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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Einsamkeit eines Waldpfades mit einander allein waren und wo nichts des Herzens, freie Sprache hinderte.

„Und nun –,“ so schloß Karl August, sein ehrliches Bekenntniß – „nun komme ich zu Dir, um einen gesunden Athemzug zu thun, des Grimms ledig zu werden Und mich mit mir selber zurecht zu finden. O, warum sind doch zwei so verschiedene Naturen an einander gekettet!“

„Und die Fürstin ist so verehrungswürdig,“ sagte Goethe mild. „Mitleidig sehe ich sie auf ihrer einsamen Höhe; ohne Talente, ohne Wirksamkeit auf Andere, abgeschlossen, schwerlebig, aber rein und klar wie Bergwasser.“

„Und ebenso unangreiflich, unter den Händen kühl verrinnend. Man kann ebenso gut Wasser mit der Scheere schneiden, wie Eindruck auf diese Natur machen! Dagegen das arme Ding, die Milli! Ein immerwährendes Schillern, Reizen, Ausweichen und Entgegenkommen; ein Spielzeug in lustig wechselnden Formen. Sie war mir nicht so werth wie Du, ich habe sie kaum recht lieb gehabt, aber sie wird mir in jeder Gesellschaft fehlen, und mein Herz kommt mir leer vor, wie ein ausgeblasenes Ei.“

„Könnte man doch in dasselbe die rechtmäßige Bewohnerin, Dein Weib, triumphirend hinein führen! Fände sich doch eine Hülfe, Euren Mißklang zur Harmonie zu lösen! Aber Alles bleibt bei der Herzogin in verschlossener Knospe. Das Zugeschlossene schließt Alle zu, das Offene öffnet, vorzüglich wenn Hoheit in Beiden wohnt. Trotz Allem ist Luise ein Engel!“

„Ho ho!“ rief der Herzog und sah den Freund scharf an.

„Das war ein starker Ausdruck! Gehst Du zur feindlichen Partei über?“


18.

Der Herbst kam. Es war beschlossen, in Tiefurt ein Erntefest zu begehen; der ganze Hofkreis sollte – zu einer ländlichen Maskerade ausstaffirt – dort erscheinen und sich in ungebundener Weise ergötzen. Das kleine Kammergut Tiefurt, an beiden Ufern der Ilm gelegen, gehörte der Herzogin-Mutter, die hier dem Prinzen Konstantin mit Knebel seinen Wohnsitz angewiesen hatte, aber selbst oft auf Wochen mit Thusnelda draußen war. Sie ließ dann nach ihrem Sinn arbeiten und bessern und die Umgebung mehr und mehr verschönern. Wieland, der hier oft bei seiner Gönnerin weilte, nannte den Park einen so holden Zauber, daß er ihn gegen das allerbrillanteste Stück der Feenwelt nicht vertauschen möchte!

Das Schlößchen, eigentlich nur ein zweistöckiges Wohnhaus mit fünf Fenstern in der Front und einem Wirthschaftsgebäude, wurde von prächtigen Kastanien beschattet; wilder Wein deckte das Nebengebäude und die Mauer, welche den Oekonomiehof absonderte. Unten wohnte Knebel mit seinem Prinzen und einem Kammerdiener. Auf der andern Seite des Flurs lagen ein paar Gastzimmer, von denen das beste vorwiegend für den Herzog bestimmt war. Oben befanden sich die Gemächer der Herzogin, der Göchhausen und einige Gesellschaftsräume.

Die Herzogin Luise hatte zu dem heutigen Feste mit ihrem Hofstaat absagen lassen; nur Henriette von Wöllwarth, die dienstfreie Hofdame, durfte erscheinen. Luise hielt sich seit jener unerfreulichen Berührung mit ihrem Gemahl, unter dem Vorwande in Trauer zu sein, streng abgeschlossen und brütete in Trostlosigkeit über der fürchterlichen Bitterniß jenes Bekenntnisses Karl August’s: der Neigung für die Verstorbene. Luisens reine Natur konnte darüber nicht hinauskommen; sie nahm die übermüthige Knabenlaune ihres Gatten für ebenso heiligen Ernst, wie solcher ihr ganzes Empfinden beseelte, und zog sich tief verletzt immer mehr von ihm und in sich selbst zurück.

Die Herzogin Amalie war recht erleichtert, daß Luise mit ihrem Hofpersonal ihr harmlos lustiges Fest nicht stören werde. Es hatte zwei Uhr geschlagen, um drei erwartete man die Gäste aus Weimar. Alles war vorbereitet, und die Herzogin ging in ihr Schlafzimmers um Toilette zu machen. Die Göchhausen stieg mit ihr die Treppe hinan, da ihr kleines Gemach nicht weit von dem der Herzogin lag.

„Komm mit zu mir herein, Thusnelda,“ sagte Amalie, „Du wirst immer noch fertig.“

Das Hoffräulein trat mit in das Zimmer der Herrin. Demoiselle Kotzbue, die hübsche Kammerfrau der Herzogin, hielt deren ländlichen Putz bereit. Während sie ihr den Puder aus dem Haar bürstete, dasselbe mit rothen Bändern in zwei starke Zöpfe flocht und sie stattlich als Wirthin und Pachtersfrau herausstaffirte, plauderte die Herzogin mit der Vertrauten.

„Deine Schulzin schläft diese Nacht natürlich im Wirthschaftshause,“ sagte sie zunächst zu der Göchhausen. „So leid mir’s thut, Kotzebue,“ fuhr sie dann fort, „Sie müssen auch dahin; wir brauchen hier jedes Winkelchen für die Gesellschaft. Ihre Kammer wird Damengarderobe. Für den Herzog, für Goethe, Wieland, Einsiedel und Steins sind unten die Zimmer fertig, sie bleiben ein paar Tage hier.“

Thusnelda Göchhausen schlüpfte in ihr Gemach, wo die Schulzin sie eilig in ein drolliges kleines Bauernmädchen umwandelte.

Der Herzog, Constantin, Goethe, Wieland und Einsiedel hatten sich, in ihrem ländlichen Putze einander belachend und neckend, schon auf dem Rasenplatze vor dem Hause eingefunden.

„Solch eine Maskerade bei hellem Tage, im Sonnenscheine, zwischen grünen Bäumen und anderen Wirklichkeiten, ist ein Götterspaß!“ rief der Herzog mit jugendlicher Heiterkeit. „Nie sah ich einen würdigeren Erbonkel, als hier unsern liebwerthesten Gevatter Wieland. Ein gediegeneres Prachtstück von einem Dorfältesten kann man sich nicht denken!“ fügte er, den Hofrath halb umarmend, hinzu. „Und unser süßer Constantin sieht aus, als wolle er, von seiner Lina angelächelt, ein weiß Lämmlein am Seidenbande auf die elysische Weide von Camillenblumen und Rosenblättern führen!“

Der schlanke Prinz schnitt ein Gesicht und wandte sich ab, ihm war es so durchaus Ernst mit seiner sentimentalen Gemüthslage. Er empfand tiefer als der burschikose ältere Bruder und trachtete voll heiliger Scheu darnach, die lebhaften Regungen seines jungen Herzens zu verhüllen.

Mittlerweile fuhren die ersten Wagen der Stadtgäste in der Allee herauf, und zugleich trat Anna Amalia mit der Göchhausen, Herrn und Frau von Stein und Knebel, Alle in ländlichem Putz, vor die Thür. Die beiden Steins sollten Hofknecht und Magd vorstellen, die Göchhausen war Kleinmädchen – wie sie selbst sagte: Kükenlise –, Knebel aber galt für den Hausherrn und Pachter und spielte eine recht würdige Figur mit seinem breitschößigen Rocke und den rothen Tragbändern auf weißem Hemde.

Die Gäste, welche mit ihren Rollen und dem Festprogramm vertraut waren, fuhren unter Winken und freudigen Zurufen am Schlosse vorbei auf den Pachthof, wo jeder Wagen mit Musik empfangen wurde. Ihnen schlossen sich einzelne Gefährte an, die Gäste brachten, welche am Erntezuge nicht betheiligt waren.

Wieland hatte sich mit zu den Hausgenossen gesellt, während der Herzog, Constantin, Goethe und Einsiedel, durch ein Mauerpförtchen nach dem Wirthschaftshofe schlüpfend, dort die Ankömmlinge begrüßten und ihren Festzug ordneten.

Es währte nicht lange, so war Alles bereit. Blasend schritten einige Dorfmusikanten voran, denen der ganze Aufzug folgte. Zuerst kam der mit vier Pferden bespannte Erntewagen, auf dem Auguste von Kalb und Henriette von Wöllwarth mit dem Erntekranze saßen; bunte Bänder flatterten und Blumengewinde hingen von oben herunter. Auf dem vordersten Sattelpferde ritt der Herzog als erster, auf dem andern Goethe als zweiter Fahrknecht. Mit Rechen, Sicheln, Garben, grünumwundenen Schäferstäben, Netzen, Körben und anderen Geräthen folgte nun eine erlesene Schaar jugendlicher Theilnehmer; Alle in ländlich buntem Anzuge, phantastisch herausgeputzt.

Man nahm Aufstellung; während die Musik ein lustiges Stückchen blies, stiegen die Reiter ab, halfen den beiden Mädchen vom Wagen und trugen den Erntekranz zu dem Herrn und der Herrin. Es folgte ein Anreden- und Antwortenspiel, welches, von Hildehrand von Einsiedel verfaßt, munter von den Betheiligten vorgetragen, Sinn und Zweck der Auffahrt darthat und die Gesellschaft angenehm unterhielt. Den Schluß machte die Aufforderung der Herrin: zum Danke für die Erntemühen Bewirthung und Tänzchen anzunehmen.

Der Herzog als Großknecht antwortete für die Uebrigen: die Einladung freue sie herzlich. Das Spiel war zu Ende, und eine angenehme, heitere Unterhaltung folgte.

(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_532.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)