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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 34.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Herrin von Arholt.
Novelle von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


9.

Als Raban am Morgen des folgenden Tages über den Ring schritt, um sich in die Vorstadt, in Melber's Atelier zu begeben, begegnete er hier einmal wieder seinem alten Bekannten Graf Kostitz. In seine Gedanken vertieft, erkannte er ihn nicht gleich, aber Graf Kostitz hielt ihn auf.

„Sie sehen ja furchtbar niedergeschlagen aus, Mureck, und erkennen Ihre Freunde nicht mehr. Erfüllt Sie so die Sehnsucht nach der Entflohenen?“

„Entflohenen – welcher Entflohenen?“ versetzte Raban befremdet.

„Nun, Ihrer Flamme, der schönen Leni.“

„Die ist entflohen – mit ihrem Vetter nach Ungarn?“

„So arg ist’s nicht,“ gab Graf Kostitz lachend zur Antwort; „Sie lassen Ihre Phantasie ja sofort wie ein Pußtapferd galoppiren! So arg nicht! Nach Steiermark – mit den Ihrigen.“

„Leni ist mit den Ihren nach Steiermark gereist?“

„Ja, und das wissen Sie nicht einmal? Auf ihr Gut, zum Sommeraufenthalt.“

„Ah – und wann?“

„Gestern – nachdem vorgestern der große Bazar stattgefunden, auf welchem Sie durch Abwesenheit geglänzt haben.“

„In der That!“ sagte Raban mit einem tiefen Seufzer, aber einem solchen der Erleichterung.

„Und nun – werden Sie den Ulrich von Liechtenstein machen und als irrender Ritter ihr nachziehen in das schöne grüne Land?“

„O,“ entgegnete lächelnd Raban, „man braucht nicht gleich irrender Ritter zu werden; ich ziehe es vor, hier in Wien zu bleiben. Auf Wiedersehen!“

Er schritt, bewegt von der erhaltenen Botschaft, weiter. Es lag etwas tröstlich Befreiendes in dieser Nachricht. Sein Ausbleiben auf dem Bazar war, so schien es, als etwas Entscheidendes betrachtet worden. Man war gegangen, ohne ihm eine Kunde davon zukommen zu lassen – das sprach nun deutlich genug – es war die beste diplomatische Art einer Lösung, um die er sich mit schwerfälligerer Natur gesorgt hatte. Die Sorge war überflüssig gewesen!

Ob Marie nun auch dazu sprechen würde: es thut mir leid – ihr verhängnißvolles „das thut mir leid“, das Raban von vorn herein so außer sich gebracht?

Er fand Wolfgang Melber ruhig bei seiner Arbeit. Im Vorraum punktirte der ältere Arbeitsgenosse Wolfgang’s an dem Marmor herum, aus welchem die Büste Mariens herausgemeißelt werden sollte; in dem innern Raume knetete und strich Wolfgang, eine Cigarre zwischen den Zähnen, an der Gewandung eines Grabstein-Engels. Mariens Modellirstuhl stand verhüllt in den Winkel geschoben.

„Sie werden,“ sagte Wolfgang, als Raban eingetreten war und ihn begrüßt hatte, „Sie werden das Fräulein“ – er betonte immer eigenthümlich, fast wie ironisch, wenn er, ‚das Fräulein‘ sagte – „heute wohl nicht finden. Sie ist gestern nicht gekommen und wird auch wohl heute nicht zur Arbeit antreten. Sie hat immer so Zeiten, wo sie nicht auftaucht – nach Frauenzimmerart, bei denen alles stoßweise geht. Heut Feuer und Flamme für ihr Werk – und morgen ist ihr eine alte Frau, die eine Kellertreppe hinuntergestürzt ist, interessanter.“

Raban schwieg darauf; nachdem er sich gesetzt und eine Weile Wolfgang’s Thätigkeit mit anscheinendem Interesse zugesehen hatte, sagte er, so unbefangen als möglich:

„Ist das Fräulein nicht ein wenig Ihre Verwandte?“

Wolfgang streifte ihn mit einem flüchtigen prüfenden Blick.

„Freilich. Ein wenig meine Verwandte ist sie allerdings. Hat sie’s Ihnen gesagt?“

„Nicht sie. Aber Sie wissen – wir haben dieselbe Heimath. Und dort hat man mir gesagt, daß der Vater des Fräuleins Marie Tholenstein so hieß, wie Sie sich nennen.“

„Nun ja,“ entgegnete Wolfgang, zurücktretend, um seine Arbeit ein wenig aus der Entfernung zu betrachten, „so wie ich, Melber, hieß er in der That; er war meines Vaters Bruder und ein curioser Hansl von einem Menschen. Er hielt sich für den ersten Heldenspieler der Welt, und wenn die Welt ihn als solchen nicht anerkannte, so war das nur eine ganz infame Intrigue, die ihn nicht aufkommen ließ, weil er mit einem adligen Fräulein durchgegangen war. Alle Höfe und Potentaten Europas hatten die Hände in dieser Intrigue, und alle Theater ihre geheimen

Instructionen von oben her wider ihn bekommen. Und so stahl er denn dem lieben Herrgott den Tag ab, hatte den Edelmuth, keinem ‚Mimen seine Kränze‘ zu beneiden, weil er viel schönere

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