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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

zur Geheim-Polizei; aber wenn Du ihn siehst, so ahnst Du nicht, was er ist; er schaut aus wie ein Schulprofessor oder sonst was Gelehrtes – auch in der Kleidung. – Ein Wort gab nun das andere. Er ließ mich Blicke thun – ich sag’ Dir, Maria, nie im Leben hab’ ich geahnt, wie verwickelt all’ diese Verhältnisse und Beziehungen sind, und was sich Alles so abspielt unter der Oberfläche!“

„Weiter, weiter!“ drängte die Zingarella. „Was hat das Alles mit dem Kerker zu thun und mit der Möglichkeit, daß Du, Salvatore –?“

„Sehr einfach. Der Beamte setzte mir auseinander, wie das Staatsinteresse – er sagte: das Staatsinteresse – allem Andern voransteht; wie es die Pflicht jedes ehrlichen Bürgers sei, im Sinne dieses Interesses zu wirken und selbst persönliche Opfer zu bringen; ja, wie im Kampf mit den Gegnern der Staatsordnung jede Kriegslist erlaubt sei, wenn nur kein Unschuldiger darüber zu Grunde gehe. Gerade heraus, – die Sache ist die: das Volk – was man das rechte, wirkliche Volk nennt – fängt neuerdings an, zu glauben, die Liberalen seien so übel nicht, und ihre Lehren könnten dem Staate zum Heil dienen. Diesen Irrthum gilt’s zu beseitigen, und da wußte der Polizei-Beamte, der erst kürzlich die Ehre hatte, mit Seiner Eminenz persönlich über die Angelegenheit Rücksprache zu nehmen, nichts Besseres, als eine That, die dem Volke handgreiflich bewiese, daß die ‚Freiheitsfreunde‘ von jeder teuflischen Bosheit erfüllt sind.“

„Ja, wer kann die Leute denn zwingen, eine solche That zu begehen?“

„Die Liberalen? Niemand. Aber es könnte sie Einer doch gleichsam auf Rechnung der Liberalen begehen, – und wenn das Volk dann die Meinung gewänne, die ‚Freiheitsfreunde‘ hätten’s zu Wege gebracht, dann würde sich die beginnende Vorliebe plötzlich in Haß verwandeln.“

„Salvatore! Das wäre ja eine Schlechtigkeit!“

„Das Staatsinteresse hat eine andere Moral, als der bürgerliche Verkehr. Wagst Du die Meinung eines Cardinals der heiligen Kirche zu lästern?“

Er warf ihr einen seiner lodernden Blicke zu.

„Das ist wahr!“ sagte Maria. „Seine Eminenz muß ja wissen . . .“

„Hör’ also weiter! Der Polizei-Beamte gab mir nun zu verstehen, daß er eine geeignete Persönlichkeit für diese That suche. Wenn ich gewillt sei, sie zu begehn – oder doch vorzubereiten, – so etwa, daß er in seiner Eigenschaft als Geheim-Polizist sie unmittelbar vor der Ausführung zu entdecken vermöge, – und wenn ich dann aussagen wollte, ich sei ein Anhänger des Liberalismus, und habe aus Haß gegen die Regierung gehandelt, so wolle mir Seine Eminenz sofort nach meiner Freilassung eine Viertel-Million auszahlen und, wie selbstverständlich, Sorge tragen, daß ich nach wenigen Wochen einer erträglichen Haft begnadigt würde.“

„Begnadigt!“ wiederholte Maria. „Und was soll das für eine That sein?“

Salvatore schaute ihr voll in’s Gesicht.

„Ein bewaffneter Anfall auf Seine Eminenz den Cardinal Monsignore De Fabris!“ versetzte er langsam.

„Was? Die That eines Briganten?“

„Nur der Schein dieser That – und zum Heil der Regierung und aller Napoletaner!“

„Dennoch – es ist unmöglich! Soll zeitlebens auf Deinem Namen der Makel haften, daß Du ein Feind dieser Regierung gewesen, daß Du den Wohlthäter Neapels und der heiligen Kirche hast tödten wollen?“

„Auch dafür ist Sorge getragen! Wenn der Staat erst wieder gefestigt ist, wenn man die unzufriedenen Geister verdrängt hat, und Alles wieder im stillen, ruhigen Geleise geht, dann will Seine Eminenz mit der Wahrheit hervortreten, und mich rechtfertigen – und dann erblüht mir erst recht das Glück und der Ruhm und der Reichthum, denn ganz Neapel wird mir entgegenjauchzen und mich als Retter des Vaterlandes begrüßen, und Monsignore de Fabris kann mir die Viertel-Million, die er aus eignen Mitteln gezahlt hat, aus der Staatscasse verdoppeln und verdreifachen lassen.“

Die Zingarella athmete schwer und bänglich.

„Und glaubst Du, daß jenem Polizei-Beamten zu trauen ist?“ frug sie nach einer Weile.

„Einem Schützling des Cardinals!“

„Vielleicht sagt er nur so!“

Salvatore schüttelte überlegen den Kopf.

„Welchen Zweck sollte das haben? Nein, Maria: der Mann steht zweifellos in Beziehung zu den Spitzen des Gouvernements! Von Grund aus kennt er die Geheimnisse der Regierung, die Absichten Seiner Eminenz, die Verhältnisse der Stadt und des Staates! Das kann er sich doch nicht aus den Fingern saugen!“

„Freilich -!“ sagte Maria.

„Die Sache ist klar,“ fuhr der Apulier fort, „und verantworten vor Gott und seinen Heiligen kann ich sie auch. – Der Cardinal muß doch wissen, was einem Christen erlaubt und was Sünde ist! Seiner Mahnung aber leiste ich Folge, nicht den Lockungen eines Laien, der irren kann!“

Tief nachdenklich blickte Maria in die flimmernden Wellen. Endlich hob sie leuchtenden Auges das schöne Haupt.

„Ich hab’s!“ rief sie lebhaft. „Willst Du’s hören, oder verschmähst Du die Rathschläge Deiner Zingarella?“

„Sprich!“

„Siehst Du, ich sage mir so: kömmt der Plan Deines Beamten vom Cardinal, so ist’s recht und ehrlich, daß Du ihn ausführst, und die Madonna wird Alles zum guten Ende leiten; kömmt er von dem Beamten selbst, und seine Beziehungen zum Cardinal sind erdichtet, so ist das Ganze – so oder so – eine verderbliche Gaukelei, wenn nicht gar eine Falle! Darf ich Dir also rathen, so verlangst Du Beweise – und der beste Beweis wäre ein Wort aus dem Munde des Monsignore De Fabris! Briefe kann Einer schon fälschen, zumal so ein pfiffiger Polizist; führt er Dich aber direct in den Palast Seiner Eminenz, und ihr sprecht so zu Dreien die Angelegenheit durch, dann hast Du alle nöthige Bürgschaft!“

„Gut!“ versetzte Salvatore nach kurzem Besinnen. „Wenn’s Dich beruhigt – das kann ich ja fordern! – Aber nun sag’ mir, süße Maria: falls die Sache nun ihren Verlauf nimmt – wirst Du’s ertragen, daß ich verhaftet, angeklagt und verurtheilt werde? Wirst Du muthig und standhaft sein, bis Alles vorüber ist?“

Maria seufzte.

„Ich muß wohl!“ sagte sie schwermuthsvoll.

„So bleibt’s dabei! Die Sorge um Dich, Maria, war mein einziger Kummer bei dem glorreichen Plane! Nun ich sehe, daß Du vernünftig bist, werd’ ich frisch und freudig an’s Werk gehen. Jetzt aber – fort mit allen Gedanken! Acht Tage nur kann ich bleiben – und die Zeit ist so flüchtig, wenn man der Liebsten in’s Auge schaut!“

Er kauerte auf den Boden der Barke, schmiegte sein Haupt wider Maria’s Knie und sah zu ihr auf.

Sie beugte sich zu ihm nieder und küßte ihn lange und voll glühender Leidenschaft. Dann seine Hände ergreifend, sang sie das alte Lied der Mädchen von Capri:

Quando divento cenere . . .

und verzückt lauschte Salvatore der wonnigen Melodie, deren Klänge, wie die Stimmen verborgner Sirenen, aus der Tiefe des Meers zu quellen schienen.

„Für sie würde ich Größeres wagen!“ murmelte er berauscht vor sich hin . . .

Und wieder senkte sich ihr glühender Mund auf den seinen.




3.

In jenem Theile Neapels, der zwischen der südlichen Hälfte der Via Toledo und der ostwärts aufsteigenden Hügelkette belegen ist, und sich vor allen andern Quartieren der Stadt durch die Enge und Dichtigkeit seines schachbrettartig gekreuzten Straßennetzes auszeichnet, stand um die Zeit unserer Geschichte ein siebenstöckiges Haus, – dergestalt wider die Böschung gelehnt, daß die vierte Etage nach der Bergwand zu als Parterre auf die Straße ging. Obgleich nur von gewöhnlichem Umfang, bildete es eine einzige „Insel“, deren Ostfront durch den schmalen Vico di Balbo begrenzt wurde, während die noch schmäleren Straßen der Nord- und der Südseite direct auf die steile Hügelwand ausmündeten.

Dieses Haus war trotz der massiven Bauart, die es mit vielen andern seiner nächsten Umgebung gemein hatte, eine Höhle des Elends.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_262.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2021)