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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Und doch durfte trotz dieser außerordentlich sorgfältigen und soliden Uferbefestigung unser allzu mächtiger „Schwan“ nur ganz langsam fahren.

Angesichts der Stadt Amsterdam, welche wir gegen zwei Uhr Nachmittags erblickten, kam uns ein reich beflaggter Hafendampfer entgegen, und schon auf eine ziemliche Entfernung trat eine eigenthümliche Wechselwirkung zwischen diesem Dampfer und dem unsrigen ein. Unser Reisegefährte, Herr Kindermann, hatte einen photographischen Apparat an Bord, und während er mittelst desselben ein Momentbild von dem Amsterdamer Schiffe aufnahm, bemerkten unsere scharfblickenden Seeleute auch auf diesem einen photographischen Apparat, welcher beschäftigt war, unseren „Schwan“ aufzunehmen. Erst als wir uns „bephotographirt“ hatten, begrüßten wir uns. Es waren nämlich an Bord des Hafendampfers, von welchem uns die unsererseits mit endlosem Jubel aufgenommene „Wacht am Rhein“ entgegentönte, der erste Bürgermeister der Stadt, Herr van Tienhofen, ein Gelehrter, ein Verwaltungsgenie ersten Ranges und ein „finished gentleman“, der Stadtrath Ankersmit und der Vorstand der Alterthumsgesellschaft, an dessen Spitze Herr E. Schöffer steht, in welchem ich später den Sohn eines Freundes und Collegen kennen lernte.

Dienstmädchen in Amsterdam

Sein Vater Conrad Heinrich Schöffer war nämlich während der siebenziger Jahre gleichzeitig mit mir Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. Dieser, der Vater, war in Gelnhausen in weiland Kurhessen geboren, hatte dann in Amsterdam, wo er zu gleich als Consul der freien Stadt Frankfurt am Main fungirte, ein Menschenalter lang an der Spitze eines großen Geschäftes gestanden, das er seinem Sohne übergab, um sich in der Nähe seiner Vaterstadt ein Tusculum zu errichten, wo er seit 1865 den Rest seiner Tage in gemeinnützigem Wirken zubrachte. So findet man überall Beziehungen und Bekannte, und jeden Tag findet jenes kühne Wort des Columbus Bestätigung: „El mondo e poco“, das ist: die Erde ist klein und wird durch Herstellung allseitigen Zusammenhanges immer kleiner.

Schon ehe unser „Schwan“ an dem „Anleeg-Plaatsen“, der nach dem berühmten niederländischen Seehelden benannten „Ruyter Kade“, angelegt hatte, befand sich in der Hand eines Jeden von uns ein zugleich als Passepartout, oder wie es in dem sich der romanischen Fremdworte viel weniger bedienenden Holländisch heißt, als „Algemeen Toegangs-Bewijs“ (allgemeiner Zugangs- oder Zulassungs-Nachweis) dienender Führer, welchen wir der (sich stets der praktischsten Mittel bedienenden) Liebenswürdigkeit des „Königlichen Alterthums-Vereins in Amsterdam“ verdankten. Der Führer bestand in einem Plan (Plattegrond) Amsterdams, das heißt des neuesten gegenwärtigen Amsterdam, wie sich solches gestaltet hat durch Herstellung einer Art Insel zwischen den verschiedenen Docks und dem Ueberreste des „Y“, auf welcher mit dem Festland durch geeignete Zugänge verbundenen Insel sich die Centralstation der Eisenbahnen befindet und die Aufgabe einer in einander greifenden Verbindung der Eisen- und der Wasserstraße, der Dampfkraft zu Wasser und zu Land, der Dampfschiffe und der Locomotiven, in der glücklichsten Weise gelöst wird. Freilich kam es mir, der ich die Stadt seit einem Menschenalter kenne, vor, als habe der Anblick der Stadt von der See aus dadurch etwas gelitten. Darauf kann es nun aber freilich nicht ankommen, wo es sich um die höchsten Cultur- und Handelsinteressen handelt. Der Führer bestand sodann zweitens aus einem Verzeichnisse dessen, was uns unsere niederländischen Freunde „anzubieten“ oder zur Verfügung zu stellen die Gewogenheit hatten.

Wir haben an den zwei Tagen ein großes und genußreiches Programm ordnungsmäßig erledigt. Die Begrüßung auf dem Rathhause durch den Herrn Bürgermeister van Tienhofen war herzlich, kurz und deutlich. Ausführlicher sprach er auf dem Bankett, beide Male in formell vollendeter deutscher Sprache. Die erste Begrüßung fand auf dem Rathhause statt, wo wir zugleich Gelegenheit hatten, die prachtvollen Bilder von Fr. Bol (die Vorsteher des Leprosen-Hauses über die Aufnahme eines aussätzigen Knaben entscheidend) und das Schützenbild des Franz Hals, zu bewundern.

Im Zoologischen Garten ergötzten wir uns an der guten Musik und an dem „Aquarium“, dem schönsten, reichsten und bestgepflegten, das ich jemals gesehen, wobei ich auch die europäischen Millionenstädte nicht ausnehme. Unsere liebenswürdigen holländischen Wirthe widerlegten mit Worten und Thaten die alberne Mär, daß in Holland ein fanatischer Haß gegen Deutschland herrsche. Sie fuhren uns zu Land und zu Wasser durch alle Partien der hochinteressanten und durch und durch originellen Stadt. Die Wasserpartie allerdings verregnete am ersten Tage recht gründlich.

Ich glaube, ich habe eine vollständige Anschauung der Stadt in ihren sehr verschiedenen Bestandtheilen und in ihren Eigenschaften, Eigenheiten und Eigenthümlichkeiten gewonnen, will mir aber die Darstellung für das nächste Capitel versparen, worin ich eine Vergleichung mit Antwerpen, der belgischen Handelsmetropole, zu versuchen gedenke.

Der Seitencanal, welchen unsere Zeichnung darstellt, bildet den schärfsten Gegensatz zu den vornehmen, stillen und reichen äußeren Grachten, zu welchen er sich verhält, wie der Canal Piccolo in Venedig zu dem Canal Grande und seinen prachtvollen Palästen.

Für heute mögen ein paar Momentbilder von der Straße der Charakteristik der Stadt als Vorläufer dienen. Da ist ein Mädchen aus Nordholland mit seiner eigenthümlichen Kopftracht, den Metallbuckeln an den Schläfen, welche in seltsamen großen Spiralen auslaufen; und hier ein frisches blondes Dienstmädchen mit Wangen wie Milch und Blut, den Haushaltkorb an der Rechten und den widerstrebenden Jungen an der Linken, Wirthschafterin und Kindermädchen in Einem. Das einfache geblümte Kleid und die untadelhaft weiße Schürze erhalten ein unangenehmes Gegengewicht in den colossalen Holzschuhen, die hier der dienenden Classe eigenthümlich; der Soldat im Hintergrund in seinem Regenmantel, die Kinnkette unter der Nase, ist gerade nicht sehr martialisch. Aber reinlichkeitsliebend ist auch er; denn er hat sich bei dem Regenwetter die Hosen aufgekrempelt, um sie vor Schmutz zu bewahren.

Der Gipfel aller unserer geselligen Vergnügungen war das uns gegebene Diner in dem prachtvollen, elektrisch erleuchteten Saal von Krasnapolskij. Auch die Damen unserer freundlichen Wirthe erwiesen uns die Ehre, daran Theil zu nehmen. Leider reicht weder der Zeichenstift noch die Feder aus, ein solches Fest zu beschreiben. Es wird in eines jeden daran Betheiligten Erinnerung leben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_663.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2022)