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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Orts. Ihr Lieblingsaufenthalt war das noch jetzt nach ihr benannte Paulinen-Wäldchen, welches, im Nordwesten der Stadt auf den zur Wurm abfallende Höhen gelegen, einen weiten Blick in die wirklich entzückende Landschaft gewährte und mit seinen lauschigen Eichen- und Buchenhallen zur Rast in sommerlicher Zeit einlud. Gern ließ sie dort ihren Wagen halten und stieg aus, um, an den Waldrand gelagert, das bunte Farbenbild zu ihren Füßen, das wellige, von Soers und Wurm durchschlängelte Feld, die thurmreiche Stadt, umgrenzt von waldreichen Höhen, zu betrachten. Es ging ja überhaupt ein warmer Zug für die Natur durch jene widerspruchsvolle Zeit.

In’s Studium vertieft.
Nach dem Oelgemälde von M. Lebling.

Im Jahre 1809, als Pauline wieder einen Sommer in Aachen zubrachte, war der aalglatte, gewandte Ladoucette Präfect des Roerdepartements, und ihm gelang es, wie keinem Anderen, die einflußreiche Frau in Aachen zu fesseln. Nicht das unwirksamste Mittel dazu war sein Geschick, in der heiteren, leichtgläubigen Prinzessin den Wahn zu erwecken, als werde sie ganz besonders hier im Lande geliebt und verehrt, und sein erfinderischer Geist war in dieser Richtung rastlos thätig.

Potemkin zeigte ja einst seiner durch die verarmte Gaue Rußlands reisenden Kaiserin blühende Dörfer und in diesen Dörfern ein Feste feierndes „glückliches Landvolk“ – aber die Dörfer waren bekanntlich von Pappe und das „glückliche Landvolk“ von Ort zu Ort versetzte Schauspieler –. Herr Ladoucette bildete sich nach gutem Muster …

Wenn die Prinzessin in ihrem lieben Wäldchen weilte, dann kamen wohl oft festtäglich geschmückte Kinder aus den umliegenden Dörfern und Gehöften und brachten Waldblumenbouquets, auch Erdbeeren in zierliche Binsenkörbchen, oder ein paar niedliche Bauernmädchen erschienen, um unter Blumenspenden die „angebetete“ Fürstin glückwünschend zu begrüßen – lauter Ladoucette’sche Puppen à la Potemkin.

Aber die „liebe Prinzessin“ freute sich so sehr darüber – etwas Sentimentalität geht ja so oft Hand in Hand mit etwas viel Leichtsinn – und sie sprach dem Präfecten ihr Entzücken aus, daß ihr dies Plätzchen doch so lieb sei vor allen. Das rief in dem gewandten Höfling einen Gedanken wach – Stimmungen von Damen sind oft nicht von langer Dauer –, die Paulinen-Wäldchenlaune war heute bei der Gnädigen so recht in Blüthe – das mußte ausgenutzt werden!

Wie wär’s, wenn an dieser Stelle, wo die Prinzessin so gern weilte, sich über Nacht ein Etwas hinzaubern ließe, was neuen Reiz in sich schlösse? Doch was? Und schnell muß so etwas geschehen! Wo etwas zweckentsprechendes Fertiges finden? – Herr Ladoucette lächelt – er hat’s gefunden! Bei einer neulichen Revision der städtischen Bauten hat der Herr Präfect im „Grashause“ eine wohlerhaltene schwarze Granitsäule liegen sehen – wenn man die herbrächte? Etwas Politur, etwas Inschrift darauf und dann den Glauben erweckt, das „treue Volk“ habe der „verehrten“ Prinzessin diese Aufmerksamkeit bereitet – das wird Effect machen bei der erregbaren Napoleonidin – gewiß –! Charmante Idee! – – Im „Grashause“ arbeiten in der folgenden Nacht bei Laternenschein die Steinmetze, da wird gehämmert und geglättet, Wagen werden beladen und rollen dumpf über das Pflaster. Durch das Sandkantthor, welches dem vorgezeigten Passirscheine des Präfecten sich öffnet, ziehen die Fuhren in nordwestlicher Richtung davon.

Seltsam, wie nächsten Tags (durch den Präfecten geschickt dirigirt) bei dem ganzen Hofe der Prinzessin die „Wäldchen“-schwärmerei grassirt! Die Kammerfrauen, die Friseuse, die Hofdamen – Alle finden es entsetzlich schwül in der Stadt – welch kostbar erfrischende Luft war doch gestern da oben! Bei Tafel fächelt der ganze weibliche Hof – der Präfect weht sich Kühlung mit dem Taschentuch – eine Ausfahrt, Waldschatten – Hoheit stimmen zu – en route! – – – Sind da Feenhände thätig gewesen? Haben die Heinzelmännchen gearbeitet?

Auf der Prinzessin Lieblingsplatz erhebt sich eine einfache schwarze Granitsäule, sie trägt in goldenen Lettern die Inschrift:

„A la vertu de la princesse“.

Laubgewinde umgeben den Stein, und eben kommen ein paar von den „niedlichen“ Kleinen aus dem Walde gehuscht und streuen Blüthen von Buschrosen und Anemonen auf den Sockel – entzückend!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_576.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2024)