Seite:Die Gartenlaube (1884) 658.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Melanie lächelte. „Auch ich bin oft über den modernen Verkehrston betroffen; denn in meiner Jugend wählte man unter den Worten bis zur Ziererei. Jetzt wird das Pathos gänzlich vermieden. Seit ein etwas derber Humor unserem Heer im Kriege beigestanden hat, ist demselben als Nationalbelohnung ein festes Heim in unserem Volk zu Theil geworden.“

„Ich habe nur den wohlfeilen Tageswitz herausgehört, mit dem eine untergeordnete Natur sich aushilft,“ widersprach Ereme.

„Sie unterschätzen ihn,“ warnte Melanie nachdrücklich. „Gerade weil er eine bevorzugte Persönlichkeit ist, überschreitet er mit souverainer Machtvollkommenheit die herkömmlichen Formen.“

„Das mag den Damen seiner Kreise gegenüber angemessen sein, die den engen Horizont der Gesellschaft haben,“ entgegnete Ereme. „Aber er soll sich hüten, mit seiner Keckheit an Persönlichkeiten sich zu wagen, deren hohen Culturstandpunkt er offenbar gar nicht begreift; sonst wird er ebenfalls mit souverainer Machtvollkommenheit zurückgewiesen werden. Ich für mein Theil,“ setzte sie nachlässig hinzu, „werde dafür sorgen, daß der tollkühne Ulan mich nicht wieder mit seinen Trivialitäten über die wahre Stellung der Frau behelligen kann, und es wird mir eine Freude sein, ihm klar zu machen, daß auch seinem starken Willen nicht Alles erreichbar ist.“

In diesem Augenblick wurden im Hause Stimmen laut, Sporen klirrten. Die Frau Doctor begrüßte sich mit einem Herrn.

Ereme und Melanie erstarrten zu Bildsäulen. Dann begann Melanie zu lachen. Die Thür öffnete sich und zeigte ein lebendes Bild.

Die Tante knixte artig vor Bartenstein, indem sie mit der einen Hand ihn zum Eintreten aufforderte, mit der andern, welche einen zierlichen Schaumbesen hielt, entschuldigend nach der Küche winkte.

Bartenstein, die Czapka in der Hand, stand in ehrerbietiger Haltung vor ihr und trat dann sporenklirrend über die Schwelle, während die Tante, sich zurückziehend, hinter ihm die Thür zudrückte.

Funkelnd vor Uebermuth verbeugte er sich vor den beiden Damen, indem er Ereme fragte: „Meine Gnädigste, ich weiß nicht, wie der Gruß der Griechen lautete?“

Vollständig aus der Fassung gebracht durch diesen Ueberfall geschah es ihr, daß sie Auskunft gab: „Freude sei mit Dir.“

„Ich danke, gleichfalls,“ erwiderte er lachend. „Ich konnte mir nicht versagen, nach dem gestrigen für mich so interessanten Spaziergang Ihnen einen Besuch zu machen, und ich hoffe, nicht hinausgeworfen zu werden, da die Gastfreundschaft den alten Griechen heilig war.“

Ereme deutete mit einer ihrer großen langsamen Bewegungen auf den hochlehnigen Sessel neben Melanie. Doch vermochte sie nicht ein leises Zittern der Fingerspitzen zu bemeistern und sein an dieselben sich heftender Blick bewies, daß er es wohl bemerkt hatte.

(Fortsetzung folgt.)

Ueber künstliche Beleuchtung im Hause.

Von Professor Dr. Hermann Cohn in Breslau.

Je großartigere und ungeahntere Fortschritte die moderne Technik des Beleuchtungswesens macht, desto mehr ist die Frage des Publicums berechtigt: Welche Beleuchtungsart sollen wir in unserem Hause einführen? Bei welcher Art läuft unser Auge die geringste Gefahr? Die Antwort ist nicht ganz leicht zu geben.

Daß ein allzu helles Licht das Auge blendet, ist bekannt; das Sehen in elektrisches Bogenlicht, in die Sonne, in den Blitz, auf große Schneeflächen ruft Zerstörungen in der Netzhaut des Auges hervor, die häufig ganz unheilbar sind; auch haben alle Augenärzte die Beobachtung gemacht, daß Handwerker, welche viel der Einwirkung von blendendem Lichte ausgesetzt sind, z. B. Heizer, Glasbläser, Schmiede, oft an Entzündung oder Vertrocknung der Sehnerven leiden. Um so starke Lichtquellen handelt es sich aber bei unserer Zimmerbeleuchtung niemals. Allein wir können auch bei den schwächeren Beleuchtungen in unseren Wohnungen einen allgemeinen Lehrsatz anwenden, den wir der täglichen Beobachtung des Tageslichtes entnehmen. Jedermann weiß, daß das zerstreute (diffuse) Tageslicht niemals blendet, weil eben die Lichtquelle selbst dem Auge entzogen ist. So müssen wir auch die künstliche Lichtquelle dem Auge entziehen und nur das diffuse Licht, welches von ihr ausgeht, in’s Auge gelangen lassen; alsdann wird von Blendung nie die Rede sein. Da man aber die Flamme im Zimmer dem Auge nicht vollkommen entrücken kann, wird man bei allen Lichtquellen, bei Gas, Petroleum, selbst bei Glühlicht immer Glocken anwenden müssen, sei es aus mattem Glase, aus Milchglas oder aus Porcellan etc.

Diese Glocken nehmen allerdings sehr viel Licht; Hartley in London hat gefunden , daß die gewöhnlichen Milchglaskugeln 33 bis 60% Licht entziehen, ein matter Lampenteller sogar über 60%. Die Lichtmessungen[1] betreffs dieses Punktes waren bisher complicirt. Vor Kurzem aber hat der Professor Leonhard Weber in Breslau ein überaus sinnreiches Instrument erfunden, welches das Ausführen dieser Messungen ungemein erleichtert, und mit Hülfe dieses Weber’schen Photometers hoffe ich den Werth der verschiedenen Reflectoren von Blech, Glas, Porcellan etc. für die einzelnen Beleuchtungsarten ermitteln und in einem späteren Artikel mittheilen zu können. Bis jetzt kann man nur rathen, einen Schirm oder Reflector so zu wählen, daß die größte Lichtmenge durch denselben nach unten auf das Buch oder die Arbeit geworfen wird, während die Flamme selbst dem Auge möglichst entzogen bleibt. –

Viel wichtiger als die Frage der Blendung ist jedoch bei unserer künstlichen Beleuchtung die Frage: Welchen Schaden erfährt das Auge durch zu geringe Beleuchtung?

Das Gesetz, nach welchem die Sehschärfe von der Lichtintensität abhängt, kennen wir noch nicht mit voller Sicherheit. Unumstößlich fest steht nur, daß bei Abnahme der Beleuchtung die Sehschärfe beträchtlich sinkt, ferner daß bei Kurzsichtigen die Sehschärfe bei schlechter Beleuchtung viel schneller abnimmt, als bei Normalsichtigen, und daß ein Gleiches in höherem Alter beobachtet ist.

Wenn aber die Sehschärfe abnimmt, müssen wir uns den Gegenständen, um sie zu erkennen, noch mehr nähern, und gerade diese dauernde Annäherung birgt ernste Gefahr für das Auge. Beim Naheblick muß sich nämlich ein Muskel im Auge zusammen ziehen, der sogenannte Accommodationsmuskel; dabei zerrt er die Aderhaut nach vorn und gestattet der Krystalllinse, die für den Naheblick nothwendige stärkere Krümmung anzunehmen.

Das Wesentlichste beim Naheblick ist also ein Muskelzug; dieser aber bewirkt eine Erhöhung des Druckes im Inneren des Augapfels und leistet einer Dehnung der hinteren Theile der Augenhäute Vorschub. Zugleich wird die Aderhaut gezerrt, der Kopf vornübergebeugt, und so werden, wenn das Nahesehen längere Zeit fortgesetzt wird, Reizungszustände herbeigeführt, die sehr wohl geeignet sind, ein normales Auge kurzsichtig und ein kurzsichtiges noch kurzsichtiger zu machen.

Alle Augenärzte sind darin einig, daß anhaltendes Nahesehen, besonders bei ungenügender Beleuchtung, ein die Myopie (Kurzsichtigkeit) im höchsten Grade begünstigendes Moment ist.

Der statistische Nachweis wurde schon vor 18 Jahren von mir an mehr als 10,000 Schulkindern geführt, daß die Myopie namentlich in den höheren Schulen außerordentlich verbreitet ist, daß sie dort stets von Classe zu Classe immer mehr Kinder ergreift, und daß auch der durchschnittliche Grad der Kurzsichtigkeit von Classe zu Classe zunimmt. Meine Beobachtungen sind seitdem bei mehr als 50,000 Schülern in anderen Städten von den besten Forschern bestätigt worden, und ich konnte in der hygieinischen Ausstellung zu Berlin im vorigen Jahre ein graphisches Tableau vorführen, das allein aus 9400 Beobachtungen in 24 deutschen Gymnasien gestützt folgendes erschreckende Resultat zeigte: „Durchschnittlich sind in Sexta 22%, in Quinta 27, in Quarta 36, in Tertia 46, in Secunda 55 und in Prima 58% Schüler kurzsichtig!“

Alle Unterrichtsbehörden sind vor Kurzem von dem Herrn Minister von Goßler aufgefordert worden, ähnliche Untersuchungen anstellen zu lassen, deren Details von der wissenschaftlichen Prüfungsdeputation in Berlin vorgeschlagen werden sollen. Wenn wir also mit Freude und Dank anerkennen, daß die Staatsbehörden jetzt aller Orten, ganz besonders im Elsaß, in Hessen

  1. Vergl. den Artikel über das „Messen des Lichts“ in Nr. 4 d. Jahrg.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_658.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)