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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 22.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Salvatore.
Napoletanisches Sittenbild. Von Ernst Eckstein.
(Fortsetzung.)


9.

Es war Januar geworden. Im Erdgeschoß eines behaglichen Häuschens unweit von Capodimonte saß Emmanuele Nacosta am geöffneten Fenster und blickte hinaus in den Vorgarten, wo die grün-weißen Stämme halbwüchsiger Feigenbäume zwischen dem satten Grün der Citronen hervorschimmerten. Der Frühling schien diesmal vor der Zeit seinen Einzug zu halten; die Wahrheit zu reden, hatte er gar nicht aufgehört. Seit Menschengedenken war der napoletanische Winter nicht so mild, so sturmlos und sonnig gewesen, und jetzt blühten bereits die blauen Sternblumen und die feurigen Anemonen, wie sonst zu Ende des Februar.

Emmanuele Nacosta war für die glückliche Festnahme Salvatore’s glänzend belohnt worden. Nicht allein, daß man höheren Ortes plötzlich erkannte, welch ein Genie des Polizei-Dienstes in dem glattgebürsteten Rocke des ehemaligen römischen Steuerbeamten steckte – eine Erkenntniß, die ihm bei dem königlichen Polizei- General des Nordviertels einen wohlbesoldeten Posten eintrug –: auch die übliche Prämie für die Ergreifung gefährlicher Missethäter war ihm ausgezahlt worden, und überdies hatte sich Monsignore De Fabris persönlich dankbar erwiesen. Mit der väterlichen Vermahnung, auch künftighin über die Sicherheit des Staates zu wachen, hatte er seinem thatkräftigen Beschützer ein Geschenk von tausend Goldgulden baar übermitteln lassen.

Es war nun allerdings herb, daß Marsucci die volle Hälfte der Prämie, und von dem Privatgeschenke des Cardinals ein Drittel für sich begehrte: immerhin blieb noch mehr als genug, um die Familie Nacosta dauernd gegen alle Entbehrungen sicher zu stellen und ihr den Aufenthalt in einem so reizenden Heim zu gewährleisten, wie das Häuschen an der Höhe von Capodimonte.

Crispina hatte mit der ungestümen Beweglichkeit der römischen Kleinbürgerin sofort das nöthige Mobiliar angeschafft, und die drei Wohnräume mit den vier blinkenden Frontfenstern in dem grellen Geschmack von Trastevere decoriren lassen. Auf den Steinfliesen lagen sauber geflochtne Matten; im Hauptzimmer ein blau und purpurn gewirkter Teppich; die Fenster waren mit Mullgardinen und schweren Wollvorhängen verschattet; es fehlte weder die hohe Schreibcommode mit den übliche Bronzelampen, noch die Madonna von Carlo Dolci mit den Rosmarinzweigen und der ewigen Lampe. Das Töchterchen, bis vor Kurzem in Lumpen gehüllt, glich jetzt einer drolligen Jahrmarktspuppe, und laut krähend spielte es auf der Strohdecke mit einem halbjährigen Pudel, den Crispina, einer alten Vorliebe fröhnend, am Toledo gekauft hatte. Die Frau selbst bekundete eine geräuschvolle Lustigkeit. Mit ihrer durchdringenden Stimme sang und trällerte sie von früh bis spät; zuweilen tollte sie mit dem Kinde und dem Pudel Pomponio über die Matten, wie ein ausgelassener Schulknabe, und lachte, daß die Scheiben erklirrten.

Trotz dieser Neugestaltung seiner Verhältnisse ward Nacosta von Tag zu Tag trübseliger. Der Mann, der nach der Confrontation mit Salvatore förmlich berauscht gewesen von der Leichtigkeit des Gelingens, der so stürmisch gejubelt hatte, als er die goldne Ernte für seine ruchlose That einheimste – er fand jetzt im Vollbesitz des Erworbenen nicht mehr die Fähigkeit des Genusses, und je näher der letzte Moment heranrückte, der den Frevel besiegeln sollte, um so schwerer und dumpfer lag es ihm auf der Seele.

Heute, in den Nachmittagsstunden, fand die Sitzung des Tribunals statt, in welcher endgültig über das Schicksal des Apuliers Beschluß gefaßt werden sollte.

So wenig von den Verhandlungen des Processes in das Publicum drang, so vollkommen war Emmanuele des schließlichen Ausgangs gewiß.

Noch einmal war er vernommen worden – und schon die Art der Fragestellung belehrte ihn, daß Alles sich so entwickelte, wie er vorausgesetzt. Salvatore war voll unglaublicher Standhaftigkeit; er ließ sich durchaus nicht irre machen; er glaubte fest an die Ehrlichkeit seines Mitverschworenen und die Zusage des vermeintlichen Cardinals.

Zu allem Ueberfluß war Emmanuele auf ein Mittel verfallen, den Verhafteten noch einmal unter vier Augen sprechen zu können.

Das Beispiel der Henker anrufend, die den Verurtheilten um Verzeihung bitten, wußte er, auf die Fürsprache eines Priesters gestützt, Zutritt in’s Verließ zu erlangen, unter dem Vorwand, daß es ihn dränge, den Verbrecher vor der Hinrichtung, die ja zweifellos sei, zu versöhnen, damit Salvatore nicht etwa mit einem Fluche wider den Mann, der ihn festgenommen, in’s Jenseits hinübergehe.

In Wahrheit jedoch galt es dem schlauen Frevler, der Entschlossenheit des Apuliers, die doch in’s Wanken gerathen konnte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_357.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2021)