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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Zögling kein Recht gefunden, verließ Roberts den Herd blutigen Wahnes, welchen Leute ohne alle Bildung beherrschten, die so weit gingen, Chinas berühmtestes Bauwerk, den weltbekanten Porcellanthurm, zu zerstören!

Nachdem der zweite englisch- (diesmal auch französisch-) chinesische Krieg 1860 durch die Verträge von Peking beendigt worden, fanden es die europäischen Sieger in ihrem Interesse, der chinesischen Regierung zur endlichen Niederwerfung des Tai-ping-Aufstandes, dem sie allein nicht beikommen konnte, behülflich zu sein, denn ihr Handel litt durch den innern Krieg, und Hoffnung auf einen Sieg der Rebellen war längst keine mehr vorhanden. Es wurde 1862 ein Heer gegen die letzteren in Bewegung gesetzt, das aus englischen und britisch-indischen Truppen, englischen und französischen Seeleuten und einem angeworbenen chinesischen Corps unter europäischen und amerikanischen Officieren bestand. Das Heer hatte aber keine so leichte Arbeit, wie man wohl gehofft hatte. Es wurde im Mai von den Tai-ping unter dem „treuen König“ Tschun-wang so empfindlich geschlagen, daß es von 7000 Mann kaum 2000 am Leben behielt. Die Verbündeten verstärkten sich nun, die kaiserlichen Chinesen kamen ihnen mit 40,000 Mann zu Hülfe, und nun gelang die Einnahme von Ningpo. Noch lange jedoch wechselte das Glück; denn die Europäer und die Chinesen vertrugen sich schlecht, und dem angeworbenen Corps fehlte es an Mannszucht.

Da trat 1863 ein Mann an die Spitze des letzteren, der jetzt, während diese Zeilen erscheinen, wiederum in fernen Landen, aber unter ungünstigeren Umständen, die Sache seiner Landsleute zu retten sucht. Major Gordon, der sich schon im Krimkriege ausgezeichnet, der den letzten Krieg in China mitgemacht, dann das Land bereist hatte und die Chinesen gründlich kannte, und der jetzt wieder im heißen Sudan von Feinden umringt ist, stellte die fehlende Disciplin her. Aber auch die Tai-ping hatten viele europäische, amerikanische und indische Abenteurer und Ueberläufer in ihren Schaaren, denen sie aber schlechte Behandlung angedeihen ließen. Gordon verstand es, sie unschädlich zu machen, indem er sie bewog, zu ihm überzutreten. Ihm vorzüglich ist die Abkürzung des Rebellionskrieges zu verdanken, der endlich im Jahre 1864 ausathmete.

Es ging mit den Tai-ping immer mehr bergab; bald besaßen sie nichts mehr, als die Stadt Nanking, die seit elf Jahren als ihre Hauptstadt Tien-king, das heißt Himmelsresidenz, genannt wurde.

Jetzt aber nahte die kurze und doch allzu lange Herrlichkeit ihrem tragische Schlußacte. Die kaiserlichen Mandschu-Chinesen wollten in ihrer Klugheit und in ihrem Mißtrauen gegen die Europäer denselben allein besorgen; der Mohr hatte seine Pflicht gethan und konnte nun gehen, – Gordon und seine Schaar wurden verabschiedet; zur Anerkennung seiner Dienste erhielt er den Sternenorden, ein Banner und die gelbseidene Jacke – die höchsten chinesischen Ehrenzeichen.

Tschun-wang, der letzte Feldherr der Rebellen, ihr bester Mann und ihr Geschichtschreiber zugleich, war noch in die „Himmelsresidenz“ gelangt, ehe sie von den Kaiserlichen eingeschlossen wurde. Sie litt bereits große Noth. Tien-wang, immer noch unempfindlich gegen die Wechselfälle seiner Sache, hatte nur für seine religiösen Grillen Sinn und betrachtete sich bis zum letzten Augenblicke als incarnirten Gott und Herrn der Welt; bis zuletzt aber auch blieb er wollüstig und grausam zugleich, und aus dem Harem, in den er sich eingeschlossen, kamen nur Blutbefehle, wobei Hung-Dschin seinen Herrn noch zu übertreffen suchte, indem er die hungernde Bevölkerung vollends ausplünderte. Aber noch bevor das Ende seiner Sache eintrat, ging der Schulmeister auf dem usurpirten Throne, angeblich indem er Gift nahm, aus der Welt. Am 19. Juli 1864 fiel die Stadt in die Hände der Kaiserlichen; Tschun-wang, tapfer kämpfend, übergab den kaiserlichen Palast den Flammen und rettete den jungen „Kaiser“ Hung-fu-tien, der wenige Tage den Scheinthron besessen hatte. Sie Beide, sowie Hung-Dschin, der Minister, entkamen, wurden aber eingeholt und enthauptet. Umsonst hatte der tapfere Feldherr gehofft, durch seine im Kerker geschriebene Lebensgeschichte sein Leben zu retten. Den Leichnam des alten Rebellenkaisers und „Gottessohnes“ fand man im Palastgarten nothdürftig eingescharrt, ein gelbes Seidenkleid und grauer Schnurrbart kennzeichneten ihn. - Was die Schrecknisse des Krieges noch von Nanking übrig gelassen, vernichtete Tschun-wang's Flammenmeer; die stolze Stadt blieb noch lange ein Trümmerhaufen. – Soweit hatte es politisch-religiöser Fanatismus gebracht! Zäh und unzerstörbar aber muß eine Cultur sein, die solche Stürme überdauert, wie sie das „Reich der Mitte“ erlebt hat, und die sicher noch lange und oft wiederkehren werden.


Aerzte und Publicum.

Von Dr. Fr. Dornblüth in Rostock.
II.

Wenn es mir in meinem ersten Artikel[1] gelungen ist, meine Leser zu überzeugen oder in der Ueberzeugung zu befestigen, daß ein ständiger Arzt oder Hausarzt für die Gesundheit der Einzelnen wie der Fanilien außerordentlich viel mehr zu leisten vermag, als ein nur gelegentlich consultirter oder nur zu anscheinend dringenden und gefährlichen Krankheiten gerufener Arzt, so muß ich den früheren Gründen noch einen hinzufügen, der, wenn auch nur indirect wirkend, doch kaum weniger werth sein dürfte, als die andern.

Es ist nicht zu bezweifeln, weil tief in der menschlichen Natur begründet, daß ein ständiger Arzt ein größeres Interesse an dem Kranken und seinen Angehörigen hat, die ihm sämmtlich mehr oder weniger bekannt und durch die Sorgen und Freuden, die sie ihm bereitet haben, an’s Herz gewachsen sind. Ja, er hat gewiß an ihnen ein größeres Interesse, als ein nur für den einzelnen Fall befragter Arzt, mag er auch an sich human sein und die Kranken, die ihn gewissermaßen wie einen durch Zahlung abzufindenden Erwerbtreibenden oder Lohnarbeiter betrachten, nicht blos als Objecte seiner Thätigkeit ansehen, an die ihn neben dem Geschäfte höchstens nur das wissenschaftliche Interesse knüpft. Zu solcher bedauernswerthen Anschauung treiben es die Hülfesuchenden selber dadurch, daß sie von einem Arzte zum andern laufen, ohne dem einzelnen so viel Zeit zu lassen, daß er sich auch gemüthlich etwas für sie erwärmen kann. Von einer tieferen Theilnahme, welche dem Kranken wie seinen Angehörigen auch neben ärztlichen Verordnungen, Leiden und Schmerzen, körperliche und seelische, ertragen und überwinden hilft, kann da nicht wohl die Rede sein, wo der Arzt und der Kranke einander nur sehen, wenn letzterer es wünscht. Auch ein freundschaftliches Verhältniß ist undenkbar, wenn der Kranke fast unwillig die Prüfung seiner Lebensverhältnisse und die Beeinflussung seiner Entschlüsse durch den Arzt erträgt, denselben durch eigenes Lesen medicinischer oder populärer Schriften, oder durch heimliche oder offene Befragung anderer Aerzte zu controlliren oder wohl gar zu meistern sucht. Solche Mißtrauer oder Besserwisser machen es den Aerzten schwer, dem weisen Dichterworte gemäß zu leben: „Edel sei der Mensch, hülfreich und gut,“ und sich jene Herzenswärme zu bewahren, die ihnen den inneren Lohn gewährt, den sie von der Dankbarkeit ihrer Patienten nur zu oft vergeblich erwarten.

Damit ist nicht der klingende Entgelt für ihre Leistungen gemeint, der freilich oft auch ungleich und ungerecht genug zugemessen oder vergessen zu werden pflegt, sondern jene dankbare Anerkennung, die Denen gebührt, welche jeden Augenblick bereit sind, nicht blos die eigene Ruhe und eigenen Genüsse entsagungsvoll zu opfern, sondern ihre ganze Herzenstheilnahme und Geisteskraft, ja Gesundheit und Leben einsetzen, um Anderen, oft Fremden und kaum solcher Opfer Würdigen, hülfreich zur Seite zu stehen. Wohl ist es für alle Aerzte hoch erfreulich und erhebend, zu sehen, wie unser Kaiser und Reich den dankbaren Gefühlen der ganzen gebildeten Welt Ausdruck verliehen haben gegen die deutschen Forscher Robert Koch und seine Begleiter, die mit opferfreudigem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_527.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)