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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Das achte deutsche Bundesschießen in Leipzig.

In den Tagen vom 19. bis 27. Juli wird in Leipzig das achte deutsche Bundesschießen abgehalten und die ehrwürdige, an geschichtlichen Erinnerungen so reiche Stadt wird Tausende von lieben Gästen aus dem Reich und den stamm- und sprachverwandten Landen beherbergen. Das gastliche Leipzig, das in früheren Jahrhunderten und noch bis in das zweite Jahrzehnt des unsrigen, von den Meßfreunden und Meßfremden abgesehen, fast nur ungeladene und unwillkommene Gäste in Schaaren Einzug in seinen Thoren halten sah, das wie irgend eine Stadt unter der Drangsal dieser unholden Gäste, feindlicher Heeresmassen, gelitten hat, es ist längst eine Stätte des Friedens geworden, und freudig begrüßt es, wie vor einundzwanzig Jahren die deutschen Turner und Veteranen von 1813, so in diesem Jahre die deutschen Schützen.

Sind sie, die jetzt in Leipzig traulich zusammentreffen, doch insgesammt von deutschem Blute, von deutscher Gesinnung. Und woher sie auch immer kommen, aus Nord und Süd, aus Ost und West des großen deutschen Vaterlandes, aus Oesterreich und der Schweiz, aus den Niederlanden, selbst von jenseits des Oceans: sie alle sind einig in dem stolzen Gefühl, der gemeinsamen Mutter Germania Kinder zu sein, die kein Bruderhaß mehr trennt und die voll Vertrauen zu dem Throne emporblicken, auf welchem nach jahrzehntelangem Interregnum wieder ein deutscher Kaiser waltet, Wilhelm der Hohenzoller, der Siegreiche und Friedensfürst zugleich. Da darf schon die gut deutsche Stadt Leipzig sich in ihr schönstes Festgewand werfen, so liebe Gäste mit offenen Armen als freundliche Wirthin zu empfangen, und die Vorbereitungen, welche sie zur Aufnahme der Schützenbrüder aus allen Gauen Deutschlands und über seine Grenzen hinaus, so weit die deutsche Zunge klingt, getroffen hat, sind, denke ich, der Wirthin wie der Gäste gleich würdig. Leipzig hat in der That aufgeboten, was in seinen Kräften stand, um hinter den sieben Feststädten, in denen bisher deutsche Bundesschießen abgehalten worden sind, nicht hintanzustehen, sondern, wenn möglich, noch mehr zu bieten, als jene.

Ganz besonders zu statten kommt der Stadt Leipzig dabei, daß, südöstlich von der Stadt – rechts vom Waldesgrün umsäumt, zur Linken von der Pleiße umströmt – ihr ein Festplatz zur Verfügung gestellt wurde, wie er für einen derartigen Zweck kaum günstiger gedacht werden kann, und die Festhalle, die hier im Bilde wiedergegeben wird, ist an sich schon geräumig genug, um den Schützen auch gegen eine etwaige Unbill der Witterung zum Unterschlupf zu dienen. Ein stilvoller Gabentempel, vortreffliche Schießstände schließen sich an. Volksbelustigungen der mannigfachsten Art sind in Aussicht genommen, um den Schützen das Fest so genußreich und kurzweilig wie möglich zu machen.

Die Stadt Leipzig hat aber auch allen Grund, gerade die deutschen Schützen mit allen Ehren zu empfangen. Es mag ja manche geben, welche das ganze Schützenwesen für eine veraltete Einrichtung halten, und diese würden mit ihrer absprechenden Behauptung auch im Rechte sein, wenn die Schützengesellschaften sich dem Geiste der Neuzeit, der mit allem Alten, ihm Widerstrebenden gewaltig und rücksichtslos aufräumt, nicht angeschmiegt hätten. Daß sie dies thaten, dazu fähig waren, das zeugt aber doch für die unversiechliche Lebenskraft, welche dem Schützenwesen, einer der ehrwürdigsten Institutionen, die wir von unseren Vorfahren noch aus den Zeiten des Mittelalters überkommen und in die Neuzeit glücklich herübergerettet haben, innewohnt. Haben doch gerade die deutschen Schützen in jenen Tagen, als Alles auf einen Umschwung der Verhältnisse hindrängte, als Deutschlands großer Kanzler eben begann, am Unterbau des neuen deutschen Reiches zu zimmern, sich kräftig aufgerafft und sich zusammengethan zu einem großen deutschen Schützenbunde, der eine Verbrüderung aller deutschen Schützen, eine Vervollkommnung der Schießfähigkeit derselben und eine Hebung der Wehrkraft unseres Volkes erstrebt.

So können auch sie einmal, wenn je dem deutschen Reiche, das ja ein Reich des Friedens sein will, ein äußerer Feind wieder erstünde und Deutschlands Söhne zur Vertheidigung des Vaterlands die Waffen in die Hand zu nehmen gezwungen sein sollten, unserem Vaterlande noch gute Dienste thun, und wenn auch das Reich in seinem Heere einen starken Schutz und Schirm besitzt, so ist es doch immer gut, wenn auch die Aelteren, welche ihrer Heerespflicht längst genügt, sich im Waffenhandwerk üben und die Kunst, sicher ihr Ziel zu treffen, nicht verlernen. Bedarf das Vaterland dieser Kräfte nicht, reicht seine junge dienstpflichtige Mannschaft aus, jedem feindlichen Anprall Trutz zu bieten, um so besser! Ist es doch auch der Zweck unseres deutschen Heeres, nur für den Nothfall gerüstet zu sein und durch seine Kampfbereitschaft das Eintreten eines solchen Nothfalls nach besten Kräften zu verhindern. Darum scheint es mir auch keine bloße Spielerei, nicht ein bloßer Drang zum Vergnügen zu sein, was unsere Schützen antreibt, Büchse oder Armbrust zu handhaben; ein sicherer Blick, eine sichere Hand ist viel werth, und es gilt das ja nicht nur für den Krieg, sondern auch für die Tage des Friedens.

Ansicht der Festhalle.

Ja, vergessen wollen und dürfen wir keinen Augenblick, daß, wenn irgendwo, so hier im heitern Spiel auch ein tiefer Sinn liegt. Und um dies recht zu verstehen, um recht zu erkennen, daß das Schützenwesen, unbeschadet des Wechsels der Zeiten, auch jetzt noch eine höhere Bedeutung hat oder doch im Falle der Gefahr haben kann, ist es gut, wenn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_481.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2024)