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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Und auch wir möchten die Geschichte dieses Theaters unsern Lesern nicht vorenthalten. Als Heinrich Laube nach Beendigung seiner Leipziger Direction nach Wien zurückkehrte, hatte just Friedrich Halm darum nachgesucht, daß man ihn der Leitung des Burgtheaters entheben möge, und als seinen Nachfolger hatte er den früheren Gegner, Heinrich Laube, vorgeschlagen. Dessen Freunde aber mißbilligten einen Wiedereintritt in’s Burgtheater und riethen zur Gründung eines neuen Schauspielhauses.

Es war die Zeit des volkswirthschaftlichen Aufschwunges, ganz Wien war von fröhlicher Zuversicht erfüllt, und man konnte annehmen, daß die lebensfreudige Stadt reichliches Publicum für ein neues Theater stellen werde. In wenigen Wochen war das nothwendige Capital durch Ankauf von Logen (zu 25,000 Gulden) und Sperrsitzen (zu 5000 Gulden) aufgebracht. Die Stadt Wien selbst hat weder zur Gründung noch zur Erhaltung des Theaters eine Beisteuer geleistet.

Man nannte das neue Schauspielhaus Stadttheater, im Gegensatze zu dem Burgtheater, der Hofbühne. Denn die Haupttendenz des neuen Unternehmens war, ein Theater zu bilden, welches frei bliebe von den bei einem Hofinstitut unerläßlichen Beschränkungen und welches den Schauplatz für jegliche dichterische Schöpfung bieten würde. Keine Concurrenz, sondern eine Ergänzung sollte also das Stadttheater werden für die Hofbühne.

Das wurde freilich von der Leitung des Burgtheaters anders aufgefaßt. Sie behandelte wenigstens das Laube’sche Stadttheater wie ein Concurrenz-Unternehmen, und man verschaffte sich z. B. Reverse von unzähligen Autoren, daß ihre Stücke in Wien nur im Burgtheater gegeben werden dürften, um Laube seine Aufgabe zu erschweren. Das gelang auch vollständig. Nicht wohlgemuth und hoffnungsfreudig, sondern voll schwerer Sorgen schritt Laube zur Eröffnung seines Stadttheaters.

Diese erfolgte am 15. September 1872. Schiller’s Demetrius–Fragment, von Laube ergänzt, bildete die Eröffnungs-Vorstellung. Der Erfolg war günstig, aber das Publicum schien noch nicht ganz gewonnen. Es stand dem neuen Theater zuwartend, beinahe mißtrauisch gegenüber. Durch eiserne Energie jedoch erzwang sich Laube die Gunst der Wiener – nicht indem er ängstlich bald dies, bald jenes versuchte, sondern indem er seinen systematischen Plan rücksichtslos verfolgte.

Bald war eine Künstlerschaar gebildet, welche eines ersten Theaters vollkommen würdig heißen mußte. Die Damen Schönfeld, Frank, Schratt und Albrecht, die Herren Lobe, Robert, Friedmann, Tewele und Tyrolt, sie alle gehörten dem damaligen Stadttheater an und haben sich heute maßgebende Stellungen in der deutschen Theaterwelt errungen.

Trotz der Gegenarbeiten des Burgtheaters, welches auch die besten Mitglieder des Stadttheaters zu gewinnen suchte, konnte Laube auch bald wirkliche Novitäten, d. h. noch unaufgeführte Stücke moderner Autoren bringen. Adolf Wilbrandt wurde mit seinem „Grafen von Hammerstein“ glänzend eingeführt, Paul Lindau’s „Maria und Magdalena“ verhalf die Darstellung zu durchschlagendem Erfolg, und zahlreiche Lustspieldichter, wie G. v. Moser, Julius Rosen und Sigmund Schlesinger, fanden hier eine Stätte. – Das Publicum hatte das Theater lieb gewonnen, und die Cassen waren wohlgefüllt.

Da trat eine Wandlung ein. Die Geschäfte an der Börse gingen schlechter und schlechter. Die Geschäftswelt wurde von Panik erfüllt, und mit erschreckender Schnelligkeit erfolgte der „Krach“. Das Stammpublicum des Stadttheaters, welches zum großen Theil aus Finanzleuten bestehen mochte, war verarmt und gab den Theaterbesuch auf. Die Vorstadttheater mit ihrem Possen-Repertoire erlitten freilich wenig Einbuße. Es mußte sich also Laube die Ueberzeugung aufdrängen, daß seine Bühne sich ebenfalls einer leichteren Richtung zuwenden müsse, wenn die materiellen Erfolge nicht geschwächt werden sollten. Er wollte aber nur ein erstes Theater führen, und so trat er – am 15. September 1874 – von der Leitung zurück.

Laube’s Nachfolger, Theodor Lobe, konnte den Niedergang des Theaters nicht aufhalten, und Laube kam dem Unternehmen noch einmal zu Hülfe. Er arbeitete mit ehrlicher Anstrengung, jedoch ohne sich selbst genug zu thun. Allenthalben fehlte jetzt die mächtigste Triebfeder, die Begeisterung. Er hielt es für seine Pflicht, um die Gründer nicht zu schädigen, auch leichte Schwänke zu geben, und so mühte er sich, im Grunde genommen, für ein Theater, das nicht sein Theater war. Nach vierjähriger Thätigkeit trat er – tiefer verstimmt – zum zweiten Male zurück.

Es folgte das sogenannte „Vierer-Collegium“, bestehend aus den Herren Friedmann, Lobe, Schönfeld und Tyrolt, und dann zum dritten Male eine Direction Laube, die jedoch kaum einige Monate währte.

Man stand vor einem Räthsel. Wer sollte den Muth finden, das zu unternehmen, womit ein Laube gescheitert war? Jeder schüttelte ungläubig den Kopf, als die Nachricht auftauchte, der Komiker Karl von Bukovics habe die Direction übernommen. Aber die Nachricht bestätigte sich. Der neue Director frug zwar nicht viel nach künstlerischen Pflichten, sondern machte die finanzielle Festigung des Unternehmens zu seiner Hauptaufgabe. Als Schauspieler mit vollstem Rechte sehr beliebt, zog sich Bukovics ein neues Stamm-Publicum heran, ein Publicum, das keine großen Ansprüche machte, sondern den Abend ohne Aufregung und in behaglicher Heiterkeit verbringen wollte. Anfänglich kamen noch einige interessante Vorstellungen zu Stande, denen vornehmlich das Regietalent und die Darstellungskunst Mitterwurzer’s eigenthümlichen Reiz verlieh. Allmählich aber wurde das künstlerische Niveau des Stadttheaters – nicht ohne Geschick – immer tiefer herabgedrückt, bis wir schließlich kein Schauspielhaus, sondern ein Possentheater vor uns hatten, in welchem die französische Farce vornehmlich gepflegt wurde. Die Veranstaltung eines Anzengruber-Cyclus bildet den einzigen Lichtpunkt in der letzten Epoche des Stadttheaters, und Anzengruber’s „Meineidbauer“ war auch das Stück, welches zuletzt auf dem Theaterzettel für den Abend des 16. Mai angekündigt war. R.     


Schnepfenthal.

Eine Jubiläumsskizze von H. Schwerdt.

Es war am 7. März 1784. Schon neigte sich der trübe Tag dem Abend zu. Da schwankte eine schwerfällige Kutsche durch Rödichen, ein thüringisches Dorf zwischen Waltershausen und Friedrichsroda, und bog in die Höhlung ein, die sich zum nahen Landgut Schnepfenthal hinabzog. Aus den großen Wagen spähten zwischen hochaufgethürmten Kisten und Schachteln elf Köpfe hervor, welche die neue Heimath mit ungeduldigen Blicken begrüßten.

Auf dem Bocke saß neben dem Kutscher ein Mann, der etwa vierzig Jahre zählen mochte. Seine ganze Haltung verrieth etwas Schulmeisterliches, aber im besten Sinne des Wortes. Mit der steifen Mode seiner Zeit schien er und mit ihm seine ganze Reisegesellschaft gebrochen zu haben, Statt einer Perrücke trug er das schlichte, schwarze Haar gescheitelt, der Zopf war schon seit Jahren abgeschnitten worden. Ein unverkennbares Wohlwollen, und doch auch wieder ein sinniger Ernst war den märkirten Zügen seines bräunlichen Gesichtes aufgeprägt. Unter der hohen Stirn schien eine Welt von Gedanken zu arbeiten und aus den freundlichen Augen leuchtete eine kindliche Gutmüthigkeit, während die stark hervortretende Nase und die raschen Bewegungen der Hände von Entschlossenheit und Thätigkeit zeugten.

Dieser Mann war Christian Gotthilf Salzmann, welcher seit drei Jahren an der von Basedow gegründeten Erziehungsanstalt zu Dessau, dem vielgepriesenen Philanthropin, als Religionslehrer und Liturg thätig gewesen. Weil ihm jedoch in dieser Stellung keine Zeit blieb, seine eigenen Kinder nach dem Ideale zu erziehen, welches er sich selbst gebildet hatte, und weil er sich je länger desto mehr nach einer selbstständigen pädagogischen Wirksamkeit sehnte, so hatte er sich schon seit geraumer Zeit Mit dem Gedanken getragen, eine eigene Erziehungsanstalt zu gründen, und zwar - wenn es sein konnte – im Herzogthum Gotha, wo er freundschaftliche Verbindungen angeknüpft hatte und zuversichtlich hoffen durfte, daß sein Unternehmen von dem hochherzigen Fürsten dieses Landes, Herzog Ernst II., begünstigt und gefördert werden würde. Und er hatte sich nicht getäuscht. Der Herzog, der bereits von Salzmann’s schriftstellerischer Thätigkeit wohlwollende Kenntniß genommen hatte und insbesondere sein jüngst erschienenes Buch: „Carl von Carlsberg, oder über das menschliche Elend“, sehr hochschätzte, erbot sich nicht blos, ihm zur Verwirklichung seines Planes ein herzogliches Lustschloß zu überlassen, sondern zog auch dann seine Hand nicht von ihm ab, als Salzmann, um in keinerlei Weise abhängig und durch keinerlei Rücksichten beengt zu sein, dies edle Erbieten freimüthig zurückwies, sondern sicherte ihm ein unverzinsliches Darlehn von 4000 Thalern zu, um sein Vorhaben in’s Werk setzen zu können.

Salzmann, der kein eigenes Vermögen hatte, sondern vorläufig nur vom Ertrag seiner Schriftstellerei lebte, nahm diese Spende dankbar an, und beauftragte nun einen seiner Freunde, den Obergärtner Wehmeyer in Gotha, ein kleines Landgut für ihn zu kaufen, welches sich durch seine schöne und gesunde Lage zu einem Erziehungsinstitute eigne, und dieser kaufte ihm eine ländliche Besitzung, die früher dem Kloster Reinhardtsbrunn zugehört hatte, das Oekonomiegut Schnepfenthal, das aus einem geräumigen Wohnhaus mit den dazu gehörigen Wirtschaftsgebäuden, einer Mahl- und Oelmühle, einem großen Garten mit Fischteich, einigen Wiesen und Aeckern und einem bewaldeten Bergrücken, „die Hardt“, bestand.

Dort ließ nun Salzmann auf einem nahegelegenen Hügel einen Neubau ausführen, der allen pädagogischen Ansprüchen der damaligen

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