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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

eisernen Widerstand entgegengesetzt. Es ist nämlich – aber Du weißt es wohl – eine Schülerliebe; nun hat er es glücklich zum Privatdocenten in Heidelberg gebracht, und sie hat es richtig durchgesetzt, die kleine Krabbe; das sah immer so flatterhaft aus.“

Else blickte auf, aber sie sagte nichts; es war ihr nur noch weher zu Muthe.

„Na, und der Bennewitzer hat sein Vorhaben ausgeführt. Gestattest Du, daß ich ein wenig rauche, Else? Danke sehr. – Und er besitzt glücklich einen Adoptivsohn. – Ist es Dir zu warm hier, Else?“

„Ja; bitte, mache das Fenster auf.“

„Mutter hat ihren Senf dazu geben müssen,“ fuhr er fort, und blies den Rauch der Cigarre behaglich in die Luft; „er wäre wohl nicht damit zu Stande gekommen, wenn sie nicht geholfen; nun scheint er ja ganz befriedigt.“

„Das freut mich,“ sagte sie. Es war das erste Wort, das sie sprach.

„Nächstens will er dies Ereigniß nun großartig feiern. Du kannst denken, Else, daß es einmal wieder Stadtgespräch ist.“

Ja freilich! Und sie auch wahrscheinlich – und sie war so thöricht gewesen, mitzufahren! Sie wickelte sich in ihr Mäntelchen, zog den Schleier vor das Gesicht und lehnte den Kopf zurück in die Kissen. Sie war unendlich böse auf sich selbst.

Und der Zug raste durch die Nacht, und Moritz schlief. Und je näher sie dem Ziele kamen, desto bänger wurde ihr, unerklärlich bange –. Es war ihr dann wie ein Traum, als sie im Wagen saß, wie ein alter weher und doch so süßer Traum. Das „Guten Abend!“ des Kutschers hatte so fröhlich in ihr Ohr geklungen, und in dem kleinen Coupé roch es süß nach dem Parfüm, das Frieda so liebte. Lauter alte selige Erinnerungen überkamen sie, es wurde ihr warm um’s Herz, sie konnte nicht dafür.

Sie stand wie verwirrt in dem hohen Flure, und Moritz entschuldigte Frieda, daß sie nicht gleich bei der Hand sei, sie schliefe wohl schon, und die Mutter auch; aber Tante Lott warte oben, und ob sie sich wohl noch hinauf fände?

Und da stieg sie wieder die breiten teppichbelegten Stufen hinan, und in Tante Lott’s Thür stand eine kleine liebe Gestalt mit ausgebreiteten Armen.

„Ach, Gott sei Dank, Else, mein alter Liebling, Du bist da!“ scholl es ihr entgegen, und die kleine weinende Tante hielt sie umfaßt. „Ach, wie lieb, daß Du gekommen bist, nun ist Alles gut!“

Wie sie reden konnte, die gute Tante Lott, und wie sie nöthigte zu dem warmen Thee, und wie schweigend das Mädchen dasaß und endlich nur sagte: „Riecht’s nicht nach Veilchen?“

„Das kommt Dir nur so vor, Else, das ist der Duft der Erinnerung; – ja, ja, ach, ich kenne das!“

Und die alte Dame drängte mit Gewalt das Mädchen zur Ruhe; sie müsse schlafen, sie müsse frisch sein morgen, sie sähe so blaß aus –. Und dann lag Else im Bette und sah in dem Gemache umher, das die schneeleuchtende Winternacht dämmernd erhellte; im Kachelofen spielte noch das erlöschende Feuer und spiegelte sich in dem getäfelten Fußboden; dort stand die Truhe, und dort das Puppenschränkchen; es war so unsagbar gemächlich und traut. Wider ihren Willen fühlte sie sich so heimathlich, so geborgen –. Und dann begannen Traum und Wirklichkeit mit einander zu streiten und sie entschlief.

Es war heller Tag, als sie erwachte, und die Sonne schien golden in das freundliche Zimmer –. Es war doch so, es roch nach Veilchen.

Sie blinzelte ein wenig mit den Augen, sie konnte sich nicht recht besinnen; dann fuhr sie aus den Kissen empor. Frau von Ratenow saß auf dem Bettrande und sah so feierlich aus mit dem großen Veilchenstrauß in der Hand.

„Schön guten Morgen, Du faule Liese!“

„O Tante, entschuldige,“ stammelte Else verlegen.

„Ich freue mich, daß Du gekommen bist, altes Gör, und nun gieb mir die Hand; also kein Trotzkopf und keine Feindschaft mehr, wie? – Schlecht gemeint hat sie es nimmer, die alte Tante, das mußtest Du doch wissen! Und jetzt bittet sie Dir ab, wenn sie Dich gequält hat und gepeinigt –. Weißt Du, was das heißt, wenn eine so alte Person, wie ich, einem Kiekindiewelt sagt: ‚ich bitte schön, sei nicht mehr böse!‘?“ Bei den Worten zog sie das Mädchen zärtlich an sich und streichelte ihr über das Gesicht, und dabei fiel der Veilchenstrauß auf die Bettdecke.

„Sie sind vom Bennewitzer, Else,“ sagte sie.

Else wurde plötzlich ganz bleich.

„Ja wahrhaftig, Else! Und eine Bestellung habe ich auch an Dich; aber zieh Dich rasch an, fertig an, ich will indessen bei Lott warten.“

Mit angstvoll klopfendem Herzen machte das Mädchen Toilette. Nein, es war doch nicht möglich, man konnte nicht einen neuen Schlag gegen sie führen – ach nein; Moritz sagte ja, er habe einen Adoptivsohn – es war ihm wohl nur um eine Versöhnung zu thun.

Sie trat dann in das freundliche Wohnzimmer der Tante Lott. „O, ein wonniger Wintertag!“ sagte diese, und deutete zum Fenster hinaus.

„Just zum Schlittenfahren recht,“ bestätigte Frau von Ratenow; „wie wär’s mit einer Schlittenpartie, Else? – Doch nun komm aber! Lott, bist Du fertig? Wir frühstücken heute nämlich zusammen, Else, bei Moritz.“

Und sie nahm den Arm des jungen Mädchens und schritt mit ihr den Corribor hinunter.

„Na, helfen kann’s nicht, Elschen, sagen muß ich es Dir doch,“ sprach sie im Gehen, „der Bennewitzer läßt Dich also schönstens grüßen – wohlverstanden, der Alte, der Junge wagt es noch nicht – und er habe Deinem Vater nun einmal auf dem Sterbebette versprochen, für Dich zu sorgen, Dich zu schützen und zu behüten, und er müsse sein Wort halten. Da Du ihm nun einen so großen Korb geflochten, so hoffe er, es vielleicht ein wenig mehr nach Deinem Sinn eingerichtet zu haben, wenn Du seine Schwiegertochter wirst – – Aber Kind – sei doch nicht so ungestüm! Was ist Dir denn? Halte sie fest, Tante Lott!“

Aber das war nicht mehr nöthig, Else lehnte sich plötzlich wie bewußtlos an die Schulter der alten Dame, die eben die Thür zur Halle öffnete.

„Else! Else! Sie hat doch sonst so viel Courage, und jetzt will sie verzagen! Ja, ja, dem Bennewitzer sein Sohn spielt Geige, er ist ein ganz netter talentvoller Junge.“

Else fand sich plötzlich allein in dem schönen Gemache; sie hatte eine der hohen Stuhllehnen erfaßt und lauschte mit vergehenden Sinnen – es war ja nicht möglich! Alles, was die Tante gesprochen, was jetzt in ihr Ohr klang, das wollte flüstern von einem unendlich großen zauberhaften Glück –. Nein, es konnte ja nicht sein!

Dann verstummte es jäh, das Spiel, und dann kamen so eilige freudige Tritte hinter ihr, und dann eine Stimme, eine Stimme: „Else, was ist das Glück – wenn es nicht diese Stunde ist! –.“

Im Nebenzimmer waren sie ganz still. Tante Ratenow ging an die Portière, hob einen Moment die Falten und schaute hindurch. Dann wandte sie sich zum Bennewitzer zurück, ernsthaft mit dem Kopfe nickend, gab sie ihm die Hand, und nun standen sie Beide und schauten in den Garten.

Ticktack, ticktack, sagte die kleine Uhr – man hörte sonst nichts, kein Wörtchen von da drinnen; nur einmal ein leises Schluchzen.

„Na, nun zeigt Euch doch, Kinder!“ rief Moritz endlich; die Sache dauerte ihm zu lange. Da kamen sie, und da hing ein vor Glück und Seligkeit erglühendes Kind am Halse des Bennewitzers.

„Onkel!“ schluchzte sie, „Du hast mir vergeben – Du bist so gut, viel zu gut zu mir.“

„Ich habe Dir nichts zu vergeben, mein Kind,“ sagte er weich.

„Wie soll ich Dir danken, Onkel?“

„Dadurch, daß Du bald nach Bennewitz kommst, Else. Es ist gar so einsam dort.“

„Sie wollte mich nicht – wahrhaftig sie wollte mich nicht, gesteh’ es, Else!“ Und Bernardi zog sie aus des Bennewitzers Armen an seine Brust. „Sie sagte, sie wäre ja nur ein armes Mädchen!“




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