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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

kam so wenig zu Ende wie die Weberei der Penelope. Der kleine vergoldete Fingerhut rollte unbeachtet zu Boden, und wie sie finster mit der blinkenden Scheere spielte, schien auf der Stirn sich der Gedanke zu spiegeln: könnte ich doch, gleich der strengen Parze, alle Fäden abschneiden, die verwirrend sich um mich spinnen!

Da dröhnte kriegerische Musik zu ihr herauf, als blase Kalliope selbst mit vollen Wangen einen Kriegsgesang auf ihrer Drommete.

Sie fuhr erschreckt empor und schaute hinaus. Sie sah gerade in die gespannt an ihren Fenstern hängenden Augen Bartensteins, der seine Schwadron vorüberführte und jetzt, den Säbel senkend, heraufgrüßte mit einem Blick des Dankes dafür, daß sie auf das Signal wie gerufen sich zeigte, und mit einem Lächeln, das ihrer Bereitwilligkeit zu spotten schien.

Sie mußte wohl oder übel seinen Gruß erwidern, wenn sie auch die Brauen finster zusammenzog.

Zitternd vor Zorn über diesen neuen Ueberfall schaute sie der lanzenstarrenden Schlange, die sich die Straße hinabwand, nach, ohne darauf zu achten, daß die folgenden jungen Officiere lächelnd und erstaunt herauflugten nach der schönen jungen Dame in dem phantastischen Jäckchen, von dem sie nicht wußten, ob es ihnen imponirte, oder ob sie sich darüber moquiren sollten.

Als Ereme sich in das Zimmer zurückwandte, stand die Frau Doctor mit bedenklichem Gesicht vor ihr. „Fensterparaden würde ich an Deiner Stelle nicht annehmen, Eremechen,“ warnte die alte Dame liebevoll.

Ereme errötete und erwiderte entrüstet: „Es ist unerhört. Nachdem ich ihm meine Mißachtung so unverhüllt gezeigt habe, nimmt er eine Miene an, als sei mein ehrlicher Zorn eine fröhliche Neckerei. Ich werde ihn studiren müssen, um seine Achillesferse zu entdecken.“

Die Tante sah sie mit äußerstem Erstaunen an. „Du willst ihn studiren? Das überlege Dir reiflich. Ein Mann ist kein Buch, das sich nicht wehren kann. Bedenke das Wort: Wer sich in Gefahr begiebt, kommt darin um.“

Nun traf auch die Tante ein düsterer Blick, vor welchem sie sich mit ihrem Schlüsselbund in das sichere Versteck der Vorrathskammern flüchtete.

Ereme wandte sich den Spitzen wieder zu; aber die Finger zitterten so, daß sie die feine Nadel nicht mehr zu halten vermochten.

Es war, als hätte sich Alles gegen sie verschworen. Selbst die Natur schien im Bunde gegen sie zu sein. Die wundervolle Johanniszeit, die sie zum ersten Mal seit Jahren wieder zu Hause verlebte, übte ihren Zauber aus. Mit Rosen bekränzt zogen die Stunden auf und schienen bunte Falter aus den Aermeln zu schütteln.

Es war eher eine Zeit zum Träumen als zum Kämpfen, das sagte sich Ereme, als sie an einem der warmen Sommerabende unter den Oelbäumen ihres Gartens saß.

Blättersäuseln und Wassermurmeln, fernes Grillengezirp und traumhafter Vogelgesang klang zu einem leisen Accord zusammen, dessen Grundton das ferne Brausen des Eichwaldes bildete. Ueber den Bergen zogen schwere Wolken hin, in denen es von Zeit zu Zeit hell aufleuchtete. Das Gewitter war fern; nur die Luft kam auf feuchten Schwingen heran, nur gedämpft rollte der Donner über den Eichen.

Warum konnte das einlullende Lied der warmen Sommernacht nicht auch ihr den Frieden geben, in dem Alles rundum sich wiegte? Warum mußte sie der mächtigeren Stimme in ihrem Innern lauschen, die ihr beim Anblick der zackigen Blitze die Worte des Aeschylos zuraunte: „Des Mannes allzu kecken frechen Geist, wer schildert den? Eher das Flammenmeteor, das hoch im Aether sproßt.“

Da tönte in das ferne Donnern und das nahe Geplätscher ein leiser weit herkommender Hall, kaum vernehmbar zuerst, aber gleichmäßig, scharf das Geflüster der Nacht durchschneidend; immer näher dann, immer lauter, immer schärfer. Dort jenseit der Gartenmauer tauchte wie ein Schatten ein schlanker Reiter auf und glitt vorüber.

Und wie sie genau wußte, wer der Reiter war, so hatte auch er ihre Gestalt unter den Bäumen erkannt; sie sah, wie er die weiß behandschuhte Rechte zum Gruße erhob. Und wie dann das schmale Gesicht, das hell aus der Dunkelheit sich abhob, ihr zugewendet blieb, während das Pferd ihn rasch vorüber trug, meinte sie den Blick zu fühlen, der durch die nächtliche Dämmerung zu ihr drang, und der sie zwang, ihm mit den Augen zu folgen.

Athemlos lauschend verharrte sie, bis der letzte Hufschlag geisterhaft in dem Gesäusel der Nachtluft verklungen war.

Dann war es auf einmal, als erwache sie. War sie denn eine so sclavische Natur, daß sie immer wieder dem Willen dieses frevelmüthigen Tyrannen sich fügte? Sie reckte sich hoch auf und schritt, stolz sich abwendend, in das Haus hinein.

Warum hatte sie das nicht vorhin gethan, da er noch in ihrem Gesichtskreis war? Ja, warum?


Zu einem Zusammentreffen bot sich für das junge Paar in der Saison morte wenig Gelegenheit.

Nur der Rector Magnificus kam seinen Verpflichtungen gegen die an ihn empfohlenen Studirenden durch einen Thé dansant nach.

Auch auf Ereme’s Pfeilertischchen lag eine Einladungskarte. Unschlüssig stand sie davor. Es war ihr fester Entschluß gewesen, derartige Feste nicht wieder zu besuchen; aber es zog sie Etwas unwiderstehlich hin, obgleich sie wußte, daß sie das ganze Officiercorps der Ulanen dort treffen werde. Sie erklärte es sich damit, daß ihr Gefühl den Besuch des Festes, das die höchste Person der Universität gab, wie die Erfüllung einer Standespflicht von ihr heischte. Sie sagte zu.

Eine gewisse Genugthuung spiegelte sich in ihren Zügen, als sie einen aus Griechenland mitgebrachten orientalischen Stoff seinem Carton entnahm und entfaltete. Es war ein weißes durchsichtiges Gewebe, von seidigen Blumen und Goldfäden in zartem Gerank durchzogen. Die Schneiderin empfing gemessene Befehle, das Untergewand nicht durch kleinliches Gekrause zu entstellen und den Ueberwurf als Peplos zu arbeiten.

Dann öffnete sie die kleine mit Elfenbein ausgelegte Truhe in der Bibliothek, welche die kostbarsten Stücke ihrer Sammlung enthielt, und wählte eine Haarspange von mattem Gold aus, deren schlichte antike Form nur ein tadelloses Profil wagen konnte. Und so ernst auch der Grundton ihrer Stimmung war, zeigte sie sich doch ganz erfinderisch darin, die Flechten und Locken so zu ordnen, daß der Kopfschmuck anspruchslos und hoheitsvoll zugleich aussah. Ein Perlenhalsband hatte ihr Vater ihr geschenkt im Gedenken an seine erhabene Schutzpatronin Pallas Athene, die mit solchem Halsschmuck abgebildet wurde. Es mußte harmonisch zu der Toilette stimmen.

Sie brauchte viel Zeit an dem Festabend, ehe sie damit fertig wurde, sich zu schmücken.

Die Wagen rollten schon lange, welche die Officiere und Professoren zu dem Feste brachten; im eleganten Coupé fuhr der berühmte Operateur und in der Miethskutsche der große Kanzelredner vorüber, und Ereme brachte immer noch eine kleine Verschönerung an. Die Tante, die, mit grauseidenem Kleid und Blondenhaube angethan, in ihrer Stube harrte, und der alte Diener, der, in seiner hechtgrauen Livrée mit silbernen Litzen einem Bücherwurm gleichend, an der geöffneten Wagenthür stand, wurden auf eine starke Geduldsprobe gestellt.

Die Damen Clusius fuhren als die letzten in das gastlich geöffnete Thor ein. Die teppichbelegte Treppe stieg kein Gast mehr empor.

Aber als der Diener die Wagenthür öffnete, trat aus dem Schatten des Treppenpfeilers Bartenstein mit tiefer Verneigung hervor.

„Militärische Pünktlichkeit, gnädiges Fräulein,“ rief er, nachdem er der Tante beim Aussteigen Ritterdienste geleistet hatte, „ist auch eine Tugend, die Sie sich noch aneignen müssen. Um acht Uhr sollte angetreten werden; jetzt wird gleich Retraite geblasen.“

Er bot ihr die Hand; aber sie neigte dankend das Haupt und schritt, ohne dieselbe zu berühren, an ihm vorüber.

Es schlug ihn nicht darnieder. „So steigt Pallas von ihrem Piedestal herab,“ sagte er, indem er den Blick bewundermd an ihre Gestalt heftete. „Und ich muß ihr bei der Kritik das Lob ertheilen, daß sie mit der Toilette ausgezeichnet zu kämpfen versteht.“ Unentwegt geleitete er sie die Treppe hinauf und trug ihr ritterlich das bunte persische Seidentuch nach, dessen Echtheit der türkische Stempel und die strickartig gedrehten, mit Seidenflöckchen durchflochtenen Fransen bezeugten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_671.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)