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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Hinausführen nach dem Executionsplatze, die möchte ich mir, so gern ich auch die unerträglichsten Opfer bringe, erspart wissen! Dergleichen läßt sich kaum wieder auslöschen, – selbst durch die Gnade nicht und die spätre Enthüllung.“

„Nun, davon reden wir noch! Wenn ich nicht irre, so war Seine Eminenz der Ansicht, gerade die Scene auf dem Schaffot werde von entscheidendem Eindruck auf die Bevölkerung sein! Bedenkt, Signore: die Begnadigung im letzten Moment! Man wird sagen: der König hat sich geweigert, aber der Cardinal hat nicht abgelassen, um Nachsicht zu flehn, – um Nachsicht für seinen Todfeind; – der König schien unerbittlich: der Cardinal jedoch, in der Milde seines väterlichen Herzens, hat über die Strenge des Monarchen gesiegt, da schon die Göttin der Gerechtigkeit ihr dräuendes Schwert zückte! – In Wahrheit natürlich trägt Monsignore De Fabris das Begnadigungsdecret bereits in der Tasche, ehe noch der Tag der Execution festgesetzt wird.“

Salvatore schien heftig zu kämpfen. Endlich sprach er mit schweren Seufzer:

„Ich werde den Cardinal bitten, mir’s zu erlassen. Hält jedoch Monsignore De Fabris die Sache für unumgänglich – wohlan ...“

„Bravo!“ fiel ihm Nacosta stürmisch in’s Wort. „Aber ich wußt’ es, daß Ihr ein Held seid!“

Eine teuflische Genugthuung blitzte dem Verräther aus den stechenden Augen; – und doch, wie jetzt der bleiche Glanz des aufgehenden Mondes auf sein Gesicht fiel, da lag ein starrer, geisterhafter Ausdruck über den hageren Zügen, – etwas wie das Entsetzen vor sich selber und dem eignen grausenhaften Erfolge. ...

Salvatore hätte die sonderbare Verzerrtheit dieses blutlosen Mundes, das Spiel der Wimpern, das nervöse Vibriren des Kinns bemerken müssen, wäre er nicht völlig beherrscht gewesen von den Wallungen seiner ungeheuren Erregung.

Mit der Gluth eines Delirirenden malte er sich die Schrecknisse wie die Wonnen der Zukunft.

Die schlüsselklirrenden Kerkermeister von Pizzo Falcone, die bajonettblitzenden Schildwachen, die scharlachrot gekleideten Henkersknechte zogen, von leuchtendem Dunste umwirbelt, wie ein Heer von Gespenstern an seinem Auge vorüber, – und nickten ihm zu und drehten sich in satanischem Taumel.

Dann folgte im Prunk eines Märchenkönigs der allmächtige Cardinal, umringt von gold- und purpurstrotzenden Herolden, die unermeßliche Schätze trugen und Lorbeerkränze für Salvatore Padovanino, den Retter des Vaterlandes.

Zuletzt, in einer Wolke von Engeln, schwebte das holde Mädchen von Capri durch den Azur, die schöne Maria; – von himmlischer Glorie umfluthet, stieg sie zu ihm hernieder; ihre blühenden Arme schlangen sich zärtlich um seinen Nacken; sie küßte ihn und hauchte voll Seligkeit: „Dir dank’ ich’s, wenn sich die Engel Gottes dienend an meine Füße schmiegen!“

Salvatore träumte. Die fessellose Einbildungskraft, die seinen Geist so fortriß in ihrem rauschenden Flug, hatte ihm alle Sinne verwirrt. Vor seinen Augen schwamm es, wie ein Chaos von Licht und Glanz; in seinen Ohren ertönten wilde, lockende Melodien; er rang nach Athem. Hätte ihn Emmanuele nicht bei der Schulter gepackt, er wäre vielleicht kopfüber in die brandende Fluth gestürzt.

„Bei Sant’ Onofrio, Signore Padovanino, was habt Ihr?“ raunte der Polizei-Aspirant erschreckt. „Kommt Ihr vom Zechgelage, oder ist’s die Angst, die Euch schüttelt?“

„Nicht doch!“ wehrte der Andere. „Es überkam mich – laßt nur! – Ihr seht ja, es ist vorüber!“

„Ich will hoffen,“ sagte Emmanuele, „daß Ihr Euch besser in der Gewalt habt, wenn die Sache nun Ernst wird.“

„Seid unbesorgt! Bin ich erst richtig am Werk, so wahr’ ich mein kaltes Blut“

„Das thut uns Beiden auch Noth. Sonst wär’s Euer Verderben und meins. – Da schlägt die Glocke! ... Schon dreiviertel auf Zehn. Ich muß jetzt fort, Kamerad. Hört nun, was ich Euch vorschlage! Euch aufzusuchen in Eurer Wohnung – das halte ich für zu gewagt; Briefe aber, die mehr enthalten, als ein unverständliches Wort, sind in solchen Dingen erst recht bedenklich. Ich schreibe Euch also nur drei, vier Worte – meinetwegen mit Giovanna oder Margherita unterzeichnet – sagen wir: Margherita – und dann wißt Ihr, daß Ihr am Abend des Tages, an welchem Ihr diese Zeilen erhaltet, jenseits des großen Tunnels bei den ersten Häusern von Fuorigrotta auf mich warten sollt, Punkt neun Uhr wie heute. – Ich schreibe natürlich erst dann, wenn ich bestimmte Nachricht vom Cardinal habe. Laßt Euch nicht irre machen, wenn Ihr da zu lesen bekommt: ‚Tausend Grüße und Küsse. Margherita‘ – oder sonst eine Albernheit. Ich treibe die Vorsicht jetzt bis auf’s Aeußerste; man soll dem Zettel, falls er in unrechte Hände kommt, nicht ’mal ansehen, daß Ihr bestellt seid. Und Ihr – das bitt’ ich Euch noch –, wenn Ihr mir etwas zu melden habt, bedient Euch des gleichen Mittels. Meine Adresse könnt Ihr nun wissen: Vico Balbi, Numero siebzehn, im siebenten Stockwerk. Nur zwei Silben! Ich leiste dann gleichfalls noch am nämlichen Abend Folge! Die Osteria aber, wo wir uns kennen gelernt, müßt Ihr vermeiden. Der Wirth, der uns beisammen gesehen hat – und wenn’s auch nur in der Dämmerung seiner Spelunke war – darf sich Eure Physiognomie nicht einprägen. Man kann nicht wissen, wo und wie ’mal der Satan solch einen unbequemen Zeugen beim Schopfe nimmt. Also: die Sache ist abgemacht – und auf baldiges Wiedersehen!“

Mit erkünstelter Biederkeit schüttelte er dem Apulier die Rechte und wandte sich dann zurück nach dem Ufer von Chiatamone, während sich Salvatore noch fast eine Stunde lang in traumähnlicher Versunkenheit unter den Steineichen der Villa Reale umhertrieb.

Emmanuele traf, bei dem Kaffeehaus anlangend, den ehemaligen Geheimpolizisten Marsucci in die Lectüre der amtlichen Zeitung vertieft. Das Blatt enthielt, unter andern Merkwürdigkeiten, auf der zweiten Seite einen längeren Aufsatz über die ‚Freiheitsfreunde‘ – ganz im Stile jenes Artikels des „Giornale d’Emilia“, der Nacosta’s Uebersiedelung nach Neapel veranlaßt hatte.

„Nun?“ fragte Nacosta, neben dem ‚zweiten Gehülfen des wohllöblichen Nachrichters‘ Platz nehmend. „Ihr setzt ja eine heillos spöttische Miene auf. Was habt Ihr da Interessantes?“

„Eine Litanei über die Großthaten unsrer Polizeigenerale. Man muß dem Publicum von Zeit zu Zeit solche Brosamen hinwerfen, sonst verliert’s die Geduld und das fromme Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Sicherheitsbehörde, – zumal ihrer geheimen Abtheilungen. Man weiß genau, daß die Geheimpolizei trotz der schlechten Bezahlung ihrer unteren Organe ein riesiges Geld verschlingt, – und für die weggeworfnen Millionen will der getreue Unterthan doch hier und da die Spur eines Resultates gewahren. Uebrigens – was die Zeitungsschreiber, wenn’s Noth thut, Alles herauskriegen, das ist wirklich bewundernswerth. Da, les’t selber, Nacosta. Die Reise des Advocaten Cesari nach Capri wird hier bereits zum revolutionären Ereigniß gestempelt. Er soll – hier steht’s wörtlich – mit den Agenten einer ausländischen Regierung allerlei räthselhafte Zusammenkünfte gehabt haben, und – ‚was diese Beziehungen zwischen der Oppositionspartei und dem Auslande zu bedeuten haben, das brauchen wir der Feinfühligkeit unsrer Leser nicht klarzulegem. Signore Cesari, eines der schlauesten und vorsichtigsten, aber deshalb vielleicht gefährlichsten Mitglieder der sogenannten ‚Amici della libertà‘, hat allerdings bis zur Stunde dem Gesetz keinerlei Handhabe geboten; wenn sich indeß bewahrheitet, was wir an dieser Stelle nur andeuten können, so dürfte sich das Secretariat Seiner Eminenz in Kürze mit der Frage befassen müssen, in wie weit die politischen Umtriebe des Signore Cesari mit den Forderungen der öffentlichen Ruhe und Sicherheit und mit der Wohlfahrt des Staates in Einklang zu bringen sind.‘ – Schön gesagt! Das klingt so, als wäre etwas – doch hütet der Mann sich wohl, etwas Greifbares zu behaupten, was dann späterhin widerlegt werden könnte. Da – und hier weiter unten – da wird nun im Allgemeinen über die Pläne der Umsturzpartei verhandelt, sodaß Jeder die Sache auf Cesari beziehen muß – und doch stellt’s die ‚Gazzetta‘ so pfiffig an ... Wahrhaftig, dieser Cesari beginnt mich zu interessiren! Das muß ein ganz verteufelter Bursche sein, daß die Leute so viel Aufhebens von ihm machen!“

„Möglich,“ sagte Nacosta zerstreut. „Sprecht, Marsucci, seid Ihr wieder vollständig klar im Kopfe? Ich meine, habt Ihr Lust und Stimmung dazu, etwas Ernstliches zu bereden? Vorhin wart Ihr so eigenthümlich vergnügt.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_295.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2021)