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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Seufzend schaute er bald nach Maria, bald nach Cesari. Die Zingarella war bleich, beinahe hohläugig. Im Angesichte des Rechtsgelehrten las der Apulier ein Gefühl des Triumphes – und doch wieder etwas Finsteres, Verstimmtes und Vorwurfsvolles.

„Unglückseligster aller Menschen,“ begann Cesari, „welcher Fluch verfolgt Euch, daß Ihr so blindlings in Euer Verderben rennt? Wer weiß, vielleicht wäre es besser gewesen, das Entsetzliche hätte sich regelrecht abgespielt und die Botschaft des Königs wäre zu spät gekommen!“

„O, Signore Cesari!“ stammelte Salvatore; „Ihr wißt also ...?“

„Alles weiß ich – Alles, nur nicht den Namen jenes Verruchten, der Euch im Albergo zum ‚Goldnen Kreuz‘ die Rolle des Monsignore De Fabris vorspielte. Auch das wird sich finden, denn die Häscher sind bereits auf dem Wege nach der Wohnung Eures Freundes Nacosta. Aber nun sagt mir doch, Ihr unglaublicher Thor, – wie war es möglich, daß Ihr den Sinn dieses Truggewebes nicht augenblicklich durchschautet? Daß Ihr Euch einreden konntet –? Bei San Gennaro, ich zweifle noch, ob Ihr nicht wirklich reif seid für das Tollhaus von Capua!“

„Ja, Ihr habt Recht!“ stöhnte Salvatore zerknirscht. „Mit offenen Augen habe ich geträumt, geras’t wie ein Irrsinniger. Ich verstehe mich selbst nicht! O, und wie erkenn’ ich nun, Signore Cesari, was Ihr damals im Kerker von Pizzo Falcone mir zurieft: daß es ein Wahn ist, wenn Einer sich vorredet, mit schlechten Mitteln sei das Gute zu fördern! Thorheit, unglaubliche Thorheit!“

Er stützte den Kopf in die Hand.

„Aber verlaßt Euch drauf,“ fuhr er fort, „so weit wäre es niemals mit mir gekommen, hätte ich eine Stätte gehabt, wo ich wirken konnte! Mein Geist verlangte nach Bethätigung seiner Kräfte – und da mir Alles versagt blieb, verlor ich mich in’s Abenteuerliche und Leere! Ach, ich kann’s Euch nicht schildern, Signore, wie sehr ich elend bin! Was aber den Schurken betrifft, der sich mit Emmanuele Nacosta zu meinem Untergange verschwor, so hört, was ich sage: Es ist einer von den Gehülfen des Henkers!“

„Unerhört!“ versetzte der Rechtsgelehrte. „Man sollte glauben, der verruchte Nacosta habe eigens zur Bosheit den Hohn fügen wollen, daß er sich gerade Den zum Spießgesellen erkor. Nun, sein Mitverschworener würde auch ohne Eure überraschende Mittheilung nicht verborgen bleiben, da Nacosta selber uns sicher ist. Jetzt aber erzählt mir – ruhig und der Wahrheit gemäß – wie sich das Alles entwickelt hat! – Von Anfang an – hört Ihr? Und versucht mich ja nicht zu täuschen! In Eurem eignen Interesse! – Ich schwöre Euch: um ein Haar hättet Ihr Eure Narrheit mit dem Leben gebüßt; denn mir, als einem Mitglied der Oppositionspartei, hielt es doppelt schwer, bei so kurz anberaumter Frist die gewünschte Audienz bei dem Könige zu erwirken. Auch jetzt noch seid Ihr lange nicht über alle Schwierigkeiten hinaus! Der Staatsprocurator verfügt über Angriffspunkte genug, Eure gesammte Existenz zu Grunde zu richten. Da heißt’s: energisch gekämpft – oder das Spiel ist verloren! Aber nur, wenn ich klar schaue bis in’s Einzelne, kann ich möglicher Weise etwas erreichen! Also redet die Wahrheit, Padovanino!“

„Die volle Wahrheit, wie ich sie selber weiß!“ betheuerte Salvatore.

Er begann und erzählte. Staunend folgte Cesari der phantastischen Darlegung dieser Irrthümer und Verschrobenheiten. Das war in der That ein ungewöhnlicher Mensch, und wenn auch die frühere Vermuthung des Rechtsgelehrten – daß der Apulier nämlich Spuren einer geistigen Abnormität aufweise, jetzt nicht aufrecht zu halten war, so grenzte doch die Extravaganz seines Wesens hart an die Linie, wo die Eigenart des Genies oder des Narren anfängt.

Es war unzweifelhaft: Salvatore Padovanino hatte seinen Beruf verfehlt.

An den richtigen Posten gestellt, konnte er Bedeutsames leisten; das blinde, rath- und sinnlose Streben, das bisher bald in der Maske eines ktankhaften Ehrgeizes, bald als Gold- und Genußgier aufgetreten war, mußte nur auf ein würdiges Ziel hingelenkt werden, um siegreich und gedeihlich zu wirken.

Antonio Cesari nahm sich vor, demnächst auch in diesem Punkte für seinen Clienten thätig zu sein.

Nachdem der Apulier den ganzen Hergang ausführlich berichtet hatte, ließ es ihm keine Ruhe: er mußte erfahren, wie Antonio Cesari dem so wohlverhehlten Geheimniß auf die Fährte gekommen sei. Die brennende Ungeduld der Neugier beherrschte ihn jetzt vollkommener, als die Besorgniß wegen der Zukunft, – zumal die imponirende Sicherheit, mit welcher Antonio Cesari sein Ziel erreicht hatte, dem Bethörten Bürgschaft zu geben schien, daß er unter dem Schutze dieses Vertheidigers auch fürder geborgen sei.

Er dankte also dem Rechtsgelehrten mit leidenschaftlichen Ausdrücken, bat ihn flehentlich um Verzeihung, daß er, Salvatore, nach der Vereinbarung mit Emmanuele Nacosta genöthigt gewesen sei, ihn, den einzigen wahren Freund in all’ dieser Noth, zu täuschen und zu belügen, und ersuchte ihn dann um Aufklärung: wie’s ihm gelungen sei, die Wahrheit zu finden, die doch selbst Maria nur unvollständig gekannt habe.

Antonio Cesari willfahrte ihm.

Die Sache war ja einfach genug.

(Fortsetzung folgt.)




Der Sitz des deutschen Reichstags.
Sonst und Jetzt.

Eine historisch-politische Plauderei von Karl Braun-Wiesbaden.


Erstes Capitel.

Der Grundstein zum Gebäude des deutschen Reichstages soll in diesen Tagen gelegt werden. Das Gebäude wird in Berlin aufgerichtet. Mag man über Architektur und Baustil streiten, so viel man will – der alte lateinische Spruch, daß über den Geschmack gar nicht zu streiten, ist auch heute noch eine Wahrheit – es wird ein stattlicher und monumentaler Bau werden, und Deutschland wird Ursache haben, sich seiner zu freuen. Mit diesem Bau aber und mit dessen Vollendung ist thatsächlich eine Frage entschieden, über welche, wie bei Gelegenheit des preußischen Verfassungsconflicts sich einmal der Staatsminister von der Heydt ausdrückte, „in der Verfassung nichts geschrieben steht“.

Der geneigte Leser wird sich erinnern, daß der Reichskanzler Fürst Bismarck, der an der guten Stadt Berlin Mancherlei auszusetzen hat, zuweilen Zweifel darüber ausgesprochen, ob es nothwendig oder auch nur zweckmäßig sei, daß der Reichstag seinen Sitz gerade in Berlin habe. Er fürchtete, die jeweilige Stimmung der mit jedem Tage mehr anschwellenden hauptstädtischen Bevölkerung könne dort einen allzu mächtigen Einfluß auf die Volksvertretung Gesammtdeutschlands ausüben. Er sprach sogar von einer Verlegung des Reichstags nach Potsdam, wo der „Pfingstberg“ die Möglichkeit eines Reichstagsgebäudes mit einer dominirenden Lage und einer schönen Aussicht gewähren würde. Ein andermal von Kassel, der Hauptstadt der Provinz Hessen, wo sich am Ende wohl die nöthigen Sitzungslocalitäten auf der Wilhelmshöhe finden ließen, – zu Füßen des „großen Christoph“, wie das biedere Volk der Hessen mit Beharrlichkeit den Hercules nennt, der dort auf dem Octogon thront. Und als diese Aeußerung des Fürsten im Reichstage fiel, wurde sie sofort nach Kassel telegraphirt – und zwar, wie dies ja bei der Kürze der Telegramme zum Oefteren zu geschehen pflegt, – in einer etwas zu kategorischen Fassung. Die Zeitungen meldeten, man habe an dem Abend in Kassel vor Freuden illuminirt – was in dieser allgemeinen Fassung ebenfalls nicht ganz richtig war – und dann machten sich die nämlichen Zeitungen nachgehends lustig über die optimistische Leichtgläubigkeit der Chatten, welche den Reichstag schon in der Tasche zu haben und an den diätenlosen Abgeordneten viel Geld verdienen zu können glaubten. Auch dieser Spott war nicht ganz in der Ordnung. Denn man darf nicht Jemandem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_384.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2021)