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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

uns, dessen kleine ahornumschattete Kirche. Westlich, thalauswärts, liegt ein sonniges Landschaftsbild, das Wallgau, darüber die matterhornartige Zimbaspitze und das Massiv der Scesaplana (Hintergrund des Bildes); thaleinwärts sieht man gegen den Arlberg zu, rechts liegt der Kalteberg (2900 Meter); dessen östlicher Fuß in Tirol steht; rechts und links von den himmelanstrebenden Felswänden stürzen schöne Wasserfälle zu Thal, der Latonser und der Fallbach. Den Anblick des Westportales des Arlbergtunnels bei Langen hat der Stift unseres Künstlers nicht festgehalten, und wenn wir die zwei folgenden Bilder, Stuben und St. Christoph in Natura sehen wollen, müßten wir die Bahn in Langen verlassen, denn wir unterfahren sie „durch den Berg“ in etwa fünfundzwanzig Minuten, um gleich am Ostportale, in St. Anton, Tiroler Boden zu betreten, während wir nach Stuben eine, bis St. Christoph weitere zwei und bis St. Anton noch eine Stunde zu gehen hätten, der Postwagen aber diese steilste Strecke der Straße nicht unter drei Stunden hinter sich bringen könnte. Diese ohnehin einsamen Hochgebirgsorte, das 1400 Meter hohe, lawinenbedrohte Stuben mit seinen niedrigen, kleinfensterigen Häuschen, und das auf der Paßhöhe gelegene Weghospiz St. Christoph, eine Stiftung des armen Heinrich, des Findelkindes, werden von nun an noch weltverlassener dastehen, wenn nicht, wie es auch am Gotthard geschieht, zur Sommerszeit Touristen den fröhlichen Wanderstab der finsteren Tunnelfahrt vorziehen. Um so besser, daß sie Meister Püttner durch seine Illustration der künftigen Vergessenheit zu entreißen versucht hat, und auch dafür sind wir ihm dankbar, daß er das Gleiche mit Langen gethan (vergl. S. 544). Vor vier Jahren noch ein stiller Weiler von fünf niedrigen Bauernhäusern, wuchs es während des Tunnelbaues zu einer Arbeiterstadt heran, die Einen fast „californisch^ anmuthete, das heißt wie die Blockhausstädte der Goldgräber jenes Landstriches; denn eine vorübergehende Unterkunft für Bauleitung, Turbinenanlagen (zu Tunnel-Bohrarbeit) und für etwa 2500 Arbeiter aus aller Herren Ländern und deren mannigfaltige Bedürfnisse war in dieser Einöde zu schaffen.

Viaduct bei Landeck.

Diese Blockhausstadt mit ihren vielsprachigen Aufschriften, ihrer lärmenden Bevölkerung, überragt vom provisorischen Unternehmerpalast, mit allen den kolossalen Turbinenhäusern, Ventilationsanlagen und Werkstätten wird in wenigen Monaten verschwunden sein, menschenleer ist sie heute schon. St. Anton, das Ostportal des Arlbergtunnels, bot nie dieses bunte Bild, weil dort die Gegend ohnehin häuserreicher und daher die Anlage einer eigenen Arbeiterstadt nicht nothwendig war. Bis zur Station Flirsch übersetzt die Bahn dreimal die aus der finsteren waldreichen Ferwallschlucht hervorbrausende Rosanna und bleibt dann bis nach Innsbruck auf der rechten, südlichen Thalseite; vorerst auch wieder hoch über dem Thale, welches sammt der am jenseitigen Ufer laufenden Poststraße in rascher Senkung absteigt, während die Bahn, in vielfachen Schleifen den Ausbuchtungen des Gebirgsstockes sich anschmiegend, erst bei Landeck die Thalsohle wiederfindet. Die Aussicht dieser Strecke geht ostwärts gegen das Innthal, namentlich auf die steilen Zinnen der nördlichen Kalkalpenkette, welche dieses vom obern Lechthale trennen; eine Fülle von Wasserstürzen erfreut das Auge, dann sehen wir vor uns plötzlich eine schöne Burgruine (Wiesberg), auf die wir scheinbar in der Luft zuschweben. Wir rollen nämlich auf dem 240 Meter langen Viaduct über die tief unter uns aus dem Paznaunerthale hervorbrechende Trisanna, diese grausige Thalschlucht überfliegend. Die Eisenbrücke selbst ruht auf zweien in die Seitenlehnen der 90 Meter tiefen Schlucht eingegründeten, je 50 Meter hohen Quaderpfeilern, und hat eine Stützweite von 120 Metern; sie gilt als das schönste, kühnste und schwierigste Bauwerk der ganzen Strecke; unser Künstler hat sie in der Anfangsvignette unter seine Bilder aufgenommen. Wer in das langgestreckte gletscherreiche Paznaunerthal will (Jamthaler-Ferner, Fluchthorn, Fimberpaß in’s Engadin), muß auf dieser Station die Bahn verlassen. Diese selbst gewährt angenehme Ausblicke auf die jenseitige sonnige, mit freundlichen Dörfchen und reichlichen Korn- und Maisfeldern besetzte Steilhalde des Trisannathales, um dann auf einer nicht minder interessanten Eisenbrücke, deren Spannwerk nach abwärts geht, unterhalb Landeck den aus Süd kommenden Innfluß zu übersetzen und in den ebenso zierlichen, als für das Publicum bequem eingerichteten Landecker Bahnhof einzumünden.

Die geradezu zauberische Lage des etwas weit abseits bleibenden Ortes Landeck an der Mündung der Innschlucht mit guterhaltener Burg auf steilem Felsen und einem schönen gothischen Kirchthurme sichert ihm einen regen Fremdenverkehr, denn von hier zweigt sich die Poststraße nach Finstermünz, in’s Engadin (Schuls- Tarasp), in’s Vintschgau, zum Stilfserjoch (Ortlergruppe) und nach Meran ab.

Die Bahn Landeck-Innsbruck ist schon im Jahre 1883 als Theilstrecke der Arlbergbahn eröffnet worden und dem Reisepublicum daher nicht mehr so fremd, als der eigentliche Arlbergdurchschlag. Von der Strecke bis Imst hat Meister Püttner uns zwei reizende eigenartige Bilder gebracht: die auf hohem Felskegel aufragende Veste Kronburg, die wir am Fuße unterfahren, und den Tschürgant. Es ist dieser letztere die Westspitze eines hohen Gebirgszuges, den wir später als breite Felsenmauer zu unserer Linken haben, wenn wir von Imst nach Silz hinab rollen. So wie er sich im Bilde zeigt, als ein echter „Pik“, präsentirt er sich schon auf der Poststraße oberhalb Pians und dann später von der Bahn aus unterhalb Kronburg. Bevor wir in das breiter werdende Innthal mit seinen schönen Dörfern und den spitzigen, schlanken Kirchthürmen eintreten, müssen wir noch durch eine enge Schlucht, in

welcher hart am reißenden Innstrom und am Ausgange des Pitzthales

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_543.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2020)