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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


ihres „pur und simpel“, oder auch hieß man sie Non-Konformisten, weil sie mit der Hochkirche nicht übereinstimmend, nicht konform waren.

In demselben Maße nun, in welchem der Puritanismus in den bürgerlichen Mittelklassen der Städte und unter den bäuerlichen Freisassen auf dem Lande größeren Anhang fand, ging die High-Church, welche ja an Unduldsamkeit keiner der übrigen christlichen Kirchen nachstand, alsbald mit Verfolgungen gegen ihn vor. Die Päpstin der Hof- und Staatskirche aber, die „jungfräuliche“ Königin Elisabeth, ließ diese Verfolgungen um so lieber und um so nachdrücklicher betreiben, als der Puritanismus von Anfang an große Neigung verrieth, wie das Verhältniß des Menschen zu Gott, so auch das Verhältniß der Völker zu den Königen näher zu untersuchen und in einem Sinn aufzufassen und zu bestimmen, welcher von dem herkömmlichen, gläubig-kritiklosen bedeutend abwich. Um es kurz zu sagen: im Puritanismus lagen starke Keime des Republikanismus, und Elisabeth, die richtige Tochter ihres Vaters, d. h. Despotin durch und durch, hatte das bald herausgewittert. Sie fuhr daher auf’s schärfste gegen die puritanische Sekte vor und bestellte, um die Konformität in Glaubenssachen zu erzwingen, einen sogenannten „Geistlichen Hohen Gerichtshof“, welcher mit gränzenloser Willkür, die Landesgesetze gänzlich mißachtend, amtete und geradezu ein protestantisches Inquisitionstribunal war. Der Druck, unter welchem die Puritaner demzufolge schmachteten, währte auch unter Jakob dem Ersten fort. Dieser Jämmerling von König, an dessen Hof ein solches Lotter- und Lasterleben im Schwange ging, daß nicht nur die Hofherren, sondern auch die Hofdamen am hellen Tage betrunken in Whitehall herumtaumelten, betrieb die Verfolgung der Nichtkonformisten, die Peinigung des „Puritaner-Gesindels“, so recht wie eine persönliche Liebhaberei. Sein Sohn Karl zahlte dann am 30. Januar von 1649 auf dem vor den Fenstern des Bankettsaals von Whitehall errichteten Schaffot die Buße dafür, wie für die eigenen Sünden. Doch für den Puritanismus

„War Verfolgung nur die Kelter,
In die das Schicksal alles Große presst“ –

und das Produkt dieser Kelterung ist die transatlantische Demokratie gewesen, obzwar erst nach einem langen und schweren Gährungsproceß gewonnen. Zunächst war dieser trüb genug. Denn wenn allerdings die Verfolgung den Puritanismus stärkte und härtete, so verdunkelte sie ihn auch, indem sie ihm eine düster-fanatische Färbung gab, ihn mit einer einseitigen Vorliebe für alttestamentliche Anschauungen und mit einer blinden Feindseligkeit gegen das Freudige und Schöne im Leben wie in der Kunst erfüllte.

Aber die finstere Grübelei, in welcher die Puritaner sich gefielen, beraubte sie keineswegs der Thatkraft. Das bewiesen sie, sobald mit der Thronbesteigung Karls des Ersten (1625) der große Kampf zwischen Königswillkür und Volksrecht in England zum Ausbruch kam. Puritanische Thatkraft war es, welche dann auf dem Marstonmoor und bei Naseby den falschen Stuart und dessen „Kavaliere“ zu Boden schlug. Noch früher war die Energie der Puritaner zu einem Entschluß gelangt, dessen Ausführung von weltgeschichtlicher Bedeutung werden sollte, zu dem Entschluß der Auswanderung nach der Neuen Welt. Diese Absicht zu verwirklichen war aber nicht so leicht. Denn, seltsam zu sagen, auf die Verweigerung der „Konformität“ war zwar die Strafe der Verbannung gesetzt, allein die Selbstverbannung, die freiwillige Auswanderung der Nichtkonformisten wurde für höchst strafbar angesehen und demzufolge mit allen Mitteln zu verhindern gesucht. Die Tyrannei, ob von oben- oder von untenher geübt, hat sich zu keiner Zeit um die Logik gekümmert. Die Puritaner mußten also ihre Vorkehrungen zur Auswanderung mit größter Heimlichkeit treffen, sie mußten sich unter mancherlei Gefahren geradezu fortstehlen aus ihrem Heimatland. Hierbei war ihnen die Nähe der Küsten von Holland sehr von Nutzen. Dort suchten und fanden viele Puritaner eine Zufluchtstätte; auch solche, welche keinen bleibenden Aufenthalt daselbst beabsichtigten, sondern nur auf sicherem Boden ihre letzten Vorbereitungen zur Uebersiedelung nach Amerika ins Werk richten wollten.

Und auf welchen Landstrich jenseits des Oceans zielten die Wünsche und Pläne dieser Heimatflüchtigen? Auf die nördlicheren Gegenden des nördlichen Kontinents von Amerika. Dort war der erste von engländischer Seite gemachte Versuch, eine Ansiedelung zu gründen, mißlungen und infolge dieses Mißlingens hatten die Engländer jene weiten Küstenstriche dem Unternehmungseifer anderer Völker, namentlich der Franzosen und Holländer, überlassen. Erst zur Zeit der Königin Elisabeth geschah es, daß in England die transatlantischen Besitzergreifungsabsichten und Besiedelungspläne wieder ernstlich aufgenommen und vor allen durch die beiden energischen Brüder Gilbert und Walter Raleigh theilweise zur Ausführung gebracht wurden. Nachdem Gilbert 1583 Neufundland im Namen der Königin Elisabeth in Besitz genommen hatte, that Walter im folgenden Jahre das Gleiche inbetreff des gewaltigen Landstrichs, welcher jetzt einen großen und wohl den schönsten Theil der Vereinigten Staaten ausmacht. Diesem ganzen ungeheuer ausgedehnten, zwischen dem 34. und 45. Grad nördlicher Breite gelegenen Gebiete gab die Königin Elisabeth in selbstgefälliger Eitelkeit ihrer „Jungfräulichkeit“ zu Ehren den Namen Virginia. Vorerst blieb es bei dieser Besitzergreifung und Benamsung und erst unter der Regierung Jakobs des Ersten bildete sich i. J. 1606 in London eine aus Edelleuten und Kaufleuten bestehende Aktiengesellschaft behufs der Kolonisirung von Virginien. Das Unternehmen, schlecht geleitet, mißlang und es blieb den Puritanern vorbehalten, in jenen Gegenden nicht nur die Flagge Englands, sondern auch das Banner der Civilisation aufzupflanzen und aufrechtzuhalten.

Die Grundleger aber dieser in die Neue Welt verpflanzten angelsächsisch-germanischen Civilisation, die Pfadfinder der puritanischen Emigration waren die Insassen der „Maiblume“, welche am 9. November von 1620 in der Bai vom Kap Cod vor Anker ging oder, genauer gesprochen, lavirte, um einen sichern Ankergrund zu finden, was erst zwei Tage später gelang.



Dieser 11. November von 1620 war ein Sonnabend und er ist Zeuge eines höchst unscheinbaren und dennoch weltgeschichtlichen Vorgangs gewesen.

Nachdem nämlich die „Maiblume“ endgiltig Anker geworfen hatte, hielten die Puritaner am Bord vor allem einen Gottesdienst ab. Natürlich in ihrer schlichten Weise. Sie versammelten sich mit ihren Frauen und Kindern auf dem Deck des Schiffes, stimmten einen Psalm an, knieten dann nieder, um in inbrünstigem Gebet Gott für ihre glücklich vollbrachte Ueberfahrt in die Neue Welt zu danken, und beschlossen die Feier wiederum mit einem Psalm. Hierauf verschritten sie zur Erledigung eines großen weltlichen Geschäfts. Denn das ja war das Auszeichnende dieser Idealgläubigen oder, wenn man will, dieser Fanatiker, daß sie mit ihrer religiösen Begeisterung einen offenen Sinn für das Reale, einen scharfen Blick und eine praktische Hand für das Nothwendige und Zweckdienliche verbanden.

Das Nothwendige und Zweckdienliche war nun zuvörderst die Feststellung der Grundsätze und Normen, welche bei der beabsichtigten Gründung einer Ansiedelung ihnen zur Wegleitung dienen sollten. Es mußte hierüber eine feste Vereinbarung getroffen werden, um so mehr, als während der langen Meerfahrt allerlei Verstimmungen und Uneinigkeiten in die kleine Schar sich hatten einschleichen wollen. Die Führer, welche solche nur waren infolge vorragender Eigenschaften wie infolge stillschweigender Anerkennung vonseiten ihrer Gefährten, sie hatten erkannt, daß vor allem für die Kolonisten eine feste Ordnung aufgerichtet werden müsse. Diese Gründer der amerikallischen Demokratie waren keine unreifen Lotterbuben, wie sie in unseren Tagen unter demokratischer Maske massenhaft grassiren, sondern vielmehr ernste Männer, welche gar wohl wußten, daß nicht in der Anarchie, sondern nur in der Ordnung die Freiheit zu suchen und zu finden wäre.

Die 41 Männer traten in der Kajüte zusammen und verfassten und beriethen einen Verfassungsentwurf, welcher schließlich einstimmig angenommen und von allen unterzeichnet wurde in dieser Form: – „Im Namen Gottes, Amen. Wir, deren Namen unterschrieben sind, die loyalen Unterthanen unseres furchtbaren (dread) Königs Jakob, die wir zur Ehre Gottes, zur Verbreitung des Christenglaubens, zum Ruhm auch unseres Königs und unseres Landes eine Fahrt unternommen haben, um die erste Ansiedelung in den nördlichen Theilen von Virginia zu gründen, wir vereinigen und verbinden uns kraft dieser Urkunde in Gegenwart Gottes und eines jeden von uns vor dem andern feierlich zu einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_411.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2021)