagen werden: Ich bedaure, ich esse nicht.“ Er ahmte ihre majestätische Bewegung der Hand nach, mit der sie ihn abgewiesen hatte.

Sie erröthete unwillig und fand doch keinen Ausweg. Sie mußte das Engagement annehmen.

„Wie werden Sie sich nun amüsiren, während wir tanzen?“ fragte Bartenstein.

„Das Wort ,amüsiren‘ kenne ich nur dem Klange, nicht dem Begriffe nach,“ wehrte Ereme ab.

„Dann geht es Ihnen mit dem Amüsiren wie mir mit dem Imponiren,“ entgegnete er gleichmüthig. „Mir imponirt nichts. Das Bizarrste können die Leute sagen und thun, ich weiß, es steckt darunter ein Mensch, wie wir Anderen auch sind, der im Grunde ebenso fühlt und ebenso denkt wie ich, wenn er sich auch ein noch so großartiges Air giebt.“

Bei diesen Worten öffneten sich vor ihnen die Flügelthüren, die in das Vorzimmer der Festräume führten, das gleich den übrigen von Gästen erfüllt war.

Als sie zwischen den beiden Bronzecandelabern des Eingangs erschienen, stockte einen Augenblick die Unterhaltung. Es trat jene Stille ein, welche das Erscheinen ausgezeichneter Personen begleitet.

Während dann der Hausherr die beiden Damen begrüßte und sie zu seiner Gemahlin geleitete, begann es in den Gruppen zu summen, und mit dem Aroma des Thees und dem Dufte der natürlichen Blumen, welche die Damen als Ballschmuck trugen, zog flüchtiger vorsichtiger Gesellschaftsklatsch durch die Räume.

„Seit wann kennt Herr von Bartenstein Fräulein Clusius?“ wandte sich „die deutsche Fahne“ verblüfft an Lieutenant Kronheim.

Miß Smith, welche ihr mattblondes Haar zu einem Knötchen zusammengedreht und mit silbernem Speer auf den Wirbel gesteckt hatte, schaute mit geöffneten Lippen ihn fragend an. Kronheim sah zwischen den beiden Damen durch mit dem concentrirten Blicke eines Mannes, der gewohnt ist, zwischen den Ohren eines directionslosen Pferdekopfes hindurch sein Ziel im Auge zu behalten.

„Er muß ihr schon lange vorgestellt sein; er grüßt immer nach ihrem Fenster, wenn er seine Schwadron vorüberführt. Kann ich die Ehre haben, Lancier mit Ihnen zu tanzen, gnädiges Fräulein?“ fragte er dann.

Die Miß überließ ihm die Tanzkarte, auf die er sich mit goldenem Griffel einschrieb.

„Welche sonderbare Toilette trägt Fräulein Clusius!“ moquirte sich die Frau des Bankiers, deren geblümter Kleiderstoff in kleine Falbeln zerschnitten nur halslose Blüthen und kopflose Stengel sehen ließ. „Sie sieht aus wie eine Odaliske. Das ist gar nicht modern.“

Sie war an die Unrechte gekommen: die Gattin des Professors, der Sanscrit las, erwiderte hochmüthig. „Wer einen alten berühmten Namen trägt, braucht nicht die neueste Mode zu tragen.“

Melanie stockte trotz ihrer Gewandtheit in der Unterhaltung, als sie Ereme und Bartenstein erblickte. Die Freundin hatte doch kaum noch den großartigen Entschluß gefaßt, von der Gesellschaft fern zu bleiben und den kühnen Verehrer in die Flucht zu schlagen. Nun machte sie es wie alle jungen Mädchen: sie benutzte die nächste Gelegenheit, um Ihm zu begegnen, und putzte sich Ihm so schön in die Augen, als es in ihren Kräften stand.

Da gesellte sich Elsa zu ihr wie zu einer Leidensgefährtin, stieß einen herzbrechenden Seufzer aus und klagte: „Da rückt ja Herr von Bartenstein gleich mit einer Dame ein, Nun ist mir mein neues rosaseidenes Kleid auch Wurscht.“

„Wurscht sagt keine Dame,“ rügte ihre Mutter, sich nach ihr umwendend.

Melanie aber erwiderte tröstend dem Backfischchen: „Wissen Sie, daß die junge Erlaucht, der Senior der Rhenanen vortanzt? Sehen Sie, da läßt er durch seinen Diener Sträußchen und Orden für den Cotillon in den Ballsaal tragen.“

Elsa’s Augen richteten sich neugierig auf die Blumen und Schleifen. Der junge Graf hatte den Blick bemerkt. Er suchte ein zierliches Rosenbouquet heraus, bot es Elsa und fragte: „Wollen Sie die Gnade haben, mir den Cotillon zu geben?“

Elsa knixte purpurroth und „viel zu tief“, wie ihr Vater hinter ihr brummte. Sie aber flüsterte vergnügt Melanie zu: „Nun bin ich doch froh, daß ich ein rosaseidenes Kleid habe.“

„Ein tadelloses Skelet,“ murmelte der Anatom, als Bartenstein grüßend an ihm vorüber durch die Gruppen schritt.

„Das kann Ihnen ganz gleichgültig sein, mein verehrter Herr Professor,“ lachte der Oberst. „Diese Knochen gehören dem König. Aber was hat Bartenstein sich da Apartes ausgesucht?“

„Das kann nun Ihnen gleichgültig sein, Herr Oberst,“ erwiderte ebenfalls lachend der Professor. „Die Dame gehört zur Universität. Sie könnte den Lehrstuhl der griechischen Sprache, Geschichte, Kunst besteigen, wann sie wollte.“

„Was Teufel! Stellen Sie mich ihr vor,“ ersuchte ihn der Oberst.

Wie auf ein Commando rückten die jungen Officiere ihm nach. Von Bartenstein vorgestellt, defilirten sie, nur ganz leise mit den Tanzsporen klirrend, an Ereme vorüber.

Die Tanzmusik begann, die Jugend eilte paarweise in den Saal, dessen Gardinen im leisen Abendwinde vor den geöffneten Fenstern wehten und dem letzten Schimmer des Tages gestatteten, sich mit dem hellen Gaslicht zu mischen.

Ereme richtete die Bitte an Melanie, sie den ihr noch unbekannten Damen vorzustellen.

Melanie hatte ihre Freude an der eigenartigen Erscheinung ihrer Freundin. Wie nüchtern erschien der Rahmen, in dem sie sich bewegte, so elegant auch die schön gemaserten Nußbaummöbel, die niedrigen, mit pensée Plüsch bezogenen und mit langen seidenen Fransen und QUasten garnirten Sesselchen waren; wie verwirrend berührten die beFalbelten und gepufften Toiletten der Damen das Auge neben ihrem schlichten Gewande; wie lächerlich wirkten die tiefen Knixe, bei denen die ganze Erscheinung in einer Versenkung zu verschwinden schien, neben ihrer edeln Neigung. Es gab also eine absolute Schönheit, die unabhängig war von Zeit und Raum.

Sie wandte sich an Bartenstein, der, statt zu tanzen, in der Thür stand, halb verdeckt von der Portière, und dem Vorgange unverwandt mit den Augen folgte, ob auch kein Blick von Ereme nach seiner Seite flog.

„Ist es meiner jungen Freundin zu verdenken,“ sagte sie, „wenn sie ihre Welt, die noch im letzten Abglanze, den sie wirft, so veredeln und verschönen kann, hoch über Alles schätzt?“

Bartenstein lachte. „Glauben Sie, daß sie ihre Schönheit und ihr apartes Wesen den Figuren mit zerbrochenen Nasen verdankt? Da müßten ja alle die gelehrten Herren so aussehen, die griechisch verstehen.“

Ein später Gast brach sich zu Melanie Bahn: Doctor Gerhard. „Ihre Bemerkung neulich über die Verwechselung der Gefühle hat mich zu einer neuen Abhandlung angeregt,“ begann er eifrig die Conversation. „Doch beschäftigt mich weniger der Liebehaß, als der Unterschied zwischen Liebe und Freundschaft.“

„Den finde ich riesig,“ lachte Bartenstein.

„Ich auch,“ antwortete Gerhard, mißgestimmt durch dieses Lachen. „Der Naturzweck fällt ja bei der Freundschaft gänzlich weg. Dennoch giebt es Fälle, welche die einfache Sache complicirt machen, und bei denen man sich an die Symptome halten muß, um die Natur der Empfindung zu ergründen. Zu diesen gehört, daß die Liebe nicht auf einem Punkte stehen bleibt, sondern sich steigert oder erlischt, während Freundschaft jahrelang denselben Wärmegrad behalten kann. Liebe ist eben eine acute Krankheit, Freundschaft ein chronisches Leiden.“

Bartenstein lachte hell auf und ging davon, hinter Ereme her in den nächsten Salon.

Melanie schüttelte leise den Kopf. „Nun sehen Sie wieder das schöne Gefühl der Freundschaft unter dem Bilde eines Leidens.“

„Diese Dinge bereiten uns auch große Qualen,“ seufzte Doctor Gerhard, „bevor wir uns über ihre Begriffe ganz klar werden. Dann wird uns aber auch so wohl, wie mir in diesem Augenblicke ist. Darf ich Ihnen meinen Arm bieten? Die Gesellschaft geht zu Tische.“

Die Tanzmusik schwieg.

(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_672.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)