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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

verlasse, könne man ihm sicheres Geleit versprechen, sein und der Seinen Leben schützen. So mußte Meißner’s Vater als Flüchtling von Haus und Hof sein Eigen um Schleuderpreise verkaufen, in reifen Jahren sich in Karlsbad einen ganz neuen Wirkungskreis suchen, weil er sich nicht dazu hatte hergeben wollen, eine Krankheit^ wegzulügen, die nach späteren amtlichen Berichten in Böhmen allein in zwei Jahren von einer Bevölkerung von damals vier Millionen über 23,000 Einwohner getödtet, über 63,000 auf das Krankenlager geworfen hat!

Meißner’s Eltern scheinen in den ersten Jahren ihres Karlsbader Aufenthaltes unter schweren Sorgen gelitten zu haben. Dem geliebten einzigen Kinde wollten sie den Anblick ihres Kummers ersparen. Deshalb ward der Knabe auf das Gymnasium der Piaristen zu Schlackenwerth (etwa zwei Stunden von Karlsbad) gebracht und in das Haus des dortigen Regens Chori Herrn Hessenteufel in Pension gegeben. Alle Noth des Lebens hat der arme Knabe dort an seiner Umgebung und an sich selbst erfahren. Der Pensionsherr hatte eben nur drei- bis vierhundert Gulden Gehalt, und seine schon zahlreiche Familie vermehrte sich jährlich um ein Glied. Da gab es Kartoffeln und Klöße in angenehmer Abwechselung das ganze Jahr, Fleisch sehr selten. Einmal Schweinebraten! Aber um welchen Preis! Erst Jahre später ward Meißner sich darüber klar. Ein durchreisender deutscher Fürst hatte Gefallen gefunden an dem bildschönen, gutherzigen Dienstmädchen des armen Hessenteufel und sie mit sich an seinen Hof genommen, nachdem Herr Hessenteufel seine entrüstete Einsprache aufgegeben.

Zu Weihnachten 1832 durfte Alfred zum ersten Mal wieder in das Vaterhaus in Karlsbad seine Schritte lenken. Die Knappheit der elterlichen Verhältnisse konnte auch dem kindlichen Auge nicht entgehen. Auf dem Gabentisch unter dem Weihnachtsbaum lag ihm ein einziges Geschenk. Aber ein köstliches: „Schiller’s Werke“ in einem Band, die Cotta’sche Ausgabe von 1830 mit dem Stich des Schiller-Kopfes nach Dannecker’s Marmorbild. Der gute Vater hatte auf dem ersten Blatt ein längeres Gedicht eingeschrieben, aus dem wir nur die eine Strophe geben, die deutlich sagt, was sein Herz bewegte:

„Nichts ist mehr, wie es gewesen,
Nichts wie Du gewohnt es bist,
Und Geschenke, auserlesen,
Bringt nicht mehr der heil’ge Christ.“

Nach drei langen, bangen Jahren ward Alfred Meißner endlich aus Schlackenwerth erlöst, als die Eltern im October 1835 beschlossen, die Wintermonate in Prag zuzubringen. Der Knabe ward in das Altstädter Gymnasinm versetzt und athmete auf unter den freieren Verhältnissen, die sich hier boten. Zum ersten Mal schloß er innige Freundschaft, namentlich mit dem Classengenossen Moritz Hartmann. Das Weihnachtsgeschenk von 1832 fesselte ihn täglich mehr durch die Wunder und Hoheit seines Gehaltes. Die „Ilias“ Homer’s übte ihren unvergleichlichen Zauber, nicht minder aber die wunderbare uralte Stadt. In den höheren Classen beseligten Byron, Grabbe, Grillparzer die Mußestunden der jungen Leute, und mancher eigene Ritt ward auf dem Pegasus unternommen. Gleichwohl ward auch das Ziel der Schule in rechter Zeit gewonnen, nur Moritz Hartmann fiel durch, um fortan als – Erzieher in den Häusern von Wiener Geldaristokraten ein behagliches schöngeistiges Leben zu führen, dessen warmen Abglanz seine Briefe dem Freunde in Prag vermittelten.

Meißner aber studirte, wohl mehr nach dem Willen des Vaters, als aus eigenem Drang, in Prag Medicin bis an’s Ende. Eine Fülle bedeutendster Namen der Heilkunst zierte damals die böhmische Hochschule. Hyrtl, Redtenbacher und vor allen Oppolzer. Ihren wissenschaftlichen Verdiensten, ihren menschlichen Vorzügen hat Meißner in dem vorliegenden Werke das schönste Denkmal pietätvoll errichtet.

In diesen Jahren flammt in dem Jüngling der heiße Strahl der ersten Liebe auf – zu einer Polin, der einzigen Tochter einer armen adligen Wittwe, die ihre letzten Mittel daran wendet, den erloschenen Glanz der alten Familie noch einmal leuchten zu lassen. Trauriger als die Geschichte dieser ersten Liebe unseres Dichters ist keine, welche diese Blätter erzählen. Ihr Verlauf kann hier nur angedeutet werden. Ueber manches Capitel dieser Erinnerungen ist sie verstreut. Eben sind die jungen Leute sich ihrer Liebe klar geworden, als die Baronin sie trennt, die Tochter in unbekannte Ferne entführt. Jahre vergehen, da entdeckt Meißner in Karlsbad durch einen Zufall den Aufenthalt der Geliebten. Sie hat die Mutter verloren, lebt in Paris, Straße und Hausnummer werden notirt. Wieder vergehen Jahre – wir greifen unserer Erzählung vor, um diese Episode im Zusammenhang zu geben – zum ersten Mal kommt Meißner nach Paris. Sein erster Gang ist zu Celeste. In wunderlichem Negligé öffnet sie selbst die Thür und erkennt ihn. Sie ist allein, in eleganten Räumen. Auf alle seine Fragen antwortet ihm nur ein Thränenstrom. Ungestüm drängt sie ihn wieder hinaus, ihn, „ihren ersten, einzigen Jugendfreund“. Keine Brücke kann ihn mehr hinüberführen zu der Verlorenen. Ihr Versprechen ihm zu schreiben, zu erklären, wagt sie nicht zu erfüllen. So bleibt sie ihm verschollen. Heil dem Manne, der nach solchem Herzensschicksal sich unausrottbaren Idealismus zu wahren verstand und nicht, wie der lachende Wiener Zauberpossendichter Ferdinand Raimund sagt: „Ich habe von den Menschen stets das Schlechteste gedacht, auch von mir seldst, und habe mich nie getäuscht.“

Und doch ist es keinem Geschlechte so schwer gemacht worden, an die idealen Güter und Züge unseres Volkes zu glauben, als den jungen warmen Herzen, die in der Mitternachtssonne des Metternich’schen Staates zu Jahren kamen!

Gegenwart und Zukunft hatte das officielle Oesterreich in Bande geschlagen. Nur die unschädliche Vergangenheit war freigegeben. In die ruhmreiche Vergangenheit des glaubensfreien, ungebrochenen Böhmerlandes, wie es in den Tagen des Johann Huß, vor der Schlacht am weißen Berge gewesen, tauchte Meißner’s Blick. Sein „Ziska“ gewann Farbe und Leben! Tausendjährige Vergangenheit redete von den alten Bauwerken der Stadt zu dem Studenten der Medicin, der nahe vor dem Examen im Garten beim Spital sein Heldengedicht niederschrieb. Vorher schon war ein Band „Gedichte“ Meißner’s bei Philipp Reclam in Leipzig erschienen und günstig angenommen worden. Honorar hatte Reclam natürlich nicht gezahlt. Gedichte wurden damals nicht für Honorar gemacht, jedenfalls zahlte der Buchhändler keins. Der Erfolg ermuthigte zur Vollendung des großen Epos, drängte zum Abschluß der Universitätsstudien. Am 2. Juli 1846 promovirte Meißner feierlich im großen Karolinsaal zu Prag als Doctor der Medicin. Ernst und nachdenklich blickte von der Wand das Bild des Großvaters, des weiland Prager Professors der schönen Wissenschaften August Gottlieb Meißner, auf den Enkel. „Thränen traten mir in’s Auge,“ erzählt Meißner, „als Professor Oppolzer, den ich wie ein höheres Wesen verehrte, mich in seine Arme schloß. Und nun war Alles vorbei, die Trompeter auf der Estrade bliesen ihre uralte traditionelle Fanfare.“

Ja, es war Alles vorbei, und zwar bereits, ehe der medicinische Doctorhut errungen war, zunächst die Illusion, als könne und werde der junge Doctor je den Beruf des Arztes ausüben. Alfred Meißner fühlte sich „die Stahlnerven versagt, ein ernstes Duell mit dem Tode zu führen“. Nun mußte das Schwerste gethan sein: der gute Vater mußte erfahren, daß der Sohn nie dem Alternden im Berufe beistehen, nie die neue schöne Karlsbader Praxis des Vaters übernehmen werde. Die Wahrhaftigkeit des Sohnes gestaltete den Kampf noch härter. Denn nicht blos Unlust und Ungeschick zum ärztlichen Beruf machte der Sohn für seine Weigerung geltend, sondern noch nachdrücklicher sein ausschließliches Interesse für poetisches Schaffen, seinen Dichterberuf. Als Thorheit, Trotz und Verblendung ward dieser Entschluß vom Vater gescholten; selbst die Drohung, für immer die Hand vom Sohn abzuziehen, kam aus diesem gütigen Mund. Vergebens! Der Sohn fühlte sich dadurch nur in dem Entschlusse gestählt, seinen „Ziska“ baldigst zu vollenden und erscheinen zu lassen.

Sowie die Dichtung dem Abschluß nahe war, begab sich Meißner nach Leipzig. Denn wehe dem Dichter so ketzerischer, politischer und religiöser Freiheitslieder, wie sie „Ziska“ enthielt, wenn er innerhalb der schwarzgelben Grenzpfähle zu greifen gewesen wäre! Zudem ließ sich mit dem Verleger leichter persönlich unterhandeln, und auch der Zwiespalt mit dem Vater heilte wohl aus der Ferne besser.

(Schluß folgt.)

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